Donnerstag, 31. Januar 2019

30. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Mittwoch in Leipzig bei Sophie

Robin Hunds Medikamente


Vorspeise: Zucchinisuppe mit Minz-Pinienkern-Pesto, dazu Walnussbrot mit Tomatenbutter
Hauptgang: Lammlachs mit Thymian-Käseknöpfle und Rote-Bete-Schalotten-Gemüse
Nachtisch: Brownie mit Cheesecake Topping und Lavendeleis


Risiken und Nebenwirkungen

und Wechselwirkungen sind bei jedem öffentlichen "Dinner"-Auftritt zu befürchten, denn am Ende kommen vielleicht Kopfschmerzen heraus, weil jemand mit dem Kopf durch die Wand will, versucht, die Show an sich zu reißen oder ein paar Mitstreiter in die Benzodiazepine-Falle disst. Sophie darf heute kochen, aber mit Medikamenten kennt sie sich bestens aus, denn sie studiert im 5. Semester Pharmazie. Sie redet ziemlich aufgesetzt und kreischt hier und da als wäre sie eine Top-Markt-Verkäuferin. Falls sie irgendwann in einer Apotheke arbeiten sollte, so könnte sich jeder Kunde schnell erinnern,

dass er noch Ohropax einkaufen muss.

Das darf man nicht vergessen, wenn man sich im Anschluss den Hauptdarsteller Rolf ansieht, denn an ihm kommt leider auch an diesem Abend niemand vorbei. Rolf sitzt mit einer inneren Stopp-Uhr an den Tischen und bewertet nach der Zeit, die zwischen den Gängen vergeht - damit hatte er am Vortag bei Heike, die sich ein bisschen verzettelt hatte, auch Glück. Das gelingt heute weniger, denn Sophie bringt alles zügig auf den Tisch - wenn einer hinter jemandem steht und der nur noch den letzten Nerv raubt, wird man eben zur Eile angetrieben. Da kommt ihm ein Klecks am Suppenteller-Rand gerade recht, obwohl der wirklich nur winzig ist, ist die innere Verzweiflung Rolfs darüber riesengroß.

Er bemängelt den nicht eckigen Brownie, aber gnädig entscheidet Rolf, dass der am Ende sowieso rund in den Magen kommt. Hinter dieser Stirn muss es sensationell rotieren, um nicht nur den Klecks am Tellerrand zu finden, sondern das Haarbüschel im ganzen Geschehen. Doch insgesamt bekommt er viel zu viel Aufmerksamkeit ... auch von hier,

aber schließlich sollen meine Finger, die über die Tastatur gleiten, das wahre Geschehen ausspucken - und irgendwie muss man damit zurecht kommen, dass die Nebenwirkungen in dieser Woche Rolf heißen und dominanter sind als die Risiken, die seine Konkurrenten eingehen.

Sophie liefert ein respektables, aber unspektakuläres Dinner ab. Dass sie am Ende der Nerven-Show mit 33 Punkten belohnt wird,

hat sie vielleicht zum Teil zwar nicht Rolf, aber seinen Gegnern zu verdanken. Denn Rolf zückt eine 6, und man denkt dabei irgendwie an die Schulnote ...

Die anderen gleichen die böse Note aus und hieven Sophie somit auf den bislang 1. Platz, mit einem Punkt Vorsprung vor dem Selbstdarsteller.

Niemand ist eine Insel, heißt es - außer Rolf vielleicht. Denn er könnte nun eine Insel sein, auf der ihm nur sein Hund bleibt. Der aber hat keine andere Wahl.

Die Wechselwirkung "Dinner" plus Selbstdarsteller schlägt absolut negativ durch.


Guten Morgen, Gruß Silvia


Mittwoch, 30. Januar 2019

29. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Dienstag in Leipzig bei Heike


Vorspeise: Feuerwasser an Himbeermus mit gebackenem Brot an Schmalz und gekräutertem Quark
Hauptgang: Glasierte Täubchen an Wurzelgemüse mit dreierlei Stampfkartoffeln
Nachtisch: Birnenpudding, Hasenöhrchen (Schmalzgebäck) und ein Früchtetaler


"Angst erfasst des Diebs Gemüt,
Wenn er viele Leute flüstern sieht" - (Freidank, geb. ca. 1170)


Ob Heike oder all die anderen vielen Fans des Mittelalters wohl wirklich in einem dieser Jahrhunderte gelebt haben möchten, ist sehr fraglich. Aber im Spiel entfaltet sich eben auch Freude, und ich kann das gerne nachvollziehen, wenn mich dieser Mittelalter-Kram auch selber nur mäßig begeistert zurück lässt. Demnächst versucht sich dann noch jemand im Zukunfts-Kochen, und spekuliert, was im Jahre 2119 gekocht werden könnte.

Zumindest hat man von Heike eine Ahnung, warum sie sich fürs "Dinner" beworben hat: Sie möchte anderen Menschen ihr Hobby nahe bringen, und das ist völlig legitim. Wie viel von ihrem Dinner authentisch ist? Vermutlich nicht das in dreierlei Farben daher kommende Stampfkartoffel-Türmchen. Erstens hätte es früher eher einen Klacks, auf den Teller geklatscht, gegeben - und zweitens gibt es die Kartoffeln in Europa erst seit fast dem Ende des Mittelalters. Aber in Spielchen kann man sich schließlich dessen bedienen, was einem am besten passt. Gut so.

Authentisch sind sicherlich eher das Lagerfeuer und die Feuerspiele, die Heike (ist sie das?) nach der Vorspeise mit ihrem Mann aufführt. Aber dann ganz schnell wieder in die Küche,

denn es dauert Rolf und Detlef ohnehin viel zu lange, bevor sie etwas auf den Tisch bekommen.

Offen wird über die Zeit diskutiert (nicht mal im Flüsterton), die Heike für die Zubereitung der einzelnen Gänge benötigt - und das könnte sie durchaus hören, denn sie bezeichnet ihr Esszimmer zwar als Rittersaal,

aber so weit weg ist der kleine Raum nicht von der Küche.

Des Diebs Gemüt kann also guten Gewissens ein Pünktchen oder zwei abziehen, denn nach dieser Vorwarnung wird es schon jeder verstehen ...

Allerdings sind die eingesammelten 29 Punkte wohl wirklich gerecht genug. Sophie wirft eine 8 ins Feuer, während die anderen je mit einer 7 das Feuer ein bisschen löschen.

Insgesamt verzettelt sich Heike und verliert sich im Mittelalter. Wer zuvor nicht zu Mittelalter-Spielen tendiert hat, dem wird es wohl auch jetzt nicht in den Fingern jucken ...


Guten Morgen, Gruß Silvia

Dienstag, 29. Januar 2019

28. Januar 2019 - Das perfekte Dinner - Montag in Leipzig bei Rolf


Vorspeise: Eine kulinarische Reise durch das Top-End Australiens : Out of Evas Valley-Farm (Flusskrebssalat mit Mango)
Haupgang: Hog‘s breath is better than no breath at all: Saftiges Wildschwein-Roastbeef mit knuspriger Kräuterkruste, knackigen Buschbohnen, Fächerkartoffeln aus dem Ofen und fruchtig-würziger Pflaumensoße
Nachtisch: The Perfect Apple-Pie: Der perfekte Apfelkuchen


Ein Selbstbewusstsein so groß wie Australien

Der Veranstaltungs-Kaufmann Rolf gestaltet heute seinen Perfekten Dinner-Abend und wartet mit einer Menge an Superlativen auf, und das erste ist, dass er aus der Ecke um Bielefeld stammt. Da war doch was mit Bielefeld? Bielefeld steht zumindest unter dem stetigen Verdacht, dass es diesen Ort gar nicht gibt.

Ähnliches gilt für Rolf, denn schnell kommt man ins Grübeln und fragt sich: Gibt es so einen wie Rolf wirklich? Als Ostwestfale ist er ziemlich gesprächig, und er könnte dort jeden "Breath is better than no Breath"-Titel gewinnen. Ohne Luft zu holen plappert er in die Vollen:

Rolf sieht die Möglichkeit, heute das perfekteste Dinner aller Zeiten hinzulegen! Denn es wird nix aus Kochbüchern einfach nur nachgekocht, sondern "das perfekte Dinner" völlig neu erfunden, und es stellt sich die Frage, warum Vox so lange gebraucht hat, um Rolf ausfindig zu machen.

War er gerade wieder mal in Australien, als man ihn hier dringend gebraucht hätte? Oder gibt es einfach keine Entschuldigung dafür?

In den 1960er Jahren ist sein Onkel nach Australien ausgewandert, und Rolf hat dort drei Sommer verbracht. Mehr hat der Onkel vermutlich nicht gepackt, oder er ist überhaupt bis ans Ende der Welt gezogen, um diesem Redeschwall zu entkommen ... der vielleicht sogar familiär bedingt ist. Mir fehlt noch die Erklärung, ob es während dieser drei Sommer eigentlich Winter in Australien war oder ob es hier Winter war, aber es ist nicht so viel Zeit, denn auch für den größten aller Dinner-Teilnehmer gilt: Das Publikum darf nur eine einzige Stunde dabei sein.

Kaum angekommen, werden die Gäste von Rolf  mit der RTL-australischen Spezialität Dschungel-Maden veräppelt - oder wie er meint: Die größte Verarsche ever beim perfekten Dinner. Denn eigentlich sind es keine Maden, sondern Wurzeln, die wie Maden aussehen. Und Rolf ist sicher auch im Grunde kein Schwätzer, sondern nur einer, der wie ein Dampf-Schwätzer rüber kommt.

Es folgen im weiteren Verlauf keine weiteren Verarschungen der Gäste - denn ein in der Gastronomie groß gewordener Rolf weiß selbstverständlich auch am besten, wie man Gäste bewirtet, hofiert und verwöhnt ... Nun ja, jedenfalls den Worten nach ... Denn Rolf verzichtet liebend gern darauf, andere zu Wort kommen zu lassen - weil ihn das nur in seinem Sprach-Fluss aufhalten könnte, und man möchte schließlich keine Staus verursachen.

Kocht er? Vom Kochen bekomme ich so gut wie nichts mit, denn das tritt heute so weit in den Hintergrund wie noch nie beim perfekten Dinner. Ich sehe noch den als "perfekten Apfelkuchen" auf den Tisch kommenden Kuchen, und völlig erschöpft greife ich mir an den Kopf, um die sich leise ankündigenden Schmerzen zu unterbinden. Die jedoch verschwinden erst mit dem Auftritt von "Inspektor Barnaby" ein paar Minuten später, denn dieser ist der krasse Gegenentwurf zum anstrengenden - um es milde auszudrücken - ersten Leipziger Gastgeber Rolf. Lieber ein paar TV-Morde als selbst auf Gedanken zu kommen ...

