Eine Kurzgeschichte in 24 Türchen
14. Türchen
Das Hotel im Schneesturm
Wie die Kinder freuten sich die fünf Erwachsenen auf die Geschenke. Jeder für sich kam zu dem Ergebnis,
all das, was hier geschah, nicht mehr zu hinterfragen. Nicht das Hotel mit seinen einzigartigen, aber dennoch seltsamen Gastleuten Ronny und Lisa, nicht die überaus nostalgische Atmosphäre und schon gar nicht den Weihnachtsmann, der im wahrsten Sinne des Wortes hereingeschneit war - und nun auch noch vorhatte, ihnen allen eine Freude zu bereiten.
Markus
Ich ließ mich einfach fallen. In diesen Traum-Weihnachtstag. Und ich hatte das Gefühl, so unheimlich alles auch teilweise war, dass mir nichts passieren konnte.
Lotte
Plötzlich beschlich mich ein ganz neues, unbekanntes Gefühl. Was passierte hier, warum passierte es, warum uns? Das neue Gefühl hingegen war eines, das vermutlich längst fällig war: ich dachte in Liebe an Armin und Rosalind. Und mit sehr viel Nachsicht für ihre große Trauer. Sobald ich sie sah, wollte ich sie fest in meine Arme nehmen.
Harry
Plötzlich überkam mich eine Ahnung davon, wie wunderbar das Leben sein konnte. Ich wollte diese Ahnung so lange wie möglich festhalten, bis es sich zu einem Wissen manifestierte.
Klaas
Ich war der festen Überzeugung, dass ich irgendwann voller Sehnsucht an diesen Abend zurückdenken würde, der sich wie eine wertvolle Kette voller guter Momente anfühlte.
Mary
Die Welt war immer voller Wunder, nur haben wir Menschen das kaum je bemerkt. Dieser Abend jedoch erinnerte mich mit einem lauten Freuden-Seufzer daran, wie schön die Welt sein konnte.
Der Weihnachtsmann öffnete unterdessen seinen Jute-Sack ganz langsam, damit die Spannung erhalten blieb und die hier anwesenden Menschen sich wieder wie Kinder fühlen konnten, ohne Vorurteile, ohne Sorgen und voller freudiger Erwartung.
Er sah in die glücklichen Gesichter, und dass sie glücklich waren, verdankten sie dem Umstand eines Unfalls, der sie in dieses Haus geführt hatte. So hatte sich zwar niemand diesen Heiligabend vorgestellt, aber genau so gefiel er allen der Anwesenden. Untereinander hatten sie sich bereits nicht nur vorgestellt, sondern auch in Gespräche vertieft. Ohne den Unfall hätte jeden von ihnen seine Zugfahrt bis zum Zielort geführt, aber ins Gespräch gekommen wären sie nicht. Allein das war schon ein Geschenk, weil es eine Bereicherung war, die auch als solche gesehen wurde - nachdem man sich zunächst gehörig über die zwangsweise Unterbrechung der Fahrt geärgert hatte.
Ronny stellte leise Weihnachtsmusik an, und seine Gäste summten
"Stille Nacht ...",
während der Weihnachtsmann seiner Aufgabe folgte und zur Bescherung schritt.
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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