Kurzgeschichte:
Und plötzlich war alles anders ...
Ich war viel zu beschäftigt, um großartig Gedanken an meine Eltern aufkommen zu lassen: Einerseits lernte ich tagsüber in Lukes Küche jede Menge hinzu, und andererseits war ich bis über beide Ohren, mit Haut und Haaren und diesem seltsamen Gefühl in der Magengegend, verliebt. Ich säuselte den Allerliebsten an und fürchtete mich in ruhigen Momenten vor mir selber: War ich auf dem besten Weg, meinen Eltern nachzueifern, die schließlich seit Jahrzehnten in ihrem Glück taumelten? Aber ich beruhigte mich sofort wieder, denn unsere Liebe war so frisch, dass alles andere - wie etwa Streitereien - noch viel Zeit bis zum Ausbruch hatten. Noch störten keine offen gelassenen Zahnpastatuben oder hochgeklappte Klodeckel. Das hatte die Zeit nur bei meinen Eltern verhindert, die meisten anderen erlagen früher oder später dieser Nörgelei an Kleinigkeiten.
Natürlich wollten Luke und ich uns nach den beinahe abgelaufenen eineinhalb Jahren nicht trennen - und er hatte nun mal seinen Lebens- und vor allem Geschäftsmittelpunkt in New York - so stand die Frage im Raum, wie es weiter gehen würde. An eine Heirat dachten wir zwar beide nicht, aber wir wollten auch keine Beziehung über zwei Kontinente führen. Schließlich verlängerte ich mein Arbeitsvisum - mit Lukes Hilfe - und wir wollten es gemeinsam und möglichst schonend meinen Eltern beibringen, dass ich auch weiterhin in den USA bleiben würde.
Das aber konnte ich nicht am Telefon erledigen. Das erforderte ein persönliches Gespräch. Ich avisierte mein Kommen und erzählte, dass ich meinen Freund mitbringen würde. "Ja, ja, mach mal", antwortete meine Mutter recht einsilbig und irgendwie auch eintönig. Sie klang dermaßen gleichgültig am Telefon, dass ich mir letztlich doch ein paar Sorgen zwischen all meinem Liebesglück machte.
Luke und ich landeten an einem 3. Advent in Frankfurt a. M., und wir würden bis nach Silvester bleiben können. Sein Restaurant war in guten und professionellen Händen, und er war bereits sehr gespannt auf meine Eltern. Ich hatte ihn natürlich vorgewarnt, was ihre Liebe anging ... und gemeint, dass es manchmal schwer zu ertragen sei, wie die beiden auch nach Jahrzehnten noch zueinander standen. Da passte kein Blatt dazwischen. Nie hatte es eine größere Liebe gegeben. Das konnte andere Menschen leicht frustrieren.
Und dann war plötzlich alles ganz anders ...
Meine Mutter öffnete die Tür. Alles sah wie immer aus: Die Möbel waren nicht verrückt geworden, alles war gepflegt (sie hatten auch eine gute Putzfrau), es standen ein paar Blumensträuße im Haus verteilt, und meine Mutter lächelte leicht, aber nicht übertrieben - und trotzdem war ihr Blick irgendwie "leer". Am Esstisch erwartete uns mein Vater, und der Tisch war liebevoll gedeckt mit Kuchen und Kaffee und Tee.
Ich umarmte meinen Vater, und erst danach sah ich, dass er ein "blaues Auge" hatte.
Upps, das schien sehr weh getan zu haben ... als er vermutlich gegen irgendeinen Gegenstand gelaufen war. Was sollte ich jetzt dazu sagen? Was würde er gerne hören?
"Ich hoffe, es heilt langsam ...", sagte ich. Mein Vater sah mich traurig an, dann wanderte sein Blick zu meiner Mutter. Sie hatte sich so weit wie möglich von ihm weg gesetzt. Das machte sie sonst bzw. früher nie, aber vermutlich wollte sie wegen Luke, den beide recht freundlich begrüßten, ein wenig Abstand halten. Zumindest am ersten Tag ...
Ich schenkte Kaffee ein, gab jedem ein Stück Kuchen und wollte von meinem Leben in New York erzählen. Dazu kam ich jedoch überhaupt nicht,
denn plötzlich keifte meine Mutter meinen Vater an, und zwar völlig grundlos und aus der Luft gegriffen: "Du sitzt da wie ein Schluck Bier kurz vorm erneuten Wiederhochkommen, setz dich mal vernünftig hin ..."
Luke sah mich an, ich sah ihn an. So hatte er es sich aufgrund meiner Erzählungen nicht vorgestellt. Und, nachdem sich meine Mutter früher oft meinetwegen in einem falschen Film gewähnt hatte,
erging es mir heute so: Was war hier passiert?
Liebe vorbei? Das konnte ich nicht glauben.
Aber die kleinen Gehässigkeiten meiner Mutter gegen meinen Vater gingen weiter, während er tieftraurig und mehr in sich selbst als ins Leben versunken ruhig auf seinem Stuhl saß.
Sie hatte an allem etwas auszusetzen, was meinen Vater anging, und in ihrem Wahn, ihn niederzutrampeln, nahm sie keine Rücksicht darauf, ob es passend war oder nicht oder ob man es überhaupt äußern durfte. Hauptsache, er litt.
Litt er? Ich war mir nicht sicher, ob er ihre Worte überhaupt hörte ... oder ob hier jeder in seiner eigenen Welt lebte.
Dass ich anwesend war und der ihnen noch ziemlich unbekannte Luke, schien sie beide überhaupt nicht zu interessieren.
Mir blieb das Stück Kuchen im wahrsten Sinn des Wortes im Halse stecken. Beinahe hätte ich es ausgespuckt.
Hätte ich sie wohl doch nicht und für solch eine lange Zeit aus den Augen verlieren dürfen?
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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