Aber: Den Gästen gefällt dieser Abend. Sagen sie zumindest. Heike und Sophie geben ihm je 9 Punkte, während Clemens und Detlef je eine 7 kängurugleich ins Feld werfen. Ergibt 32 Umdrehungen, die meinen Kopfschmerzschwindel noch erhöhen.

Für die Nächte kann man Rolf nur mehr Ruhe und Gelassenheit und eine kleine perfekte Bescheidenheit wünschen.


Guten Morgen, Gruß Silvia



Sonntag, 27. Januar 2019

27. Januar 2019 - Alternative Fakten: Niemand möchte am Kapitänstisch sitzen


Niemand möchte am
Kapitänstisch sitzen

Am letzten Samstagnachmittag haben sich zwei Drehbuchautoren bei Kaffee und Kuchen und einem kleinen Fläschchen Eierlikör zusammen gesetzt, um die nächste Traumschiff-Folge, die auch die erste mit jenem Florian sein soll, auszuhecken. Während der Eierlikör ganz schön in die Köpfe geht, nimmt man einfach ein paar Dialoge aus anderen Filmen, fragt sich kurz, welcher der engagierten Schauspieler zu welcher Schauspielerin passen könnte und friemelt an einem möglichst banalen, und damit allgemein verständlichem Text. Denn der demnächst noch geneigte Zuschauer möchte berieselt werden, nicht nachdenken müssen, ruhig sorgenlos eine längere Klopause einlegen und dem Inhalt dennoch weiterhin problemlos folgen können. Am Ende von Kaffee und Kuchen und als die Flasche Eierlikör leer ist, ist das Script fertig - und alle weiteren Eierlikör-Trinker, die vor den Fernsehern sitzen werden, können - ob sie schlau sind oder nicht oder überhaupt nicht - der Sendung folgen.

Doch dann taucht ein Problem auf. Das Telefon steht nicht still, denn nach und nach melden sich die Schauspieler bei den Autoren mit ganz speziellen Wünschen. Die sind jedoch alle ähnlich, und das macht die Sache schwierig.

"Ich möchte mir vom neuen Kapitän bitte keine Ratschläge in Sachen Beziehungen holen müssen", ist der verzweifelte Ruf einer künftigen Darstellerin.

"Bitte! - Der neue Kapitän soll mich bitte, bitte nicht aus den Wellen retten. Das wäre absolut unglaubwürdig", meint ein wuchtiger Schauspieler.

"Ich will mich nicht in den Kapitän verlieben müssen", stöhnt ein Sternchen.

Allen gemeinsam ist, dass sie nicht am Kapitäns-Tisch sitzen wollen. Die Drehbuchautoren drehen am Rad, entscheiden sich dann jedoch, dass der neue Kapitän auf dem alten Schiff einen Katzentisch bekommt. An dem kann er problemlos Platz nehmen.

Vieles andere können die Autoren den Schauspielern nicht ersparen, denn irgendwelche Berührungspunkte zwischen Kapitän, Besatzung und Gästen muss es schließlich geben. Muss?

Man könnte vielleicht die Columbo-Methode anwenden, kommt ihnen in den schlauen Sinn: Dieser hat viel, sehr viel über seine Frau gesprochen - aber sie war niemals zu sehen.

So soll es sein, entscheiden sie siegessicher: Man spricht über Kapitän Florian, aber lässt ihn selber überhaupt nicht auftreten.

Voller Freude über diese bahnbrechende Idee öffnen  sie die zweite Flasche Eierlikör ...



Guten Morgen, Gruß Silvia


Samstag, 26. Januar 2019

26. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 7. und letzter Teil



Und plötzlich war alles anders ...

Meine Mutter war schon immer eine recht extravagante Person, und nun, in ihren klaren Momenten, wurde ihr zu deutlich, dass sie im Laufe der Zeit ihre vollständige Persönlichkeit verlieren würde. Die Leute, die sie kannten, würden sie bald schon bemitleiden anstatt wie früher zu beneiden. Das sagte sie mir in diesem kurzen Wiederaufflackern als die Frau, die sie mal war - und die sie auf Dauer nie wieder sein würde. Sie würde auch nicht mehr die Frau sein, die von ihrem Mann vergöttert wurde - denn auch er war nicht mehr derselbe. Konnte irgendeine Situation auf der Welt aussichtsloser sein als ihre und seine? Bei vielen anderen Krankheiten konnte man immer zumindest auf Besserung hoffen, bei dieser nicht - das Dilemma würde sich verschlimmern, mehr oder weniger schnell.

Mir jedoch waren nicht die Hände gebunden, ich konnte handeln. Zunächst einmal machte ich mich über Medikamente kundig, die auch die Schweizer Sterbehelfer benutzten. Wie man daran kommen sollte, war jedoch mehr als schwierig - meine Eltern selber kamen in ihrem Zustand wohl kaum für eine offizielle Sterbehilfe in Betracht. Ihnen fehlte einfach die freie Entscheidung. Ich jedoch war beinahe sicher, dass sich beide genau das wünschen würden ...

Also begab ich mich in die Illegalität. Zunächst einmal durchforstete ich den Computer meines Vaters, um nach entsprechenden Klienten aus seiner Zeit als Rechtsanwalt zu forschen. Wer hatte mit ähnlichen Dingen etwas zu tun gehabt, wer war skrupellos genug, gegen Geld das Erwünschte zu besorgen?

Und welcher seiner "Ganoven" würde mich am Ende hoffentlich nicht erpressen? Es war schon schwieriger, hier eine Linie zu ziehen. Ich musste mich eben auf mein Glück verlassen - oder es darauf ankommen lassen. Diesen letzten Dienst war ich meinen Eltern schuldig - immerhin hatten sie es geschafft, aus mir einen halbwegs vernünftigen Menschen zu machen, der mit beiden Beinen im Leben stand. Und das hieß, auch den Tod nicht völlig zu verdrängen.

Ich wurde bei Dennis Zielke fündig. Er hatte so einiges auf dem Kerbholz, und seine Taten waren breit gestreut. Mein Vater hatte ihn mehrmals verteidigt, aber vor diversen Gefängnisaufenthalten konnte er ihn auch nicht schützen. Offenbar aber lag nun seit etwa sieben Jahren nichts mehr gegen ihn vor - falls er sich keinen anderen Anwalt gesucht hatte, was hier natürlich dann nicht vermerkt gewesen wäre.

Dennis Zielke war sofort bereit, sich mit mir zu treffen. Weil er nur Gutes über meinen Vater erzählen konnte, wie er mir sagte. Und - er war wirklich seit sieben Jahren nicht mehr straffällig geworden ... oder einfach nicht mehr erwischt worden. So genau wusste das natürlich außer ihm selber niemand. Es spielte hier und jetzt auch keine Rolle - viel wertvoller war seine Dankbarkeit gegenüber meinem Vater.

Ich schilderte ihm die aussichtslose Lage meiner Eltern. Erklärte ihm den dringenden Wunsch meiner Mutter ...

... auch ich hatte einen dringenden Wunsch: Ich wollte Luke nicht verlieren - aber wie konnte ich beruhigt nach New York gehen, wenn meine Eltern hier durch eine Hölle gingen und ihr einziges Kind nicht an ihrer Seite wussten? Nicht einmal sie selber würden Seite an Seite durch dieses Jammertal gehen können, weil man sie schließlich trennen würde ...

Ich nannte ihm die Namen zweier Medikamente, er nannte mir seinen Preis (immerhin sei er ansonsten sauber, also könne er es nicht umsonst machen) - und er bat sich eine Woche Zeit aus, um die todbringende Dosis zu besorgen.

Ich wachte schweißgebadet und schuldbewusst auf. Dieser Traum war bedrückend real gewesen, aber er passte so wenig zu mir wie die Tatsache, meine Eltern allein zu lassen in ihrem Leid. Oder passte er doch? Sollte ich ihnen in dieser Art helfen? Irgendwann ... vielleicht ... jetzt noch nicht.

Ich war orientierungslos und taumelte hin und her zwischen dem Gefühl für Luke und dem für meine Eltern. Gerne hätte ich meine Eltern um Rat gefragt, wie ich es früher oft getan hatte. Aber das ging nun nicht mehr ... auch für jeden anderen ihrer Ratschläge war es bereits zu spät.

Ab jetzt nannte ich mich nicht mehr per Understatement Lore, sondern nur noch Lorelei - und wohin mein Weg mich führen würde, was einerseits Luke und andererseits meine Eltern anging,

würde die Zukunft zeigen. Ich würde mich ihr stellen, weil man am Ende gar nicht anders kann als seinem Gewissen und seinem vermutlich vorgegebenen Weg zu folgen.


ENDE

Copyright Silvia Gehrmann


25. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Freitag in Unterfranken bei Hartmut

Vorspeise: Saltimbocca vom Kaninchen an winterlichem Blattsalat, Kräuterseitlinge
Hauptgang: Geschmorte Kalbsbäckchen, Rotweinschalotten, Mandelrosenkohl, Thymian-Parmesan-Gnocchi
Nachtisch: Eiskalter Kuss von der Nuss, White Chocolate-Cheesecake, Gewürzkirschen, Bratapfel


Ein Loblied auf die Freundschaft

und auf die neu gewonnenen Dinner-Freunde, Koch-Kumpel oder Food-Gesellen stimmt Hartmut vorab an, und nicht erst in diesem Moment gewinnt er sicher die Herzen der Zuschauer - und hoffentlich auch die seiner Mitstreiter. Das Herz seines Liebsten Jürgen hat er bereits seit 17 Jahren, und seit 4 Jahren leben beide gemeinsam in einer Wohnung.

Hartmut gibt sich bescheiden, und er schätzt sein Kochniveau zwischen einer 7 und 8 auf einer Skala, die bis 10 ausschlagt, ein. Da hat er noch nicht auf der Rechnung, was ihm seine neuen Freunde am Ende des Abends und am Ende dieser Woche servieren.

