Mittwoch, 9. Dezember 2020

9. Dezember 2020 - Adventskalender 2020: Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen: 9. Türchen "Das Hotel im Schneesturm"

 
Foto: I. M.-S.

Adventskalender 2020
Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen

9. Türchen
Das Hotel im Schneesturm

Harry und Markus hatten diesbezüglich keine Sorgen. Auf sie wartete niemand, und der einzige, der warten könnte und ihr Arbeitgeber war, machte sich keine Sorgen, weil er wusste, wo sie sich aufhielten. Immerhin handelte es sich bei ihrem Dienstausfall um eine Art Betriebsunfall. Harry entschloss sich, diesen Heiligabend so gut zu genießen wie eben möglich. Er wäre nicht allein, sondern in einer recht gemischten Gesellschaft - besonders, wenn er die Gastleute mit einbezog. Sie waren schon eine Art "Sehenswürdigkeit" für sich. Nicht in der Jetzt-Zeit eben, und scheinbar nur durch Zufall in dieser Zeit gelandet.

Genau so empfand Harry auch diesen ganzen Tag. Er war unwirklich, aber natürlich war dieses Desaster mit dem Zug recht real und nicht von der Hand zu weisen war, dass so etwas oder etwas ähnliches öfter passierte. Er selber hatte bereits zweimal miterleben müssen, dass sich Selbstmörder vor einen seiner Züge geworfen hatten - was er in dramatischer Weise von diesen Lebensmüden als ziemlich rücksichtslos empfunden hatte. Die beiden betroffenen Lokführer hatten sich nie von diesem Missbrauch ihrer Loks als Todesgeräte erholt. Der eine arbeitete nun im Innendienst, der andere musste nach jahrelanger Behandlung in den Vorruhestand gehen.

Harry

Das am meisten Unwirkliche an diesem Abend war der dichte Schneesturm. Wenn man aus einem Fenster sah, konnte man in keiner Weise erkennen, wie die Nachbarschaft dieses Hauses beschaffen war. Standen Häuser in der Nähe oder lag es eher einsam im (sonstigen) Grünen?

Das nächste Unwirkliche waren Ronny und Lisa, die Hotelinhaber. Ich möchte jetzt nicht übertreiben und sagen, dass ihre Gesichter und die sichtbare Haut weiß wie der Schnee draußen war - aber sie waren schon recht blass. So als kämen sie kaum jemals an die frische Luft nach draußen ... oder auch so, wie man sich Gespenster vorstellte. Natürlich konnten sie keine Gespenster sein,

oder braten solche in der Küche eine Gans? Oder servierten Gespenster Drinks? Eher nicht, obwohl mir beim Anblick der beiden alterslosen Personen dieser Gedanke kam. Das gesamte Ambiente passte eben zu einem Spuk-Haus.

Aber ich war zu sehr Realist, und meine Gedanken waren nur Sprünge und diese wiederum konnten durchaus dem Datum geschuldet sein: Der 24. Dezember! Und dann solch eine dumme Panne!

Mir selber machte es zwar nicht viel aus, hier festzustecken, aber die junge Frau, die sich als Lotte vorgestellt hatte und der Mann, der Klaas hieß, schienen dennoch enttäuscht sein von dem plötzlichen Ruck, mit dem ihre Reise zu Ende gegangen war. Sie sprach von ihren Schwiegereltern, er von seinen Kindern ... sie wurden erwartet. Im Gegenteil zu mir. Allerdings schien es Lotte mehr zu stören, dass sie die Schwiegereltern nicht anrufen konnte, um ihnen ihr Fehlen zu erklären - während Klaas wirklich traurig war. Er sah seine Kinder offenbar nicht sehr häufig oder auch nur regelmäßig.

Ich nahm mir vor, meinen Mit-Gestrandeten eine gute und positive Gesellschaft zu sein. Schließlich würde diese Zwangs-Pause nicht ewig dauern, und sicher könnten wir am folgenden Tag unsere Reise fortsetzen. Es blieb allerdings die Tatsache,

dass dies ausgerechnet an Heiligabend passierte. Das war natürlich ein ziemlich dummes Datum für solch ein Dilemma.

Ich begab mich an die Bar und fand alles zum Mixen für eine Feuerzangenbowle. Das sollte eine gute Fortsetzung für diese Nacht werden.

Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt

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