Kurzgeschichte:
Und plötzlich war alles anders ...
Was war während meiner langen Abwesenheit zwischen meinen Eltern passiert? Oder hatten sie nur ihren allerersten Streit? Würden sie sich, wie die meisten, noch vor dem Zubettgehen wieder versöhnen? Doch noch bekam ich keine Antwort, nur weitere Fragen drängten sich auf:
Mein Vater ging am Abend in eines unserer zwei Gästezimmer, meine Mutter in das seit ewigen Zeiten mit ihm geteilten Schlafzimmer. Wortlos ohne Gute-Nacht-Wünsche schloss jeder seine Tür hinter sich. Luke und ich gingen in das andere Gästezimmer, und ich wusste, dass ich eine schlaflose Nacht vor mir hatte. Ich befürchtete, dass dies nicht die einzige sein würde ... Zum Glück überwältigt einen irgendwann doch die Müdigkeit - auch, wenn man im Nachhinein glaubt, man hätte kein Auge zugemacht. Ich schlief schließlich das letzte bisschen Jetlag weg - während um das erste und größere Bisschen meine Eltern mich erleichtert hatten. Wenn ich sie sah und hörte oder nur an sie dachte, konnte nichts anderes mehr Oberhand gewinnen. Auch kein Jet-Lag. Nicht einmal Lukes aufmunterndes Lächeln.
Zuerst traf ich am nächsten Morgen in der Küche auf meinen Vater. Er versuchte, sich einen Tee zuzubereiten - was ihm offensichtlich nicht wirklich gelang. Es scheiterte bereits daran, dass er den Tee im Kühlschrank suchte und Milch anstatt Wasser in den Wasserkocher schüttete. Obendrein sah er tieftraurig aus.
Wo war mein dynamischer Vater? Wo waren seine schwungvollen Reden? Wo war überhaupt noch er hinter dieser geduckten Figur?
"Deine Mutter schlägt mich", sagte er tonlos.
Das musste alles ein Irrtum sein, ich befand mich im Tiefschlaf und träumte einen schier unmöglichen Traum. Niemals würde meine Mutter meinen Vater schlagen - trotz seines "blauen Auges" war das einfach unglaublich.
Aber: Sie hatte ihn verbal schon ziemlich böse abgekanzelt.
"Sie hat Demenz", erklärte er dann. Und zog sich mit seiner im Wasserkocher zubereiteten Milch ohne Tee in sein Zimmer zurück.
Ich stand verdattert minutenlang am selben Fleck. Dann betrat meine Mutter die Küche. Sie schlurfte über den Boden und als sie mich sah, ging ein kleines Lächeln durch ihr Gesicht:
"Gut, dass du da bist - du kannst mir helfen. Dein Vater ist dement."
Ich ließ mich auf den nächsten Stuhl fallen und war kurz vor einem Kreislaufkollaps. Welche Probleme hatten meine Eltern? Sie waren erst 55 und 60 Jahre alt, so dass eine Demenz zwar nicht unmöglich, aber recht unwahrscheinlich war. Und dass sie dann auch noch beide davon betroffen sein sollten -
war noch einmal um einiges unwahrscheinlicher ... oder auch fürchterlicher.
Nach drei Tassen Kaffee machte ich mich mutig auf den Weg zu ihrem Hausarzt.
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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