Die Erwartungen an einen Freitags-Hobby-Koch sind immer extrem hoch, denn man möchte auch als Zuschauerin an jedem Freitag ein Highlight erleben. Die zugewiesenen Koch-Tage sind sicherlich nie willkürlich gewählt, auch, wenn es beim Casting offenbar kein Vor-Kochen gibt.

Heute wird kein Zuschauer enttäuscht, und am Ende ist die Freude groß. Besonders erwähnen möchte ich Hartmuts Dessert, denn das sieht phantastisch aus - entbindet mich aber nicht von der Aufgabe, hier zu erzählen, dass ich persönlich niemals mehr Kaninchen esse. Dazu gibt es eine Geschichte auf dem Blog, aber hier und heute geht es nicht um meine Stories,

sondern um Hartmuts schönen Dinner-Abend. Der ist von Anfang bis Ende von seiner Herzlichkeit geprägt.

So zücken Katja, Christina und Burkhard  folgerichtig jeweils die Höchstziffer 10. Nur Walid sieht seine Felle noch nicht völlig wegschwimmen:

Seine 8 ist nicht gerade unfair, aber sie lässt eine kleine Möglichkeit offen ... Dumm gelaufen!

Hartmut bekommt nämlich sagenhafte und verdiente 38 Punkte, und damit gewinnt er selbstverständlich.

Ich wünsche Walid sehr, dass sich seine Kochkünste irgendwann seinem Ego angleichen, aber dazu muss er noch viel üben.

Burkhard wird seinen Weg gehen, mal mit, mal ohne eine Freundin. Kommt Zeit, kommt auch die Richtige um die Ecke.

Christina gönne ich von Herzen ein gut laufendes Cafe, in dem sie sich weiter ausprobieren kann und ihre Gäste erfreut.

Auch für Katja nur das Beste und dass Frauen niemals die Lust an schönen Dessous verlieren. Und für alle gemeinsam (und natürlich jeden Leser) wünsche ich ein schönes Wochenende,

das hier mit 6 Grad plus und etwas Nieselregen beginnt - aber wir nehmen es, wie es kommt.


Guten Morgen, Gruß Silvia

Freitag, 25. Januar 2019

25. Januar 2019 - Ruhr-(S)pöttisch



Ruhr-(S)pöttisch

Jeder kennt hier jemanden, der entweder Bergmann war oder im Stahlwerk malocht. Malochen ist der regionale, etwas drastischere Begriff für arbeiten, umschreibt aber auch, dass Arbeit gefährlich sein kann. Natürlich empfinden das Leute, die tagein, tagaus an ihren Schreibtischen sitzen ... ebenso und bedauern nach einiger Zeit den Zustand ihrer Wirbelsäulen. Aber hier im Ruhrpott hat man Rückgrat, da kommt so ein bisschen Wehweh gar nicht gut an und daher wird es mit "Augen zu und durch" umschifft. Gestählt durch die harte Vergangenheit gilt Jammern als ein Gefühl, das eher vom Hörensagen kommt und verpönt ist.

Jeder hier kennt auch mindestens einen Taubenzüchter oder zumindest einen Menschen, der einen dieser Spezies kennt. Ohne Tauben ist das Gebiet nicht rührig genug. Desweiteren machen wir nicht gerne mehr Worte als unbedingt nötig, denn nur das Wichtigste ist erwähnenswert. Nebenbei atmen wir aus lauter Liebe zum Gebiet nicht wirklich gute Luft ein - auch das macht das Palavern unnötig schwer. Lässt man sich doch mal zu einer längeren Ansprache hinreißen, so gilt sie meistens einem Ärgernis, das sich Luft machen will. "Dumme Kuh" oder "Hohle Nuss" ist hier kein Schimpfwort, sondern umgangssprachlich. Trotzdem sollte man vorsichtig sein und die abprallende Wirkung nicht an Ordnungshütern ausprobieren - die sind schon mal zugereist und kennen sich mit unserem Jargon nicht wirklich aus.

Fan sein bedeutet im Ruhrgebiet die heikle Spaltung zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04. Die hebt sich kurzfristig nur dann auf, wenn Borussia mal wieder um einen Titel abseits der Bundesliga kämpft, denn dann rufen auch die Gelsenkirchener "Heja BVB".

Manche mögen sogar Herbert Grönemeyer - aber letztlich war der nur zugereist, lebt sicher nicht mehr in Bochum und beherrscht kein Wort unserer rührenden Sprache. Und Nuscheln gilt hier als Lügen verbreiten. Hier sind der kleine Mann und die kleine Frau zu Hause, und die sind allesamt der Wahrheit verpflichtet. Dass diese schon mal brennend weh tun kann, müssen Durchreisende hier und da leidvoll erfahren. Außerdem muss man hier geboren worden sein, um ein Ruhr-(S)pöttler zu sein. Alles andere zählt nicht.

Angeber sind die Ruhrgebietler in ihrer Gesamtheit überhaupt nicht - und sie mögen auch keine Leute, die ihre Statussymbole zur allgemeinen Bewunderung zur Schau stellen. Das widerspricht der Bescheidenheit des Ruhrgebietlers. Hier trinkt man lieber Bier als Champagner. Und Armut gehört zum Grundbedarf wie der manchmal trockene Humor, der auch nicht überall verstanden wird.

Doch

dies und vieles mehr sind Klischees, die ganz nett sind. Aber nett ist auch eine kleine Schwester ... und die hat sich entwickelt. Wie das nun mal so ist, entwickelt sich nicht jeder zu seinem Vorteil, aber das kann man sehen wie man möchte.

Was ich früher als einen Angriff auf alles Erlernte und Anerzogene verstand, war nur der Klang der Heimat. Und in der wurden gerne Dativ und Akkusativ verwechselt. Mein Vater brachte mich damit regelmäßig zur Weißglut, während meine Mutter verhinderte, dass ich das übernahm. - Heute hört man diese Töne nur noch selten ... und ich bedaure das.

Armut wird auch im Ruhrgebiet nicht mehr hoch angesehen, da sie andere Dimensionen erreicht hat. Früher war der Kumpel nicht gerade mit Reichtümern gesegnet, obwohl seine Arbeit eine der härtesten überhaupt war, für die man in nicht nur seine Knochen, sondern sogar seine inneren Organe kaputtmalochte. Die heutige Armut trifft andere, mal unverschuldet, mal auch selbst herbeigeführt.

Die Luft ist viel besser als es unterstellt wird, und wir haben mehr Grünflächen als jemals jemand glauben würde, der noch nie hier war. Und nach einem langen Waldspaziergang oder einem an Rhein und Ruhr oder auch Emscher kippen wir zwar immer noch gerne unser Bierchen, aber es darf durchaus auch mal Champagner sein.

Im übrigen ist der "Männer-Schnupfen" hier genau so schlimm wie überall. Von wegen keine Wehwehchen zulassen ... das war einmal!

Wie so vieles andere auch. Es gibt keine Schächte mehr, aber die Schicht im Schacht ist immer noch höchst beliebt. Na ja, neudeutsch heißt das eben Chill-Out. Meinetwegen.

Manche Leute hier reden sogar mehr als sie eigentlich sollten ... ich gehöre auch dazu (schließlich muss ich all das nachholen, was meine Vorfahren zu wenig gesprochen haben - dem fühle ich mich verpflichtet), und trotzdem ist jetzt

Feierabend. Oder auch Schicht im Schacht.


Guten Tag, Gruß Silvia

25. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 6. Teil


Kurzgeschichte
Und plötzlich war alles anders

Dr. Manuel Plunger war nicht nur der Internist, sondern auch ein langjähriger Freund meines Vaters, der mich schon kannte, als ich noch ein kleines Stöppken war. Wie oft hatte er mit meinem Vater Schach gespielt, wie oft hatte er mir meine Lieblings-Schokolade mitgebracht - und später hier und da mal ein Kochbuch? All das ging mir durch den Kopf, als ich sein Sprechzimmer betrat - und auf eine simple Erklärung hoffte. Immerhin kannte er meinen Vater nicht allein aus seiner Tätigkeit als Arzt und konnte die aktuelle Lage sicher gut beurteilen und bewerten und prognostizieren. Ich hoffte auf einfache Streitigkeiten unter Eheleuten, die bei meinen Eltern immerhin längst fällig waren ... Allerdings ... Das "blaue Auge" meines Vaters ... Und ihrer beider Aussagen über die Demenz des jeweils anderen?

Sein Gesicht war ernst, als er mich kurz drückte. Dieser Druck fühlte sich an, als solle Kraft von seinem in meinen Körper übergehen. Ich war höchst sensibilisiert und auf alles gefasst.

"Bei deinem Vater ist es mir zuerst beim Schachspielen aufgefallen", erzählte er in seiner ruhigen Art, "ihm fehlte jeder sonst so präsente Siegeswille, er setzte unsinnige Züge ... Na ja, du kannst es dir den Rest denken. Als mir der Verdacht kam, habe ich mich heimlich etwas im Haus umgesehen ... und im Kühlschrank Winterschuhe gefunden. In der Abstellkammer standen noch in Tüten verpackte Lebensmittel jeglicher Art, und sie standen dort schon eine ganze Weile."

Irgendwann gelang es ihm, beide zu einer Untersuchung zu bewegen. "Sie wissen, welche Krankheit sie haben, sie wissen, dass sie Alzheimer haben", sagte er, "und sie haben keinen Einfluss darauf, wie das sich auf sie auswirkt. Dein Vater ist eher depressiv, während deine Mutter höchst aggressiv reagiert. - Wärst du jetzt nicht zurück gekommen, ich hätte dich verständigen müssen ..."

Mir wurde kalt, mir wurde heiß und ich empfand plötzlich ein tiefes Selbstmitleid: Wie sollte ich schaffen, was vor mir lag? Mindestens eine lange Weile dachte ich dann überhaupt nicht an meine Eltern, sondern nur an mich. Das kam alles ungelegen. Das durfte nicht wahr sein. Ich hatte eine glückliche Beziehung, die ganz am Anfang stand, aber nur in weiter Ferne stattfinden konnte - aber ich fühlte langsam die Fesseln, die nach mir ausholten und mich umkrallten.

