Sonntag, 20. Januar 2019
20. Januar 2019 - Kurzgeschichte: Und plötzlich war alles anders ... 1. Teil
Und plötzlich war alles anders ...
Meistens stapele ich tief, wenn ich mich Lore nenne. Mein wirklicher Taufname ist etwas heikel und war schon in meiner Schulzeit ein Aufhänger für Mobbing-Attacken. Hauptsache, der Name erinnerte meine Eltern immer an die schöne Zeit dort, und an ihre Heldentat, sich entschieden zu haben, ein weiteres Wesen in ihr Leben zu lassen. Denn eigentlich waren sie sich selber immer genug. Sie hatten mehr als ausführlich damit zu tun, sich intensiv umeinander zu kümmern, und dies mit aller Leidenschaft. Ich kenne sie nur glücklich einander anstrahlend und niedliche Koseworte flüsternd.
Nur mein Name, nein, den finde ich selber nicht niedlich. Aber meine Eltern hatten es so festgelegt, folglich heiße ich Lorelei. Selber hießen sie Renate und Klaus. Ihre Eltern hatten sich eben nicht so viele Gedanken wie meine gemacht. Jedes Mal, wenn sie mich riefen, entzückte es sie - und sicher nicht, weil sie mich damit meinten, sondern die Erinnerung an ihre zwei Wochen an der Lorelei. Das muss ein Rausch all ihrer Sinne gewesen sein. Für mich war es ein Pech, dass ich dort entstanden war - oder dass zumindest meine Eltern sich das einredeten.
Natürlich liebten meine Eltern mich, und das habe ich niemals irgendwem gegenüber bestritten. Sie liebten nur sich selber noch mehr, noch bedingungsloser. Und sie waren mir gegenüber in keiner Weise verblendet und fanden nie, dass ich das schönste je geborene Baby war noch das schönste junge Mädchen, das herumlief. Hoch aufgeschossen und dünn wie eine Bohnenstange sahen sie mich, wie ich wirklich war - zumindest meistens. An die Schönheit meiner Mutter konnte ich nicht heranreichen, und auch der Intellekt meines Vaters schien mir nicht zugänglich zu sein. Ich war ein einfaches Mädchen,
das manchmal den Eindruck gewann, es störe hier und da gewaltig in dieser Liebesbeziehung meiner Eltern untereinander.
Durch den Magen meines Vaters konnte diese Liebe nicht gehen, denn meine Mutter hasste es, zu kochen. Vermutlich bin ich ausschließlich mit Baby-Brei-Fläschchen groß geworden. Immerhin kannte meine Mutter alle Restaurants, in denen man vorzüglich essen konnte. Meistens nahmen sie mich jedoch nicht mit - ich störte mal wieder und öfter.
Weil ich hungrig war, begann ich eines Tages selber zu kochen. Der Hunger kann ein guter Lehrer sein, denn, wenn meine Mutter doch einmal kochte - schmeckte es nicht wirklich. Mein Vater meinte dazu, dass man sie lieben musste, um ihr Essen genießen zu können. Liebte ich sie zu wenig, oder war ich einfach nur realistischer als diese beiden ewigen Turteltauben?
In der Schule gab es inzwischen die ersten Scheidungskinder und gleich darauf die ersten, die in Patchworkfamilien lebten. Diese Abenteuer waren für mich unerreichbar, und noch schlimmer war es, dass ich in diesen Fällen überhaupt nicht mitreden konnte. Bei uns zu Hause gab es keine Streitereien, es gab nur ewige Harmonie. Manchmal war es dadurch arg langweilig.
Also kochte ich weiter und weiter und perfektionierte mein Talent. Denn dass es ein Talent war, gestanden mir meine Eltern zu. Mit siebzehn schenkten sie mir meinen ersten Koch-Kurs bei einem ziemlich wichtigen und sogar berühmten Koch. Trotzdem: Ich sollte das Abitur machen. Und Rechtsanwältin werden und somit in die Fußstapfen meines Vaters treten.
Zwischen Himmel und Erde legte ich mein Abitur mehr schlecht als recht ab,
und sogar mein Vater meinte nach Ansicht meines Abiturzeugnisses, dass ich wohl für Jura kein Talent hätte. Er schien doppelt ratlos: Denn da mir für das eine wohl wirklich das Talent fehlte, suchte er vergeblich nach einem anderen Studienfach, in dem ich vielleicht brillieren konnte.
Es folgte ein heißer Kampf am heimischen Herd. Ich tischte jeden Tag etwas Besseres als am Vortag auf, um ihnen vor Augen zu führen, wozu mein Talent reichte. Ich wollte Köchin werden.
Das Entsetzen war groß: Der Vater Akademiker, die Mutter seine große Liebe (der Job ihres Lebens) - und ich wollte ausgerechnet lernen, wie man für fremde Leute kochte? Sie warfen sich einander tröstend in die Arme, meine Mutter schluchzte, mein Vater nannte mich "Schwarzes Schaf", während ich ihnen
triumphierend meinen Ausbildungs-Vertrag unter die Nase hielt. Das Papier schien zu stinken, sie wichen vor ihm aus, als hätte der Vertrag etwas Unangenehmes, ja Skandalöses oder sogar Unmoralisches.
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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