in 24 Türchen:
8. Türchen
"Das Hotel im Schneesturm"
Ronny und Lisa platzierten in dieser Zeit ein paar Getränke für die Gäste, von denen sie sich später selber bedienen konnten, und im Ofen schmurgelte eine Gans. Also nichts, wovor sich jemand fürchten musste. Der Rotkohl simmerte bereits seit Stunden vor sich hin, als hätten Ronny und Lisa die Gäste erwartet. Draußen wütete der Schneesturm nach wie vor mit aller Wucht. Wenn man aus einem Fenster sah, konnte man nichts als dichte Schneeflocken entdecken, sie gaben kein Stück der Landschaft für die Sicht frei. Eigentlich ein Heiligabend wie in einem Traum?
Lotte hatte versucht, ihre Schwiegereltern anzurufen, aber sie bekam kein Netz. Vielleicht gab es unten, nein, sicher gab es einen Festnetzanschluss. Doch auf die Frage danach, antwortete Ronny, dass auch dieser ausgefallen sei. Ein Niemandsland ohne jeden Anschluss oder Berührungspunkt nach draußen!
Lotte fühlte plötzlich eine Hand auf ihrer rechten Schulter, denn offenbar sah sie ziemlich geknickt aus. Die Hand gehörte zu der viel älteren Mary, die sie nun tröstend ansah: "Dieses Wetter dauert ja nicht ewig. Ich weiß nicht, was Sie verpassen, aber mir scheint, dies hier wird einzigartig." Die alte Frau lächelte.
Lotte erwiderte das Lächeln etwas gequält: "Ich werde in München erwartet. Es ist nicht so, dass ich unbedingt dort sein möchte, aber man wird mich vermissen. Und es mir vielleicht sogar nachtragen." Den letzten Satz sprach sie sehr leise, mehr zu sich selber als zu Mary.
"Verstehe", sagte Mary. Die junge Frau wird noch oft feststellen, dass Pläne sich nicht aufrechterhalten lassen und nicht jeder Termin planbar ist, dachte sie. Insgesamt fand Mary, dass die meisten Menschen viel zu hohe Erwartungen hatten, die am Ende öfter enttäuscht als zufriedenstellend waren.
Als auch Klaas, Harry und Markus die Treppe aus ihren Zimmern herunter kamen, führte Lisa sie alle in den Gastraum. Der war recht groß, und in der Mitte prangte ein mächtiger, prächtiger und überreich geschmückter Christbaum.
Recht viel Aufwand dafür, dass sie dachten, das Hotel würde über die Feiertage leer bleiben, stellte Mary für sich selber fest. Denn wie sie ahnte, könnten sie auch noch ein paar Tage länger als nur heute bleiben müssen - falls das Wetter anderes nicht zuließ. Und mit den Zugreisenden waren bis auf eines alle Zimmer belegt.
Ein reich dekorierter Tisch in den Farben Rot, Grün und Weiß lud zum längeren Verweilen ein. Ansonsten hätte dieses Zimmer auch ein viktorianisches sein können. Wie alles im Haus ... es war aus der Zeit gefallen, oder zeitlos, ganz, wie man es betrachten wollte.
In einer Ecke war eine Bar aufgebaut, und Ronny bat die Gäste, erst einmal dort Platz zu nehmen, bis das Essen fertig war. Er wies auf eine stattliche Auswahl an Getränken, bot allen jedoch erst einmal einen Glühwein mit Schuss nach Wunsch an. Danach sollten sie sich gerne selber weiter bedienen, damit es zu keinen Engpässen bei den Getränken kam.
Klaas kippte seinen Glühwein, angereichert mit Rum, ziemlich schnell runter. Er war frustriert, denn auch er hatte natürlich kein Handy-Netz und konnte seine Kinder oder seine Ex-Ehefrau nicht erreichen. Sie würden sich Sorgen machen. Oder, was noch schlimmer wäre, wütend auf ihn sein, weil er ohne Nachricht dem Fest einfach fernblieb. Naturgemäß (und sicher verdient) unterstellte seine Ex ihm eher das Bösere der Möglichkeiten, wenn ihr die Wahl blieb.
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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