"Sie haben noch ihre klaren Momente", fuhr Manuel Plunger fort, "aber vermutlich nicht beide gleichzeitig. Und zumindest für eine Weile müsste man beide voneinander trennen - vielleicht sogar so lange, bis sie einander vergessen haben"

Das waren Aussichten! Und ob ich wollte oder nicht, ich war darin involviert. Ich rief Luke an und verabredete mich in einem Cafe, um ihm die bittere und vor allem traurige Wahrheit zu erzählen. Er wusste, es gab hier keinen Trost oder relativierende Worte - also nahm er mich nur in den Arm. Ich wusste schließlich selber kaum noch, was ich sagen oder denken sollte. Wenn es ein Elternteil trifft mit dieser furchtbaren Krankheit, ist dies schon Schicksalsschlag genug - aber gleich beide und dann noch nicht mal nacheinander und in großen Abständen, sondern gleichzeitig?

In den nächsten Tagen erlebte ich meine Mutter auch mir gegenüber als aggressiv. So gut es ging, überhörte ich ihre Schimpf-Tiraden. Immerhin wusste ich, dass es nicht sie selbst war ... Dann jedoch war sie wieder ziemlich klar, für ein paar Stunden zumindest. Aber in diesen Stunden kam es noch schlimmer:

"Ich will mit deinem Vater aus dem Leben gehen", entschied sie,"denn so haben wir uns unseren Lebensabend nicht vorgestellt. Ich könnte jetzt Schlaftabletten besorgen, aber ich will etwas Wirkungsvolleres ... und etwas, das nicht so brutal ist. Du bist an der Reihe - du musst uns etwas besorgen, das uns hilft, von der Welt zu gehen."


Der letzte Teil der Kurzgeschichte folgt

Copyright Silvia Gehrmann

24. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Donnerstag in Unterfranken bei Christina

Vorspeise: Kürbissuppe und Rote Bete-Carpaccio mit Feldsalat und gratiniertem Ziegenkäse mit selbstgebackenem Walnussbaguette
Hauptgang: Rehragout mit Rote Bete-Knödel auf Wirsinggemüse, Kürbis und Glühweinbirne
Nachtisch: Pumpkin (Kürbis)-Pie, Rote Bete-Schokoladensoufflé und Vanilleeis


Christinas Traum

Da hat das Mädel Wirtschaftswissenschaften studiert, und nun träumt sie eher von einem kleinen Cafe, um sich dort ausprobieren zu können. Schon während des Jobbens im Studium hat sie gemerkt, dass es ihr liegt, Gäste zu bewirten und mit Essen und Getränken zu erfreuen. Ich wünsche ihr viel Glück für die Erfüllung ihres Traumes - und dass Amazon nicht alle Innenstädte kaputt macht, und es somit irgendwann auch für Cafes zumindest keine Laufkundschaft mehr geben wird.

Ihr Menü ist von einem roten und einem orangefarbenen Faden durchzogen: Einmal ist die Rote Bete überaus präsent, während der Hokkaido-Kürbis dieser um nichts nachstehen möchte.

Um nichts verlegen ist eher Walid im Vorgespräch, als er neben Burkhard steht - und bekennt, dass er ihn für den bisherigen Spitzenreiter der Woche hält: Ihm selber hat zwar an dem Abend des Heizungsbauers so gut wie nichts geschmeckt, aber die an ihn vergebenen 8 Zähler erlauben ihm natürlich einerseits dieses Urteil, während andererseits der Schleim nur so trieft.

Mit Falschheit kann ich schlecht umgehen. Dann doch lieber den Mund halten - oder einfach mal die Wahrheit raushauen.

Christinas Vorspeise "haut Walid dann komplett um". Während der Pumpkin-Pie sein Highlight des Abends ist. Angeblich soll dieser Kürbis-Kuchen der Lieblingskuchen von "Harry Potter" sein (der natürlich eine fiktive Figur ist, aber Kochbücher um und von fiktiven Figuren erweitern den Erfolg und den Geldsegen). Ich weiß das jedoch nicht, weil ich in irgendeiner Form "Harry Potter" konsumiert hätte (da bin ich vielleicht eine der wenigen), sondern weil kurz ihr Rezept für diesen Kuchen eingeblendet wird.

An diesem Abend, denke ich, gehe ich mit Walid konform und präferiere von den drei Bestandteilen des Menüs ebenfalls den Nachtisch. Im Hauptgang ist zuviel Unruhe drin, um überhaupt beurteilen zu können, ob dieser gelungen ist.

Das sehen die Konkurrenten (ich weigere mich fortan, immer und überall die Gendersprache zu benutzen, es sei denn, sie erscheint mir sinnvoll, ansonsten zerstört sie lediglich jeden Text) anders, denn sie sind hellauf begeistert von diesem Abend, von Christina und ihren Koch- und Backergebnissen:

Insgesamt schafft sie es mit 34 Punkten knapp vor Burkhard an die vorläufige Spitze. Katja und Walid zücken jeweils 8 Zähler, während Burkhard und Hartmut je die 9 spendieren.

Christina kann ich mir gut in einem kleinen eigenen Cafe vorstellen - aber das verlangt nach einen ausgeklügeltem Business-Plan.

Ich habe für heute keinen besonderen Plan - ich lasse mich einfach mal so treiben.


Guten Morgen, Gruß Silvia



Donnerstag, 24. Januar 2019

24. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ...5. Teil

Kurzgeschichte:
Und plötzlich war alles anders ...

Was war während meiner langen Abwesenheit zwischen meinen Eltern passiert? Oder hatten sie nur ihren allerersten Streit? Würden sie sich, wie die meisten, noch vor dem Zubettgehen wieder versöhnen? Doch noch bekam ich keine Antwort, nur weitere Fragen drängten sich auf:

Mein Vater ging am Abend in eines unserer zwei Gästezimmer, meine Mutter in das seit ewigen Zeiten mit ihm geteilten Schlafzimmer. Wortlos ohne Gute-Nacht-Wünsche schloss jeder seine Tür hinter sich. Luke und ich gingen in das andere Gästezimmer, und ich wusste, dass ich eine schlaflose Nacht vor mir hatte. Ich befürchtete, dass dies nicht die einzige sein würde ... Zum Glück überwältigt einen irgendwann doch die Müdigkeit - auch, wenn man im Nachhinein glaubt, man hätte kein Auge zugemacht. Ich schlief schließlich das letzte bisschen Jetlag weg - während um das erste und größere Bisschen meine Eltern mich erleichtert hatten. Wenn ich sie sah und hörte oder nur an sie dachte, konnte nichts anderes mehr Oberhand gewinnen. Auch kein Jet-Lag. Nicht einmal Lukes aufmunterndes Lächeln.

Zuerst traf ich am nächsten Morgen in der Küche auf meinen Vater. Er versuchte, sich einen Tee zuzubereiten - was ihm offensichtlich nicht wirklich gelang. Es scheiterte bereits daran, dass er den Tee im Kühlschrank suchte und Milch anstatt Wasser in den Wasserkocher schüttete. Obendrein sah er tieftraurig aus.

Wo war mein dynamischer Vater? Wo waren seine schwungvollen Reden? Wo war überhaupt noch er hinter dieser geduckten Figur?

"Deine Mutter schlägt mich", sagte er tonlos.

Das musste alles ein Irrtum sein, ich befand mich im Tiefschlaf und träumte einen schier unmöglichen Traum. Niemals würde meine Mutter meinen Vater schlagen - trotz seines "blauen Auges" war das einfach unglaublich.

Aber: Sie hatte ihn verbal schon ziemlich böse abgekanzelt.

"Sie hat Demenz", erklärte er dann. Und zog sich mit seiner im Wasserkocher zubereiteten Milch ohne Tee in sein Zimmer zurück.

Ich stand verdattert minutenlang am selben Fleck. Dann betrat meine Mutter die Küche. Sie schlurfte über den Boden und als sie mich sah, ging ein kleines Lächeln durch ihr Gesicht:

"Gut, dass du da bist - du kannst mir helfen. Dein Vater ist dement."

Ich ließ mich auf den nächsten Stuhl fallen und war kurz vor einem Kreislaufkollaps. Welche Probleme hatten meine Eltern? Sie waren erst 55 und 60 Jahre alt, so dass eine Demenz zwar nicht unmöglich, aber recht unwahrscheinlich war. Und dass sie dann auch noch beide davon betroffen sein sollten -

war noch einmal um einiges unwahrscheinlicher ... oder auch fürchterlicher.

Nach drei Tassen Kaffee machte ich mich mutig auf den Weg zu ihrem Hausarzt.


Copyright Silvia Gehrmann

Fortsetzung folgt

23. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Mittwoch in Unterfranken bei Walid

Vorspeise: Tajine (Eierkuchen mit Thunfisch, Milch, Petersilie, Kurkuma ), Garnelen im Teigmantel mit Soße-Tatar, Salat Mishua
Hauptgang: Lamm-Lachse mit einer dunklen, kräftigen Soße aus Knochen, dazu orientalischer Reis
Nachtisch: Granatapfel mit Zucker und Rosenwasser, Datteln gefüllt mit Mandeln und Butter, Beeren in Rotwein


Die Zehn

ist am Ende einer Skala das äußerst Mögliche, was man erreichen kann, denn besser geht es nicht. Walid, nach seinen Kochkünsten gefragt, ordnet die mit einem Selbstbewusstsein, das man bei anderen lange suchen müsste, als 10 ein. Gut, dann lehne ich mich zurück und lasse mich von den Super-Kochkünsten eines Supermans berieseln und schreibe im Anschluss daran ein paar freundliche Worte, die natürlich voll es Lobes sein werden.

Pustekuchen!

Es liegt zumindest nicht an fehlenden Deutschkenntnissen, dass Walid sich derart hoch oben einordnet, denn nach 12 Jahren in Deutschland (andere Stimmen sagen ca. 13 Jahre, aber er hat ja auch ca. 2 Kinder) spricht der gebürtige Tunesier die Sprache hervorragend. So gut, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind.

Seine Verlobte Marina, mit der er zwei Kinder hat, hat ihn fürs "Promi-Dinner" angemeldet. Sagt er
zumindest, denn er weiß noch nicht, dass man dafür erst den Bachelor oder sonstwas in der RTL-Gruppe geben muss. Dann wird das auch was mit dem Promi-Dinner.

Vorerst befinden wir uns nur beim perfekten Dinner, obwohl ich mir - ohne Kenntnis seiner Gesangskünste - gut vorstellen kann, dass er demnächst in dieser Superstar-Show einen Auftritt hinlegt. Danach direkt ins Dschungel-Camp, denn die brauchen am Lagerfeuer immer einen, der auch kochen kann.

Die Gäste trudeln ein und sind guter Dinge und freuen sich auf ein tunesisches Dinner.

