Adventskalender 2020
Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen
15. Türchen
Das Hotel im Schneesturm
Natürlich erwartete niemand der Anwesenden große Geschenke, denn dieser Abend an und für sich und mit seinem Zauber war bereits mehr als ein großartiges Geschenk. Es war auch unklar, woher die Geschenke kommen sollten, denn sie waren als Gäste schließlich ziemlich überraschend in dieses Haus eingefallen. Eher waren sie Gestrandete, die froh sein durften, es überhaupt so gut getroffen zu haben. Genauso gut hätte es ihnen passieren können, dass sie die ganze Nacht in dem Zug festgesessen hätten. Stattdessen befanden sie sich nun in einer guten Gesellschaft, hatten zu essen und zu trinken - und nun sollte es sogar noch Geschenke geben.
Es war insgesamt mehr, als man nach einem Unfall erwarten durfte.
Der Weihnachtsmann öffnete den Jute-Sack und holte fünf Päckchen heraus. Die Päckchen waren mit Süßigkeiten gefüllt, aber das war noch nicht alles, denn oben lag auf jedem Präsent eine CD.
Er reichte das erste Geschenk an Markus. Markus fühlte sich absolut beschämt von dieser Gastfreundschaft und der Art, wie man den anderen und ihm diesen Abend so schön wie möglich machte - und der dadurch eines jener Heiligabende wurde, die man nie vergessen würde.
Last Train to Clarksville von den Monkees war der Titel seiner CD. Er drehte die Scheibe herum und fand auf der Rückseite einen Spruch vor:
Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er seinen Kopf verliert.
Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)
Ja, sein Herz hätte er gerne wieder verloren, sogar dann, wenn auch dabei sein Kopf Schaden nehmen würde. Er sah zu Klaas hinüber, der ihm sehr gefiel. Und er stand genau so wie er selber auf Männer, davon war Markus überzeugt - auch, wenn Klaas bereits von seinen Zwillingen erzählt hatte. Das musste rein gar nichts bedeuten. Markus kannte viele Schwule, die Kinder hatten - und sogar einmal mit einer Frau verheiratet gewesen waren.
Er errötete ein wenig, als er sich wortreich beim Weihnachtsmann für sein Geschenk bedankte. Dieser Abend wurde immer schöner ...
Der Weihnachtsmann bewegte sich langsam auf Mary zu und überreichte ihr mit einem Zwinkern ihr Geschenk. Sie nahm es mit leicht zitternden Händen entgegen, und sie war äußerst gespannt darauf, welch ein Titel "ihr" Lied haben würde.
We´ll meet again von Vera Lynn war der vielsagende Song auf der CD. Und auf der Rückseite stand:
Nicht die Erkenntnis gehört zum Wesen der Dinge, sondern der Irrtum.
Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)
Ein paar Tränen kullerten aus ihren alten klugen Augen. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ... " stammelte die Frau, die sonst um kein Wort verlegen war.
"Es ist nicht nötig, etwas zu sagen, Kleines", antwortete der Weihnachtsmann.
Mary bekam eine Gänsehaut: da war es wieder, dieses Wort "Kleines". Und er sagte es mit solch einer Selbstverständlichkeit, als wäre es ihr Vorname.
Copyright Silvia Gehrmann (wie alle Blog-Beiträge)
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