Montag, 7. Dezember 2020

7. Dezember 2020 - Adventskalender 2020: Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen: 7. Türchen: "Das Hotel im Schneesturm"

 

Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen:
7. Türchen

Das Hotel im Schneesturm

Mary

Ich hatte noch keine Ahnung, mit welchen Motiven sich die anderen Gäste in der Nacht umgeben mussten, aber mein Zimmer sah aus wie in der alten Agatha Christie-Zeit und demonstrierte, wie harmlos Verbrechen doch einst waren. "Krimizimmer" hieß es, und die Tapete bestand aus einer Ansammlung von alten Buchtiteln und Konterfeis von Ermittlern wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot.

Ein paar Krimis lagen neben einer Bibel auf dem Nachttisch. Die Möbel waren alt, so dass es durchaus möglich gewesen war, dass in dem einen oder anderen bereits Agatha gesessen oder geschlafen oder ihre Garderobe verstaut hatte.

Da fährt man mit einem modernen ICE und landet in einem Kabinett voller Kram von früher, von viel früher. Hoffentlich wachte man nach einer Nacht in solch einem Zimmer noch als derselbe Mensch auf, der man vorher war. Ich war durchaus ein bisschen geschockt. Passend dazu gab es auch Staub, der über den Möbeln lag - und der durchaus so alt wie die Idee hinter diesem Raum sein konnte.

Ich kannte die Idee dahinter nicht. Ich glaubte mehr und mehr an einen Ort zwischen den Zeiten. In meinem Alter hält man nichts mehr für unmöglich, noch nicht einmal das Unmögliche ...

Für Harry und Markus gab es passenderweise ein Zimmer, mit dem die beiden nun wirklich nicht gerechnet hätten: es hatte den Namen "Orient Express" und war dem berühmten Zug nachempfunden. Beider Münder standen offen, als sie den Raum betraten und auch sie waren sich nicht mehr sicher, in welcher Zeit sie gerade gelandet waren. Oder in welchen Traum sie sich verirrt hatten.

Markus dachte: Bin ich während der Fahrt etwa eingeschlafen, und jetzt steuert meine Lok führerlos durch die Landschaft? Er stieß mit dem Ellbogen heftig gegen einen Schrank, um sicherzustellen, dass er wirklich nicht träumte und sein Zug samt Passagieren in größter Gefahr waren.

Der Schmerz, der sofort einsetzte, bewies ihm, dass es sich hier um die Realität handelte. Zumindest um eine, in der man alles anfassen, miteinander reden konnte und offenbar jeder all das sah, was man selber auch sah.

Ansonsten misstraute Markus sogar seinem heftig aufflackernden Schmerz.

Harry musste laut lachen. Dies war schon ein ziemlich seltsamer Ort mit den zwei urigen Typen Ronny und Lisa, die ihn zu ihrem eigenen gemacht hatten. Aber er war ein bodenständiger Mensch, und natürlich wusste er, dass es viele Motiv-Hotels gab, die mal das eine, mal das andere Motto zu ihrem Leitsatz gemacht hatten.

Dieses Zimmer war eben nach einem bekannten Vorbild eingerichtet. Nicht mehr, nicht weniger.

Obwohl ... wenn er genau überlegte ... wären ihm ein bisschen weniger Nostalgie und Staub lieber gewesen.

Aber im Nachhinein hätte er vielleicht so einiges zu erzählen. Darauf freute er sich mehr als auf die gerade stattfindende Gegenwart. Er schüttelte sich bei dem Gedanken an das, was die Gastleute ihren Gästen zu essen auftischen würden.

Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt

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