Allein der Vorspeisen-Salat, hier Pampe genannt, hat ihn fünf Stunden seiner Zeit gekostet, gibt Walid preis:

Na ja, wenn man den Gemüse-Einkauf in 150 km Entfernung mit einrechnet, das Verbrennen im Ofen dauert auch - dann kommt das in etwa hin. Ansonsten hält Walid es mit Superlativen und trägt dick auf. Unterdessen lobt er die Majonnaisen-Fabriken, deren Produkt er nutzt. Eine runde Sache, schmeckt für Walid vermutlich wie selbst gemacht.

Kurz vorm Lamm-Hauptgang bringt er ein unappetitliches Thema auf den Tisch: Schächten. Da sein Lamm jedoch aus Neuseeland stammt, ist es nicht geschächtet - wie sonst üblich. Nein, hier ist Schächten nicht üblich, und ich lehne mich weit vor, denn mit Zurücklehnen und leicht und super berieseln lassen wie gehofft, klappt es doch nicht. Die unendlich weite Reise des Lamms, die Umwelt - ihm ist auch das egal!

Dann kommt der Hauptgang so phantasielos auf die Teller wie es eben möglich ist.

Eigentlich verliert er mit jeder Stunde, die vergeht, einen der ihm selbst zugedachten 10 Punkte - und wäre am Ende dann bei wie vielen Minus-Zählern? Denn lang ist sein Dinner-Abend obendrein.

Und lecker, wie er oft Löffel abschleckt und wieder in die Speisen steckt.

Im Nachtisch gipfelt schließlich dieser Abend. Zuerst verstehe ich, dass er die Datteln mit Gummibärchen füllt - und ich bin nicht einmal erstaunt, denn ohne Weiteres wäre es ihm zuzutrauen. Dann höre ich: Es sind Goji-Beeren. Ansonsten ist alles im Dessert Fertig-Kram.

Die Überraschung des Tages jedoch sind die Punkte. Mir wird sogar jetzt noch schwindelig, wenn ich die Ziffer aufschreibe: 32! Selbst die neutrale 7 von Katja ist hoch gegriffen.

Ich kann nur vermuten, was die Konkurrenz zu dieser hohen Punktzahl verleitet hat. Zum Glück kann er damit wenigstens nicht mehr gewinnen.


Guten Morgen, Gruß Silvia


Mittwoch, 23. Januar 2019

23. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 4. Teil

Kurzgeschichte:
Und plötzlich war alles anders ...

Ich war viel zu beschäftigt, um großartig Gedanken an meine Eltern aufkommen zu lassen: Einerseits lernte ich tagsüber in Lukes Küche jede Menge hinzu, und andererseits war ich bis über beide Ohren, mit Haut und Haaren und diesem seltsamen Gefühl in der Magengegend, verliebt. Ich säuselte den Allerliebsten an und fürchtete mich in ruhigen Momenten vor mir selber: War ich auf dem besten Weg, meinen Eltern nachzueifern, die schließlich seit Jahrzehnten in ihrem Glück taumelten? Aber ich beruhigte mich sofort wieder, denn unsere Liebe war so frisch, dass alles andere - wie etwa Streitereien - noch viel Zeit bis zum Ausbruch hatten. Noch störten keine offen gelassenen Zahnpastatuben oder hochgeklappte Klodeckel. Das hatte die Zeit nur bei meinen Eltern verhindert, die meisten anderen erlagen früher oder später dieser Nörgelei an Kleinigkeiten.

Natürlich wollten Luke und ich uns nach den beinahe abgelaufenen eineinhalb Jahren nicht trennen - und er hatte nun mal seinen Lebens- und vor allem Geschäftsmittelpunkt in New York - so stand die Frage im Raum, wie es weiter gehen würde. An eine Heirat dachten wir zwar beide nicht, aber wir wollten auch keine Beziehung über zwei Kontinente führen. Schließlich verlängerte ich mein Arbeitsvisum - mit Lukes Hilfe - und wir wollten es gemeinsam und möglichst schonend meinen Eltern beibringen, dass ich auch weiterhin in den USA bleiben würde.

Das aber konnte ich nicht am Telefon erledigen. Das erforderte ein persönliches Gespräch. Ich avisierte mein Kommen und erzählte, dass ich meinen Freund mitbringen würde. "Ja, ja, mach mal", antwortete meine Mutter recht einsilbig und irgendwie auch eintönig. Sie klang dermaßen gleichgültig am Telefon, dass ich mir letztlich doch ein paar Sorgen zwischen all meinem Liebesglück machte.

Luke und ich landeten an einem 3. Advent in Frankfurt a. M., und wir würden bis nach Silvester bleiben können. Sein Restaurant war in guten und professionellen Händen, und er war bereits sehr gespannt auf meine Eltern. Ich hatte ihn natürlich vorgewarnt, was ihre Liebe anging ... und gemeint, dass es manchmal schwer zu ertragen sei, wie die beiden auch nach Jahrzehnten noch zueinander standen. Da passte kein Blatt dazwischen. Nie hatte es eine größere Liebe gegeben. Das konnte andere Menschen leicht frustrieren.

Und dann war plötzlich alles ganz anders ...

Meine Mutter öffnete die Tür. Alles sah wie immer aus: Die Möbel waren nicht verrückt geworden, alles war gepflegt (sie hatten auch eine gute Putzfrau), es standen ein paar Blumensträuße im Haus verteilt, und meine Mutter lächelte leicht, aber nicht übertrieben - und trotzdem war ihr Blick irgendwie "leer". Am Esstisch erwartete uns mein Vater, und der Tisch war liebevoll gedeckt mit Kuchen und Kaffee und Tee.

Ich umarmte meinen Vater, und erst danach sah ich, dass er ein "blaues Auge" hatte.

Upps, das schien sehr weh getan zu haben ... als er vermutlich gegen irgendeinen Gegenstand gelaufen war. Was sollte ich jetzt dazu sagen? Was würde er gerne hören?

"Ich hoffe, es heilt langsam ...", sagte ich. Mein Vater sah mich traurig an, dann wanderte sein Blick zu meiner Mutter. Sie hatte sich so weit wie möglich von ihm weg gesetzt. Das machte sie sonst bzw. früher nie, aber vermutlich wollte sie wegen Luke, den beide recht freundlich begrüßten, ein wenig Abstand halten. Zumindest am ersten Tag ...

Ich schenkte Kaffee ein, gab jedem ein Stück Kuchen und wollte von meinem Leben in New York erzählen. Dazu kam ich jedoch überhaupt nicht,

denn plötzlich keifte meine Mutter meinen Vater an, und zwar völlig grundlos und aus der Luft gegriffen: "Du sitzt da wie ein Schluck Bier kurz vorm erneuten Wiederhochkommen, setz dich mal vernünftig hin ..."

Luke sah mich an, ich sah ihn an. So hatte er es sich aufgrund meiner Erzählungen nicht vorgestellt. Und, nachdem sich meine Mutter früher oft meinetwegen in einem falschen Film gewähnt hatte,

erging es mir heute so: Was war hier passiert?

Liebe vorbei? Das konnte ich nicht glauben.

Aber die kleinen Gehässigkeiten meiner Mutter gegen meinen Vater gingen weiter, während er tieftraurig und mehr in sich selbst als ins Leben versunken ruhig auf seinem Stuhl saß.

Sie hatte an allem etwas auszusetzen, was meinen Vater anging, und in ihrem Wahn, ihn niederzutrampeln, nahm sie keine Rücksicht darauf, ob es passend war oder nicht oder ob man es überhaupt äußern durfte. Hauptsache, er litt.

Litt er? Ich war mir nicht sicher, ob er ihre Worte überhaupt hörte ... oder ob hier jeder in seiner eigenen Welt lebte.

Dass ich anwesend war und der ihnen noch ziemlich unbekannte Luke, schien sie beide überhaupt nicht zu interessieren.

Mir blieb das Stück Kuchen im wahrsten Sinn des Wortes im Halse stecken. Beinahe hätte ich es ausgespuckt.

Hätte ich sie wohl doch nicht und für solch eine lange Zeit aus den Augen verlieren dürfen?


Copyright Silvia Gehrmann

Fortsetzung folgt

22. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Dienstag in Unterfranken bei Burkhard

Vorspeise: Pimp my Frankensuppe: Klare Rinderbrühe mit Leberklößchen, Flädle und Nudeln
Hauptgang: Frische Lendchen aus eigener Schlachtung, gefüllt mit Bratwurstbrät, dazu Petersilien-Spätzle und Gemüse
Nachtisch: Apfelschnaps, Apfel-Quitten-Kompott, Apfelkrapfen mit Vanille-Soße


Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Burkhard erzählt gerne von Vater, Mutter und vor allem den Großeltern. Die sind schon hoch in den 80er Jahren, aber taugen als Vorbilder allemal. Seine Vorspeisen-Suppe kocht die Oma mehrmals in der Woche, und der Opa meint pfiffig über seine Frau: "Mit der richtigen Frau im Haus brauchst du keinen Zaun".

Das klingt alles sehr ländlich, und so ist es auch. Hier kennt jeder jeden, und Burkhard kennt sowohl die Vor- als auch die Nachteile eines dörflichen Lebens, und die Vorteile überwiegen für ihn.

Manchmal funktionieren hier sogar noch Rauchzeichen: Burkhard zündet ein Lagerfeuer an, und schon kommen seine Kumpel auf ein Bier oder zwei oder ... vorbei. Dass er den Freunden jedesmal ein Dinner serviert, ist nicht zu vermuten - nach eigener Aussage hat er ein Spektrum von 10 Gerichten, die er immer wieder kocht. Und er kocht auch nicht täglich. Oft ist er bei seiner Oma oder Mutter zum Essen.

Bei seinen Großeltern steht eine Schlachtung kurz bevor (nun ist diese Sendung, auch, wenn ich im Präsens schreibe, schon vor einer Weile abgedreht - und ich muss nicht explizit am Donnerstag daran denken ...), und er wird dem Metzger dabei behilflich sein. Hoffentlich zeigt Vox jetzt keine Ausschnitte. Oder? Sollten sie es tun?

Burkhard präferiert natürlich die möglichst leidfreie Tötung. Zumindest scheinen die armen Schweine keine Transportwege zurücklegen zu müssen.

