Christel mit Malteser Pünktchen |
Die Geschichte von Christel und Pünktchen
Christel wurde 1930 in Allenstein in Ostpreußen geboren. Als Nesthäkchen wurde sie als Schwester von drei Brüdern sowohl von denen als auch von den Eltern verwöhnt und verhätschelt. Nichts in ihrem behüteten gutbürgerlichen Leben bereitete sie auf das vor, was bald im Leben von vielen passierte und großes Leid brachte. In Ostpreußen gingen die Uhren in dieser Beziehung auch ein wenig nach. Das große Elend kam viel später.
Edith Margarete Christel, nur Christel gerufen, genoss ihre Kinderzeit und den Umstand, als einziges Mädchen unter wesentlich älteren Brüdern der Mittelpunkt der Familie zu sein. Ein wenig schlich ihr das bis ans Lebensende nach - nur unterbrochen von harten Tatsachen, die das Leben für jeden bereit hält.
Sie war vielleicht zehn Jahre alt, und ihr größter Wunsch, einen Hund zu bekommen, wurde von den Eltern nicht erfüllt. Das war wie ein Schlag ins Gesicht des Mädchens, denn bislang hatte man ihr keinen Wunsch abgeschlagen. Doch für einen Hund fehlte einfach die Zeit und vielleicht auch ein bisschen die Tierliebe von Seiten ihrer Mutter. Das ist jedoch nicht wirklich überliefert.
Wie so oft schickte die Mutter Christel ins nahe gelegene Cafe zum Kuchen-Einkauf. Wie das Cafe hieß, weiß ich nicht, wie die Besitzer hießen - auch nicht: Doch eines Tages hatten die Besitzer des Cafes eine kleine Malteser-Hündin, und die hieß Pünktchen: Weil nur ein kleiner Nasenpunkt aus dem Weiß ihres Haarkleides hervorblitzte.
Christel war hin und weg von dem Hündchen. Und es traf sich gut, dass das Mädchen nach der Schule die Zeit hatte, die den Cafe-Besitzern fehlte. So durfte sie jeden Tag viele Stunden mit Pünktchen verbringen. Sie tobte mit der Hündin an den masurischen Seen und belagerte die Küche ihrer Mutter, um für Pünktchen ein paar Leckerchen zu erhaschen.
So verging ein Jahr, vielleicht waren es auch zwei. An einem 4. Februar, Christels Geburtstag, klingelte es an der Tür - und Pünktchen stand davor, ein Schild um den Hals: "Jetzt gehöre ich dir." Es kann sein, dass dies für lange, lange Zeit ihr schönster Tag war.
Denn als Christel vierzehn Jahre alt war, musste sie mit ihrer Mutter aus Allenstein fliehen. Während der Vater und die drei Brüder in alle Winde verstreut waren, strandete Christel mit ihrer Mama in Dänemark. Sie lebten in einem Lager voller Frauen, Kindern und alten Menschen. Christel mied es später konsequent, Produkte aus Dänemark zu kaufen, so nachhaltig waren die schlimmen Erinnerungen an die Zeit. Das Schlimmste aber war der Tod ihrer Mutter. Auch ihr Vater starb und ihre Brüder. Erst im Jahre 1976 kam die Nachricht vom Roten Kreuz, dass auch ihr Lieblingsbruder Heinz noch kurz vor Kriegsende gefallen war. Nach der Lagerzeit landete sie bei Verwandten in Dortmund und lernte Josef kennen, mit dem sie eine Familie gründete.
Was aus Pünktchen wurde, ist mir leider nicht bekannt. Christel kann ich nicht mehr danach fragen: Sie ist vor vier Jahren mit achtzig Jahren gestorben. Das Schild, das damals um Pünktchens Hals hing, habe ich noch bei ihr gefunden.
Und sie hat ein anderes Pünktchen hinterlassen, das sie Bienchen nannte und das nun bei mir lebt.
Christel war meine Mutter.
... in den Augen |
Gruß Biene
Liebe Silvia, eine ganz ganz besondere Geschichte und das nicht nur weil Advent ist. Mich hat sie besonders berührt, weil auch meine Mutter mit 15 alleine mit drei jüngeren Geschwistern fliehen mußte, sich unter unvorstellbaren Umständen durchschlagen mußte, zwar nur von Rostock nach Schleswig Holstein - aber die Irrfahrt durch verschieden Stationen dauerte drei Monate und viele traumatische Erfahrungen.
AntwortenLöschenDas ist sicher nicht vergleichbar mit denen deiner Christel - soweit man hier überhaupt noch Abstufungen des Grauens vornehmen kann, mich haben diese Erzählungen jedenfalls dazu gebracht, das Thema "Flucht und Vertreibung" in meinem Studium immer wieder auf zu greifen, es ließ mich nicht los. Um so schöner und ergreifender finde ich so persönliche Zeugnisse wie deines. Das ist bis heute nicht vergangen und nicht vergessen, ich finde es ganz schrecklich, wie so dramatische und tragische Erfahrungen von jungen Frauen einfach so versanden.
Und finde es schön, dass du Christel ein Andenken setzt. Schönen 2. Advent Susi
Danke, Susi. Und einen schönen 2. Advent. Silvia
AntwortenLöschenHallo Christel.
AntwortenLöschenEine schöne Geschichte, genau passend zur Weihnachtszeit.
Leider war das Schicksal vieler, vieler Menschen ähnlich.
Aber trotz aller Not und dem Verlust der Familie, hatte deine Mutter noch ihr Pünktchen,
dass ihr sicherlich mehr als Trost spendete.
Danke dafür.
GlG und einen schönen 2. Advent - rudi
Danke Rudi.
AntwortenLöschenPi-Pi ...in den Augen hatte ich auch, liebe Silvia !
AntwortenLöschenDanke für die Geschichte von Christel und Pünktchen. Auch in mir hat das Erinnerungen wach gerufen an die schlimmen Erlebnisse meiner Mutter, mit Verlust des ersten Kindes und des ersten Ehemanns... wie konnte sie je wieder glauben und vertrauen - und Gefühle zulassen ? Das habe ich erst viele Jahre später verstanden, als ich selbst schon Kinder hatte. Und habe da auch mit vielem meinen Frieden gemacht, den ich als Kind und als Jugendliche so überhaupt nicht einsehen wollte....
Ich wünsche allen einen besinnlichen 2. Advent :-*
Vielen Dank. liebe Petra.
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