Eine mystische Kurzgeschichte
von Silvia Gehrmann
Teil 2
Fünf Witwen
Die Wiesen um mich herum blühten nicht mehr, seitdem Claudio seine Kochtöpfe und mich verlassen hatte, und schnell war der Stern seines Restaurants verspielt, die Gäste zum nächsten Kochgott abgewandert, wie das Leben nun mal endet, wenn der Tod so frühzeitig zuschlägt.
Nur seine Haupterbschaft, die vier anderen "Witwen" waren mir nicht nur geblieben, nein - ich lernte sie erst jetzt so richtig kennen. Es reichte ihnen nicht, die Beerdigung mit ihrer Anwesenheit beglückt zu haben, jetzt traten sie gemeinsam und resolut in mein Leben.
Da war die mondäne January, die sich nebenberuflich um ihre Boutique kümmerte, hauptberuflich jedoch die Trauernde gab. Ob January ihr wirklicher Name war, war mir nicht bekannt, aber sie beharrte darauf, so zu heißen.
Die mollige und rosige Pia, die alterslos wirkte und vermutlich niemals Falten bekommen würde, war die Tränenreiche unter den mir hinterlassenen Nebenwitwen, um die ich mich nun wohl oder übel, ob ich wollte oder nicht und ob ich mich dagegen wehrte oder nicht - kümmern musste. Sie war Zahnärztin und wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, brach sie bei so mancher Bohr-Aktion oder der Anpassung eines neuen Gebisses unvermittelt in Tränen aus.
Neben den beiden gab es auch noch Maria, Claudios heiß geliebte Mamma, die zwar Italienerin, aber keine kochende Mamma war. Noch nie gewesen, sagte Claudio zu seinen Lebzeiten immer, sie hat einfach keinen Spaß am Kochen. Sie wohnte in meiner Nachbarschaft und holte mich zu regelmäßigen Friedhofsgängen ab. Das war mir zwar lästig, aber ich hatte mich noch nie getraut, ihren Wünschen zu widersprechen. Denn sie konnte recht temperamentvoll bösartig argumentieren ...
Natürlich war "Witwe" Chris nie dabei, wenn Maria und ich den Guten an seiner letzten Ruhestätte besuchten. Sie kümmerte sich derweil um ihre Karten, Glaskugeln und weiß der Geier, mit welchem Hokuspokus sie noch Geld machte. Sie hielt ich für die Verschlagendste in Claudios Harem, ihr vertraute ich nicht - aber mit der Zeit gewöhnte ich mich auch an sie.
Während Monica zu ihrer besten Freundin mutierte. Zwei, die sich vor ein paar Monaten noch am liebsten die Augen ausgekratzt hätten, kuschelten sich zu besten Freundinnen heran. Aber uns anderen erging es ja nicht anders. Oder hat irgendwer geglaubt, ich hätte meinen Mann gern und freiwillig geteilt? Nicht die Spur! Am liebsten hätte ich die vier anderen vergiftet, am nächsten Baum aufgehängt und mit dreißig Schüssen durchsiebt, nachdem ich sie im Meer ertränkt hatte und von dem höchsten Turm der Stadt gestürzt hatte.
Wir sahen uns einmal in der Woche. Die Treffen fanden reihum statt. Schön war es, dass es niemals außer einem winzigen Snack etwas zu essen gab: Denn keine von uns wollte vor den anderen als Versagerin in der Küche auftreten. Und wer einen Kochgott wie Claudio geliebt hatte, traute sich sowieso nie mehr an irgendeinen Herd, um ernsthaft etwas zu kochen. Ja, es brachen magere Verpflegungs-Zeiten an.
Die Treffen fanden immer an Donnerstagen statt. Und an einem dieser Tage zerbrach Chris' Glaskugel und ihre Karten hatte sie unauffindbar verlegt. Neben dem Prosecco war dies ein weiteres Drama an einem Abend, für den wir uns alle mehr als aufgehübscht hatten.
Doch sie holte ihren Laptop heraus - und nein, wir sollten ihr nicht auf Facebook folgen, sondern einfach mal gucken, was sie als Geister-Busterin oder Trefferin oder auch nur als Claudios Freundin gefunden hatte:
Ghost-Book hieß die Seite - und wir fanden erst einmal Posts von Michael Jackson. Er schrieb: Propofol war mein Untergang, doch vorher ging meine Stimme baden. Ich treffe hier Leute, die behaupten, Elvis Presley zu sein ... aber ich glaube kein Wort. Sagte Michael.
Fortsetzung folgt.
Copyright by: Silvia Gehrmann
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