Heute gibt es auch Schwein, Schweinefilet, gekauft beim Metzger. Sehr gut reflektiert Burkhard selber, dass das Fleisch übergart ist. Außer ihm merkt das jedoch niemand. Für Katja ist es sogar "auf dem Punkt".  Walid ist mit anderen Dinner-Bestandteilen unzufrieden, aber nicht mit dem Filet. Ihm schmeckt die Suppe überhaupt nicht -

und auch der apfellastige Nachtisch entspricht nicht seinem Geschmack. Doch der ist Burkhards Highlight an seinem eigenen Dinner-Abend. Er weiß genau, was er kann - und was er nicht so gut kann. Fehlendes kann er immer noch erlernen.

Hartmut ist vollends begeistert von dem 27jährigen "Hobby-Koch" und zückt die Tafel mit der Ziffer 9, während die drei anderen Gäste je die 8 ins Spiel bringen (ja, auch Walid).

Und wieder gibt es jemanden in dieser Woche, der nicht versteht, warum der jüngste Mann in der Runde Single ist: Hartmut. Im Umkehrschluss heißt das: Oh weh, wenn Hartmut mal versteht, warum jemand Single ist.

Insgesamt ist man im Hinblick auf die Partnerwahl in größeren Städten eben besser dran: Es bieten sich viel mehr Möglichkeiten.

Und ich nutze die Möglichkeit, jetzt und sofort zum Ende zu kommen.


Guten Morgen, Gruß Silvia

Dienstag, 22. Januar 2019

22. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 3. Teil


Und plötzlich war alles anders ...

Am Ende all seiner Kritikpunkte, die nur so aus ihm raussprudelten - ansonsten sprach er niemals ein persönliches Wort mit uns Kandidaten - gelangte ich zu der festen Überzeugung, dass ich vermutlich doch den falschen Beruf ergriffen hatte. Ob ich wohl überhaupt auch nur noch ein Spiegelei braten könnte? Ich bezweifelte es hier und da ungemein. Ein Gewinn schien so weit weg zu sein wie die Möglichkeit, dass mein Vater meine Mutter betrog - oder umgekehrt. Gerne hätte ich hier und da die Fähigkeit meiner Mutter besessen, spontan und völlig unerwartet einen Nervenzusammenbruch zu inszenieren - aber ich biss mich durch, ich ließ keine Tränen zu und schon gar keine bitteren. Ich war eben nicht wie meine Mutter, sondern eine junge Frau, die Kummer gewohnt war - und ihn nicht mehr allzu ernst nahm. Sollte ich nicht gut genug für seinen New Yorker Schicki-Micki-Laden sein, so würde ich mir das eben als Auszeichnung zurechtbiegen. Ein bisschen mehr als nur ein wenig hatte ich schließlich von meinen Eltern gelernt, die gekonnt alle jemals aufkeimenden Konflikte schon im Vorfeld als belanglos abschmetterten.

Doch dann - ich konnte es kaum glauben - fand ich mich in seinem Restaurant in New York wieder. Es erschien mir wie ein Traum. Luke Miller hatte sich neben einem Kollegen in etwa meinem Alter auch für mich entschieden. Ich durfte fortan für mindestens eineinhalb Jahre ein Rädchen in seinem großen Getriebe sein und fühlte mich schon wie ein kleines Sternchen, das in die Welt hinaus gezogen war, um irgendwann ganz hell zu leuchten.

Vom Leuchten in den Augen meiner Eltern, als ich ihnen dies verkündete, war jedoch nichts zu erkennen. "Köche scheinen sich sehr wichtig zu nehmen", meinte mein Vater, während meine Mutter immerzu den Kopf schüttelte und mir das Pflaster in New York in den dunkelsten Farben schilderte. Sie kannte sich gut aus in der Welt, obwohl mein Vater um ihre eigene eine Schutzhülle gebaut hatte - durch die nichts Böses drang.

Obwohl es natürlich die eine Ausnahme gab, und die hieß Lorelei. Ich enttäuschte sie, weil ich aus dem Takt ihrer kleinen heilen Welt schlug. Aber sie ließen mich ziehen, und vielleicht waren sie auch froh, endlich ein Stück weit die Verantwortung für mich abzugeben: Ich war zwar bereits 26 Jahre alt, aber was zählten schon die Jahre? In ihren Augen war ich noch immer ihr dummes Kind.

Luke Miller war ein anderer Koch als mein Ausbilder: In seiner Küche wurde nicht gebrüllt, in seiner Küche ging alles seinen ruhigen Gang - und es gab keine Ausreißer dieser Ruhe. Und ich startete erwartungsgemäß als kleines Licht im Schatten eines großen Meisters.

Inzwischen hielt ich mit meinen Eltern natürlich einen stetigen Telefonkontakt. Sie vermissten mich, und das freute mich natürlich. Ich hätte wohl schon viel früher einmal aus ihrem Horizont ausbrechen sollen. Doch im Laufe der Zeit wurden die Telefon-Gespräche seitens meiner Eltern immer kürzer, und ihnen fehlte irgendwann auch jede Herzlichkeit. Nur: Es geht uns gut. Zieh dich warm an. Zieh keine Miniröcke an. - Fertig.

Ich vermutete, dass sie noch immer sauer über meine Berufswahl waren - und mir nun eben nachtragend ein bisschen Kälte zukommen ließen.

Zudem war ich mit etwas anderem mehr als beschäftigt: Luke! Vielleicht war sein Laden ein wenig Schicki-Micki, aber er selber war ein bodenständiger Mensch mit vernünftigen Ansichten und keineswegs abgehoben. Ich hatte ihn falsch eingeschätzt während der Challenge - in der er sich natürlich mit Absicht verstellt hatte. Nun lernte ich Luke näher kennen - und

wir verliebten uns ineinander.

Auf meiner Wolke Sieben schwebend, vergaß ich meine Eltern oder vernachlässigte vielmehr die Telefonate. Von selber meldeten sie sich auch nicht, was mich jedoch keineswegs in irgendeiner Form beunruhigte ...

Ich hätte ruhig ein bisschen sensibler sein sollen ...


Copyright Silvia Gehrmann

Fortsetzung folgt



21. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Montag in Unterfranken bei Katja

Vorspeise: Ravioli mit Gorgonzola, Birne und Walnüssen, dazu Basilikum-Walnuss Pesto, Walnussbutter auf Faltbrot
Hauptgang: Saltimbocca alla Romana, Rosmarinkartoffeln, Erbsen-Minz-Püree
Nachtisch: Schokoladen-Pannacotta auf Orangenspiegel, Tiramisu-Türmchen


Mehr als nur drei Walnüsse

benötigt Katja für ihre nuss-durchzogene Vorspeise, und ich muss sofort an das Märchen "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" denken, das in jedem Dezember auf allen Kanälen rauf und runter läuft. Katja selber würde mit ihren tiefschwarzen Haaren eher als Schneewittchen durchgehen, während sie auch einer Rapunzel nicht unähnlich ist:

Wallend fallen ihre Haare hinunter - doch nicht von einem Turm, um den Liebsten an den Haaren herbeizuziehen, sorry: hochzuziehen - sondern über Töpfe und Pfannen.

Gemeinsam ist den drei Märchenfiguren, dass sie ein schweres Schicksal zu bewältigen haben - aber am Ende wird stets alles gut.

Katja hat hoffentlich kein böses Schicksal, sondern immer viel Freude mit ihren Kundinnen in ihrem Dessous-Laden. Dort ist ihr noch nie die "perfekte Frauen-Figur" begegnet, und mit Silikon gefüllte Brüste seien sogar schwierig für die BHs, da eine Brust in die Körbchen hineinfallen möchte, Silikon aber standfest ist und nicht plumpst. Das sind Herausforderungen, denen sich nicht jeder stellen muss ...

Sehr liebevoll spricht sie über ihre beiden erwachsenen Söhne: Beinahe fließen ein paar Tränchen vor lauter Liebe, und das kann man gut verstehen.

Bei den Vorbereitungen zu ihrem Menü fallen nicht gerade Zuschauer-Tränen, aber vom Hocker reißt es auch nicht. Zweimal wurde ich bei der Ansicht der Sendung gestört - und vermutlich habe ich in diesen längeren Minuten Wesentliches verpasst, oder eben auch nicht.

Ich bekomme mit, dass sie via Facebook einen Koch-Club gegründet hat: Reihum kochen fünf Frauen für die jeweils anderen. Ganz nach dem Muster des "perfekten Dinners". Ob auch bewertet wird, ist nicht bekannt, wäre aber für die Mühe sicher sinnvoll.

Katja bekommt am Ende 30 Zähler, je 8 von Burkard und Walid, je 7 von Christina und Hartmut. Das ist eine ansehnliche Zahlenreihe für ihr Dinner.

Besonders der Hauptgang sieht nach einigen Fehlern aus, und der größte ist sicher, dass die Rosmarinkartoffeln nicht durchgegart sind. Aber die mussten rasch auf den Tisch - sonst wäre der Rest kalt geworden. Immerhin kocht sie erst seit ca. 3 Jahren intensiver,

was die Frage aufwirft: Womit hat sie ihre Söhne großgezogen? Doch womit auch immer, es hat funktioniert.


Guten Morgen, Gruß Silvia




Montag, 21. Januar 2019

21. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 2. Teil



2. Teil
Und plötzlich war alles anders ...

Meine Mutter bekam einen ihrer oft geübten Nervenzusammenbrüche (die galten ausschließlich und exklusiv mir), und mein Vater konzentrierte sich ausnahmsweise völlig auf mich, indem er versuchte, mich von diesem abwegigen Gedanken abzubringen. Er verschwendete etwa 5000 Wörter an mich, von denen mich jedes einzelne nur noch mehr in meinem Wunsch bestärkte, Köchin werden zu wollen. Schließlich und als ihm keine weiteren Argumente mehr einfielen, kümmerte er sich um die armen Nerven meiner Mutter. Sie weinte, nein, sie schluchzte herzerweichend und er tröstete sie, führte mir aber gleichzeitig deutlich vor Augen, was ich (wieder einmal) angerichtet hatte.

