Montag, 7. September 2015

7. September 2015 - Geschichten - "Fünf Witwen" - 3. Teil



Teil 3 der mystischen Kurzgeschichte
von Silvia Gehrmann


Fünf Witwen

Selbstverständlich hielten wir vier anderen Chris' gefundene Seite "Ghost-Book" für einen absoluten Fake. Oder auch einen Spaß, den nur Hellseher verstanden. Vermutlich sollten hier Leute zum Narren gehalten werden, die sich mit letzter Verzweiflung daran klammerten, von ihren verstorbenen Liebsten etwas zu hören. Und diese albernen Kommentare auf der Seite, die darin gipfelten, dass jemand namens Theresa schrieb: "Fotos dürfen wir nicht posten - es darf niemand wissen, wie es hier aussieht."

Nun, ich für meinen Teil wollte den ganzen Blödsinn schnell vergessen. Chris war für mich in erster Linie eine clevere Geschäftsfrau, und in letzter Linie konnte sie vermutlich so wenig "hellsehen" wie jeder andere Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Sonst hätte sie auch geahnt, dass ich Prosecco so was von überhaupt nicht mochte.

Die ganze Geschichte wollte ich schnell wieder vergessen, und nach und nach würde ich auch diese frivole und morbide Gefolgschaft los werden. Zur Not müsste ich auswandern ... Denn die ließen einfach nicht locker.

Nach ein paar Tagen war ich soweit, dass ich bereit war, sogar meinen eigenen Tod vorzutäuschen, denn Chris rief mich täglich mindestens dreimal an. Sie sei auf Ghost-Book noch nicht fündig geworden, aber sie ließe nicht locker und würde Claudio aufspüren.

Maria war mein nächstes Problem: Ihre häufigen Friedhofsbesuche, auf denen ich sie begleiten musste, gingen mir allmählich auf die Nerven. Nachdem wir nun endgültig Claudios Restaurant geschlossen hatten, musste ich versuchen, mein berufliches Leben wieder in den Griff zu bekommen. Stattdessen befand ich mich in den Griffen von fünf Frauen und die waren auch durch meine Unfreundlichkeit nicht abzuschrecken.

Okay, ich wollte Maria hier und da ja gern auf den Friedhof begleiten, aber mir selber gab das nichts bis überhaupt nichts: Ich fand dort nicht zu einer stillen Kommunikation mit meinem Mann, was auch daran liegen konnte - dass ich stinksauer auf ihn war.

Die resolute Maria konnte ich leider eben so wenig abschütteln wie die anderen, und wieder machten wir uns auf den Weg zu ihrem neuen Lieblingsort: Die Verkäuferin in dem Blumenladen grüßte uns ebenso freundlich wie der Totengräber, der immer neue Gräber ausgrub. Und die einzelnen sehr alten Witwen, die mit ihren Gießkannen angereist kamen, hatten immer freundliche Worte für uns. Wir hatten wirklich reizende neue Bekannte.

So standen wir an Claudios Grab und ich versuchte, ein angemessen ernstes Gesicht zu machen. Maria betete auf italienisch, und vermutlich schloss sie mich in ihre Gebete ein. Das konnte ja nicht schaden, aber welchen Nutzen es hatte, wusste wohl nur sie allein.

Plötzlich stieg mir ein penetranter Lavendelduft in die Nase. Der wehte wie ein laues Windchen um mich herum und erinnerte mich

sofort an mein Lieblings-Dessert, das Claudio so oft für mich zubereitet hatte.

"Maria, riechst du den Lavendel?" fragte ich. Auch ihre Nase kräuselte sich und schnupperte: "Ich rieche Zitronen." War ihr Lieblings-Nachtisch nicht einer mit Zitronen gewesen? Jetzt nur nicht bekloppt werden, dachte ich, ganz ruhig bleiben.

Ich flanierte an den anderen Gräbern vorbei - ich wollte sowohl Lavendel als auch ein Zitronenbäumchen finden. Irgendwo her mussten die Gerüche schließlich kommen. Doch so sehr ich auch suchte: Nirgendwo fand ich Lavendel oder ein Zitronenbäumchen.

Im Gegenteil - je weiter ich mich von Claudios Grab entfernte, desto schwächer wurde der Lavendel-Geruch. Mir wurde heiß und kalt und beides gleichzeitig.

Fortsetzung folgt.
Copyright Silvia Gehrmann


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