Donnerstag, 3. Dezember 2020

3. Dezember 2020 - Adventskalender 2020: 3. Türchen: Das Hotel im Schneesturm


 3. Türchen
Das Hotel im Schneesturm


Klaas

Ohne meinen furchtbaren Betrug gäbe es Jenny und Nicolaus jedoch nicht, so dass auch ich mir selber verzeihen konnte. Die Zwillinge waren das Beste in meinem Leben, das allerbeste.

Ich bin und war schwul, ich war es schon, seitdem ich denken konnte - und trotzdem hatte ich mich in eine Beziehung mit Ariane gestürzt. Vermutlich wollte ich meiner Mutter damit etwas beweisen, denn sie kam mit meiner "abnormalen Veranlagung" wie sie es nannte, nicht zurecht. Irgendwann wuchs mir die ganze Sache über den Kopf, aber ehe ich mich noch umsehen und weglaufen konnte, war Ariane schwanger. Meine Mutter, die mich vor dem "Verderben" retten wollte, hörte ebenso wie Ariane die Hochzeitsglocken läuten.

Natürlich war ich nicht der Unschuldige in dieser ganzen Misere, im Gegenteil war ich selber verantwortlich und war nur immer tiefer in diesen Sumpf von falscher Liebe hineingerutscht. Es war, als wenn mir jemand alle Scheiben im Kopf eingeschlagen hätte ... aber ich fand die Telefonnummer des Glasers nicht. Anstatt Ariane endlich reinen Wein einzuschenken,

heirateten wir. Das hatte sie nicht verdient, und es wurde noch schlimmer für sie. Denn nach der Heirat konnte ich nicht einmal mehr Interesse vortäuschen. Zuvor hatte ich selber noch gehofft, auf der falschen Spur unterwegs gewesen zu sein

und Ariane, hübsch und intelligent, als "Rettungsanker" angesehen. Aber ich brauchte als schwuler Mann keine Rettung, sondern Selbst-Anerkennung und das Eingeständnis, dass ich war wie ich war und immer sein würde.

Der Zug, der seit einer halben Stunde durch die Landschaft fuhr, machte plötzlich einen harten Ruck, dann noch einen und noch einen ... und kam zum Stehen. Es war kein normales Stehenbleiben, weil ein Streckensignal dies vorgab, sondern hörte sich eher wie ein Unfall an.

Harry rannte schnell durch die Waggons, um sicherzustellen, dass niemand sich verletzt hatte. Er selber hatte sich im letzten Moment an einem Sitz festhalten können, sonst wäre er gestürzt. Die meisten Passagiere hatten einen kleinen, aber nicht wirklich schlimmen Schrecken bekommen und warteten geduldig auf die Weiterfahrt. Sie zeigen sich als wahre Kenner der Bahn, dachte er, irgendwas ist ja immer, im Sommer fallen die Klimaanlagen aus, im Winter die Heizungen ... und wehe, es schneit. 

Fünf Minuten später machte Markus, der Lokführer, eine Durschsage:

"Wie Sie bereits gesehen haben, sind wir durch einen Schneesturm gefahren. Das allein wäre kein allzu großes Problem, aber mitten auf den Gleisen liegen zwei Bäume, die unsere Weiterfahrt behindern. Ich halte Sie auf dem Laufenden, was nun passiert."

Dieser Schnee war unangemeldet durch die Meteorologen gekommen.

Ein Tumult brach los. Alle Leute hatten ein Ziel, dass sie nicht irgendwann, sondern noch heute erreichen mussten oder wollten oder auch sollten. Aber Schneesturm und umgefallene Bäume - das hörte sich gar nicht gut an.

Harry musste ein paar Gäste beruhigen. Er wies seinen Kollegen an, erst einmal kostenlos Kaffee an alle auszuschenken.

Dann machte er sich auf den Weg zur Lok.



Copyright (wie alle Blog-Beiträge) Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt

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