Zum Glück war ich eine Volljährige mit einem mittelprächtigen Abitur in der Tasche und keine 14jährige, die die geringste Schulbildung gewählt hatte und dann einen bedeutenden Schritt in Richtung Selbstständigkeit wagte. Allerdings war ich nicht sicher, ob man mich nicht nur bis zum Abitur durchgeprügelt hatte, natürlich nur im bildlichen Sinne. Meine Eltern betonten gerne, wie sehr sie Gewalt verabscheuten - und meinten damit lediglich die körperliche. Ihre seelischen Gewaltanwendungen bemerkten sie eher nicht, und daher war das auch keine Gewalt. Ich liebte sie trotzdem von ganzem Herzen, aber allein ihre stetige Turtelei war derart realitätsfern, dass ich

in meiner Ausbildungs-Küche und in den ersten Tagen dachte, ich gehe jetzt durch die Hölle. Dort herrschte ein rauer Ton, oft wurde geschrien, und ich wunderte mich, dass der Koch nicht mit einer Peitsche dem Gulasch den Takt vorgab, oder vielmehr denen, die diesen kochten. Aber nach einer kurzen Weile entspannte ich mich und genoss die Art der Kollegen, die so völlig unterschiedlich zu der meiner Eltern war. Hier würde ich durch eine gute Schule gehen, durch jene, die der Mensch auch hin und wieder braucht, um nicht dem Irrtum zu erliegen, das Leben sei nur rosarot.

Meine Mutter sprach ein paar Wochen kein einziges Wort mit mir, mein Vater betrachtete mich über den Rand einer Brille als würde er überlegen, ob ich vielleicht doch nicht sein Kind sei ... aber zum Glück konnte er sich nicht wirklich vorstellen, dass hier und mit mir etwas völlig schief gelaufen war und ein Kuckuck mich in ein gemachtes Nest gesetzt hätte. Letztendlich fanden sie sich damit ab, wenn auch nicht gern oder sogar höchstzufrieden. Sie hofften wohl doch noch, dass ich alle Kochlöffel aus der Hand legen würde ... und mich wirklich wichtigen Dingen widmen würde.

Wider Erwarten, auch meiner eigenen, schloss ich die Ausbildung nach drei Jahren erfolgreich ab. Ich hatte meine Berufung gefunden, und die sollte mich weiterführen, als nur in die Gulasch-Küche meiner Ausbildungsstätte. Ich wollte höher hinaus. Ich wollte kreativ wie eine Malerin werden, und dafür ackerte ich hart.

Nach ein paar Jahren hatte ich es zur Sou-Chefin eines Sternelokals gebracht. Das vergrößerte jedoch keineswegs den Respekt, den meine Eltern meinem Beruf zubilligten: Meine Mutter wähnte sich im falschen Film, während mein Vater nur ein müdes Lächeln für meine Gehaltsabrechnungen übrig hatte. Aber sie lebten weiterhin ihre Traum-Liebe, während ich mich auf meinen Traum-Beruf konzentrierte.

Mit 26 Jahren sah ich meine große Chance gekommen: Ein bedeutender New Yorker Koch mit deutschen Wurzeln suchte in Deutschland einen Koch oder eine Köchin, die bei ihm arbeiten wollte. Das lief über keine einfache Bewerbung inklusive ein paar Fotos von besonders gekonnt zubereiteten Dinnern. Nein, es war schwieriger,

denn es gab zunächst ein Casting mit dem eher üblichen Bewerbungs-Kram, und dann mussten wir - ja, Hurra, ich war unter den Ausgewählten - gegeneinander kochen und Luke Miller, so hieß der Koch aus New York, kam extra rüber geflogen, um selber seine Auswahl zu treffen.

Es waren 10 harte Tage, in denen ich den Zuspruch meiner Eltern mehr denn je gebraucht hätte, aber der blieb aus. Sie nannten solch einen Wettbewerb "pillepalle" - eigentlich ein Wort, das im Sprachschatz meiner Eltern nicht vorkam, das sie aber hier für angemessen hielten.

Luke Miller war ein Mann von 35 Jahren, und während des Wettbewerbs war er sehr förmlich, nicht verbindlich und er kritisierte an jeder Kleinigkeit im Detail herum, bis auch bei mir der Wunsch größer wurde, den Kochtopf aus der Hand zu nehmen - oder ihn besser noch gefüllt an die nächste Wand zu schmettern.

Doch ich biss die Zähne zusammen. Ich war durch die harte Schule meiner Eltern gegangen - denn wenn man sich immer als 5. Rad am Wagen betrachtet, so ist das einfach hart. Ihr Harmonie-Betrieb in allen Lebenslagen hatte mich so oft gestört wie mich jetzt die viele Kritik von Mr. Superschlau Luke Miller störte - aber wenn sie mich nicht untergekriegt hatten, so würde es auch ihm nicht gelingen.


Copyright Silvia Gehrmann

Fortsetzung folgt


Sonntag, 20. Januar 2019

20. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 1. Teil


Und plötzlich war alles anders ...

Meistens stapele ich tief, wenn ich mich Lore nenne. Mein wirklicher Taufname ist etwas heikel und war schon in meiner Schulzeit ein Aufhänger für Mobbing-Attacken. Hauptsache, der Name erinnerte meine Eltern immer an die schöne Zeit dort, und an ihre Heldentat, sich entschieden zu haben, ein weiteres Wesen in ihr Leben zu lassen. Denn eigentlich waren sie sich selber immer genug. Sie hatten mehr als ausführlich damit zu tun, sich intensiv umeinander zu kümmern, und dies mit aller Leidenschaft. Ich kenne sie nur glücklich einander anstrahlend und niedliche Koseworte flüsternd.

Nur mein Name, nein, den finde ich selber nicht niedlich. Aber meine Eltern hatten es so festgelegt, folglich heiße ich Lorelei. Selber hießen sie Renate und Klaus. Ihre Eltern hatten sich eben nicht so viele Gedanken wie meine gemacht. Jedes Mal, wenn sie mich riefen, entzückte es sie - und sicher nicht, weil sie mich damit meinten, sondern die Erinnerung an ihre zwei Wochen an der Lorelei. Das muss ein Rausch all ihrer Sinne gewesen sein. Für mich war es ein Pech, dass ich dort entstanden war - oder dass zumindest meine Eltern sich das einredeten.

Natürlich liebten meine Eltern mich, und das habe ich niemals irgendwem gegenüber bestritten. Sie liebten nur sich selber noch mehr, noch bedingungsloser. Und sie waren mir gegenüber in keiner Weise verblendet und fanden nie, dass ich das schönste je geborene Baby war noch das schönste junge Mädchen, das herumlief. Hoch aufgeschossen und dünn wie eine Bohnenstange sahen sie mich, wie ich wirklich war - zumindest meistens. An die Schönheit meiner Mutter konnte ich nicht heranreichen, und auch der Intellekt meines Vaters schien mir nicht zugänglich zu sein. Ich war ein einfaches Mädchen,

das manchmal den Eindruck gewann, es störe hier und da gewaltig in dieser Liebesbeziehung meiner Eltern untereinander.

Durch den Magen meines Vaters konnte diese Liebe nicht gehen, denn meine Mutter hasste es, zu kochen. Vermutlich bin ich ausschließlich mit Baby-Brei-Fläschchen groß geworden. Immerhin kannte meine Mutter alle Restaurants, in denen man vorzüglich essen konnte. Meistens nahmen sie mich jedoch nicht mit - ich störte mal wieder und öfter.

Weil ich hungrig war, begann ich eines Tages selber zu kochen. Der Hunger kann ein guter Lehrer sein, denn, wenn meine Mutter doch einmal kochte - schmeckte es nicht wirklich. Mein Vater meinte dazu, dass man sie lieben musste, um ihr Essen genießen zu können. Liebte ich sie zu wenig, oder war ich einfach nur realistischer als diese beiden ewigen Turteltauben?

In der Schule gab es inzwischen die ersten Scheidungskinder und gleich darauf die ersten, die in Patchworkfamilien lebten. Diese Abenteuer waren für mich unerreichbar, und noch schlimmer war es, dass ich in diesen Fällen überhaupt nicht mitreden konnte. Bei uns zu Hause gab es keine Streitereien, es gab nur ewige Harmonie. Manchmal war es dadurch arg langweilig.

Also kochte ich weiter und weiter und perfektionierte mein Talent. Denn dass es ein Talent war, gestanden mir meine Eltern zu. Mit siebzehn schenkten sie mir meinen ersten Koch-Kurs bei einem ziemlich wichtigen und sogar berühmten Koch. Trotzdem: Ich sollte das Abitur machen. Und Rechtsanwältin werden und somit in die Fußstapfen meines Vaters treten.

Zwischen Himmel und Erde legte ich mein Abitur mehr schlecht als recht ab,

und sogar mein Vater meinte nach Ansicht meines Abiturzeugnisses, dass ich wohl für Jura kein Talent hätte. Er schien doppelt ratlos: Denn da mir für das eine wohl wirklich das Talent fehlte, suchte er vergeblich nach einem anderen Studienfach, in dem ich vielleicht brillieren konnte.

Es folgte ein heißer Kampf am heimischen Herd. Ich tischte jeden Tag etwas Besseres als am Vortag auf, um ihnen vor Augen zu führen, wozu mein Talent reichte. Ich wollte Köchin werden.

Das Entsetzen war groß: Der Vater Akademiker, die Mutter seine große Liebe (der Job ihres Lebens) - und ich wollte ausgerechnet lernen, wie man für fremde Leute kochte? Sie warfen sich einander tröstend in die Arme, meine Mutter schluchzte, mein Vater nannte mich "Schwarzes Schaf", während ich ihnen

triumphierend meinen Ausbildungs-Vertrag unter die Nase hielt. Das Papier schien zu stinken, sie wichen vor ihm aus, als hätte der Vertrag etwas Unangenehmes, ja Skandalöses oder sogar Unmoralisches.


Copyright Silvia Gehrmann

Fortsetzung folgt


Samstag, 19. Januar 2019

19. Januar 2019 - 100 Dinge, die man sich verkneifen sollte ... 13. Warnung: Das Leben zu ernst nehmen

Foto: S. B.

100 Dinge, die man sich verkneifen sollte:
13. Warnung

Das Leben zu ernst nehmen

Das Leben mit all seinen Machenschaften kann schon mal den größten Phlegmatiker aus der Höhle der Gleichgültigkeit holen und ihn mächtig durchschütteln. Doch dank seiner lang gelebten stoischen Gelassenheit wird er vermutlich selbst den stärksten Sturm überstehen - irgendwie, auch wenn er ein paar Blessuren davon trägt und sich schwer wundert, wie ihn solch ein Schicksal treffen konnte. Doch leichte bis mittelschwere Zorneserregungen werden ihn auch in Zukunft nicht tangieren oder nachhaltig beschäftigen.

Für viele Dinge im Leben ist Phlegmatismus ein Lösungsansatz, um unwichtigen Ereignissen keine Wichtigkeiten zuzuweisen, die ihnen im Nachhinein niemals zugestanden hätten. Wenn es heute regnet und man sich darüber ärgert, weil man eigentlich in den Biergarten gehen wollte - so what. Das ist erstens morgen vergessen, und zweitens gibt es auch Lokale, die Dächer haben. Und wenn es nicht allzu kalt ist, kann man mit dem Bierglas in der Hand im Regen tanzen.

Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen? Warum eigentlich nicht? Mit einem bisschen Abstand liest und bearbeitet sich manches Problem viel schneller ... als es gleich und sofort in Angriff zu nehmen.

Passiert dann etwas, das derart auch nur dir passieren konnte, duck dich weg, denn so wichtig bist du nicht im Universum, dass es sich um  spezielle Unglücke für dich höchst persönlich kümmert. Dann und wann bekommt jeder mal sein Ziegelsteinchen auf den Kopf,

und sollte es dann doch eher ein Ziegelstein sein, gehe tapfer weiter. Es kommen immer bessere Tage, es kommen immer Lösungen. Ausgenommen sind nur die finalen Schläge, für die es zwar keine Lösungen gibt, aber die unausweichlich und selbstverständlich und natürlich jeden treffen müssen:

Der Tod.

Bis dahin machen

wir uns aber ein schönes Leben. Kein sorgloses ist schön, sondern eines, das man nicht so ernst nimmt.

Ob kleine Schicksalsschläge am Ende dazu taugen, für die großen zu üben - muss jeder für sich selbst heraus finden.

Aber die wirklich kleinen Unwägbarkeiten soll man auch nicht ernster nehmen als sie sind. Bei minimalen Glücksfällen und -momenten jedoch sollte man mit beiden Händen zugreifen:

Sie stärken für den nächsten Regen

oder die nächste furchtbar miese Laune.


Guten Tag, Gruß Silvia

18. Januar 2019 - Vox - Das perfekte Dinner - Freitag im Schaumburger Land bei Jessica


Vorspeise: Dreierlei vom Rinderfilet: Carpaccio, Tatar mit Trüffel und Wachtelei, Steinpilz-Süppchen, dazu rustikales Knoblauchbrot mit Parmesan und Schnittlauch
Hauptgang: Geschmorte Kalbsbäckchen mit getrüffeltem Kartoffelstampf, karamellisierten Ofentomaten, einer Rotwein-Kalbsfond-Jus und einem Petersilien-Sellerie-Püree
Nachtisch: Karamell-Fleur-de-sel-Eis mit einer französischen Apfeltarte Tartin


Stille Wasser sind tief.
Sind sie das?

An jedem Abend in dieser Dinner-Woche war ich pünktlich um 19.00 Uhr zur Stelle und habe bis 20.00 Uhr mal nur ausgeharrt, mal mich gut unterhalten gefühlt - aber heute kocht die mir unbekannte Jessica. Wurde überhaupt ein vollständiger Satz, den sie gesagt hat, gesendet? Ich gucke auf den Kalender, um sicher zu sein, dass heute Freitag und nicht Montag ist -

denn Jessica kenne ich gar nicht. So soll es auch bleiben an diesem letzten Dinner-Tag in dieser Woche. Zwar sehe ich kurz ihren Mann Anton, sie erzählt von ihren beiden Hunden und dass sie Food-Bloggerin ist. Genau an diesem Abend bekommt ihre Schwester (Name? Keine Ahnung. Geburt verschweigen? Klappt wohl nicht.) ein Baby -

und man kann sich vorstellen, dass manch anderer Teilnehmer vor Begeisterung - allein, dass die Schwester die Geburt gut überstanden hat, ist schon einen Freudentaumel wert - Luftsprünge gemacht hätte. Jessica ist nicht so extrovertiert. Sie freut sich eher innerlich ... Trotzdem kocht sie für ihre Gäste und das Fernseh-Publikum öffentlichkeitswirksam.

Besonders im Hinblick darauf, dass sie übers Essen bloggt, sind ein paar Fehler enthalten, die nicht mal mir passieren (und ich bin ganz sicher keine Meisterköchin). Im einzelnen möchte ich die nicht aufführen, denn ich halte es heute mit Jessica und sage wenig. Weniger ist schließlich manchmal mehr, außer man hat wenig Ahnung. Dann ist mehr davon eben doch besser.

Devin schmettert, nein er singt ganz leise und sanft, noch einmal sein Lied von der "einen unter Millionen" - leider gibt es einen ähnlichen Song bereits, besonders was die Refrainzeile angeht. Er ist dennoch ein überaus sympathischer junger Mann,

der von Vox - passiert das erstmals? - sogar zum Sieger der Herzen gekürt wird.

Denn den Jackpot mit dem Inhalt von 3.000 Euro gewinnt er nicht.

Nachdem Jessica 33 Punkte absahnen darf, ist klar, dass Elmar mit einem Zählerchen mehr die Chose gewinnt.

Der andere Gewinner des Abends, ach, was sage ich, der ganzen Woche - ist das Wort "Tatsächlich". Das hat doch tatsächlich das Wörtchen "Genau" in der inflationären Nutzung abgelöst und zieht weiter ... vermutlich in die nächste Woche ...

Ich wünsche allen ein schönes Wochenende. Elmar viel Vergnügen beim Geldausgeben, Devin einen Manager und Julia natürlich gute Besserung. Für was auch immer.


Guten Morgen, Gruß Silvia

Freitag, 18. Januar 2019

18. Januar 2019 - Mein Lieblingsdichter Heinrich Heine

Alle Auszüge aus Gedichten
in diesem Beitrag stammen von Heinrich Heine


Mein Lieblings-Dichter
Heinrich Heine

Am 17. Februar 1856 (geboren vermutlich am 13. Dezember 1797) starb der in Düsseldorf als Harry Heine geborene spätere Dichter, Denker, Lyriker, Journalist  und auch Polemiker. Heine gilt als Dichter der Romantik, doch wenn man in seinen Gedichten den heute allgegenwärtigen Kitsch sucht,

muss man feststellen: Der ist eher ein Zeichen der Jetzt-Zeit, und Heine hätte sich vermutlich mehr als nur ein simples Magengeschwür geholt, wenn er manche Ergüsse lesen könnte, die derzeit in den sozialen Medien kursieren und mehr Schmalz enthalten als eine Schmalz-Fabrik im Jahr produzieren kann. Kunst kommt eben immer noch von Können - und nicht von Wörtern, die sich auf Teufel komm raus mit anderen Wörtern zu Reimen zusammen setzen - und über die man nur Tränen vergießen kann, weil sie einfach miserabel sind.

Als jüdischer Emigrant musste er nach Paris flüchten, um dem Antisemitismus zu entkommen, aber auch der heimischen Zensur. Später trat Harry Heine, der sich nun Heinrich oder auch Henri nannte, zum Christentum über - aber seine Taufe machte ihn eher zynischer als froh.


"Meine Wünsche sind eine bescheidene Hütte, Milch und Butter, vor der Tür einige schöne Bäume - und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, lässt er mich die Freude erleben, dass an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden."


Welchen sechs bis sieben Leuten diese Zeilen gegolten haben, konnte ich nicht in Erfahrung bringen und sie sind wohl ohnehin nur eine sinnbildliche Zahl, die sich beliebig erweitern ließe in Heines umtriebigen Leben. Die Zeilen:

"Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht."

sollen allerdings vor allem seiner in Düsseldorf lebenden Mutter gegolten haben. Dass dies als kleiner Seitenhieb auf politische Zustände verstanden wurde und wird, war ihm vermutlich auch ganz recht. Und dieses Zitat passt in jede Zeit, wenn man es so möchte ... aber eben auch zu der als von ihm als bitter empfundenen Trennung von seiner Mutter.

Narretei

Ich habe sie verlacht, bei Tag und bei Nacht,
So Männer wie Frauenzimmer,
Ich habe große Dummheiten gemacht -
Die Klugheit bekam mir noch schlimmer.

Die Magd ward schwanger und gebar -
Wozu das viele Gewimmer`
Wer nie im Leben töricht war,
Ein Weiser war er nimmer. ...

Um der eigenen Klugheit und dem überspringenden Intellekt und auch seiner durchweg intellektuellen Gesellschaft ein wenig zu entkommen, ging er eine Liaison mit einer eher einfachen Frau ein, deren Name Auguste war, und die er Mathilde nannte. Heine liebte das "dicke, gute Kind" - wie er sie nannte. 1841 heiratete er sie.

Ein Dichter im Freiflug mit einer Phantasie, die er in passende Worte umsetzen konnte.

Verkehrte Welt

Das ist ja die verkehrte Welt,
Wir gehen auf den Köpfen!
Die Jäger werden dutzendweis'
Erschossen von den Schnepfen.

Die Kälber braten jetzt den Koch,
Auf Menschen reiten die Gäule;
Für Lehrfreiheit und Rechte des Lichts
Kämpft die katholische Eule. ...

Germanische Bären glauben nicht mehr
Und werden Atheisten;
Jedoch die französischen Papageien,
Die werden gute Christen.  ...

Und so könnte ich weiter und weiter in Heines Gedichten stöbern - was ich von Zeit zu Zeit auch mache - und kann dort jedes einzelne Gefühl, das auf dieser Welt herumfleucht und glücklich, froh oder auch traurig macht, entdecken. Es war viel los, in diesem Kopf Heinrich Heines - und viel hat sich abgespielt zwischen seinen Gehirnwindungen. Das ist noch heute lesenswert, denn ein jeder wird sich hier und da wiederfinden, ohne jemals die

Schreib-Intensität eines Heinrich Heine erlangen zu können. Aber dafür hat er all das für immer aufgeschrieben: Um andere zu erfreuen, manchmal auch zu ärgern - oder frustriert ein paar Parolen zu schwingen.

Der Brief, den du geschrieben,
Er macht mich gar nicht bang;
Du willst mich nicht mehr lieben,
Aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!
Ein kleines Manuskript!
Man schreibt nicht so ausführlich,
Wenn man den Abschied gibt.


Und noch ein letztes halbes Gedicht:

Schaff mich nicht ab, wenn auch den Durst
Gelöscht der holde Trank;
Behalt mich noch ein Vierteljahr,
Dann hab auch ich genug.  ...

Harry Heine, ein Dichter der Herzen, der Moral, der Unmoral, der Politik, der Ablehnung derselben und tausenderlei Möglichkeiten. Der Dichter meines Herzens.


Guten Tag, Gruß Silvia