Donnerstag, 18. Dezember 2014

18. Dezember 2014 - Der Advents-Kalender - Eine Geschichte von der Liebe -


Eine Geschichte von der Liebe


Vor längerer Zeit saß ich im Bus, als eine ältere Frau einstieg, wortlos an der Busfahrerin vorbei ging, sich hinsetzte und nicht auf Nachfragen nach ihrem Fahrausweis reagierte. Auch als die Fahrerin zu ihr hin ging, reagierte sie nicht. Schnell war klar, was los war. Es war eine Demenz kranke Frau, die verloren gegangen war. An der Haltestelle Hauptbahnhof wurde sie vom Sicherheitspersonal in Empfang genommen, ging auch ohne Widerstand und ohne Reaktion und Emotion mit den zwei Männern davon.

Einige Wochen später stieg ein älterer Mann mit eben jener Frau ein. Sie setzten sich mir gegenüber. Und als der Mann mich noch anlächelte, fasste ich Mut und fragte ihn "Ist Ihre Frau neulich gut nach Hause gekommen?" Inzwischen hing eine Karte mit Namen und Adresse um ihren Hals.
"Ja, wann meinen Sie", fragte er zurück, "sie verschwindet immer wieder mal. "Vor ein paar Wochen", antwortete ich.

Doch offensichtlich hatte ich auf einen Knopf gedrückt, jenen, der fremde Menschen miteinander für eine kurze Weile verbindet und das übliche Schweigen untereinander unterbricht. Er erzählte mir die Geschichte seiner Alzheimer kranken Frau.

Sie war zeit ihres Lebens als Ordensschwester in Afrika (ich habe vergessen, wo dort) tätig gewesen. Als Rentnerin sei sie aus dem Orden ausgetreten. Und der nette ältere Herr war erst vor fünf Jahren ihr Ehemann geworden. Wobei ihm bereits nach zwei Ehejahren klar war, dass etwas nicht stimmte mit ihr. Arztbesuche brachten Klarheit und die Diagnose Alzheimer.

Als sei es das normalste der Welt, sagte er: "Ich sehe es als meine Aufgabe an, für sie da zu sein. Sie hat es verdient."

Das Gespräch mit ihm dauerte natürlich etwas länger, als ich es hier schildere. Aber schließlich musste er seine Ehe-Geschichte abbrechen, weil er ausstieg.

Irgendwann treffe ich ihn vielleicht wieder. Denn ich habe noch ein paar Fragen, und es ist nicht die Neugierde, die mich antreibt, sondern das Außergewöhnliche an dieser berührenden Geschichte.

Zum Beispiel möchte ich wissen, warum sie aus dem Kloster ausgetreten ist (das würde ich ihn aber nicht fragen, das muss er von sich aus erzählen), und wie lange er sie überhaupt kennt. Sind Eheleute 30 Jahre oder länger oder auch kürzer miteinander verheiratet, so ist das Kümmern im Krankheitsfall ja keine Besonderheit, sondern der Lohn und die Pflicht einer langen Liebe.  Nach zwei guten Ehejahren hätte er sich diese Last ersparen können.

Er wird sich ganz sicher weiterhin um sie kümmern, und ich hoffe, er bewältigt es noch lange, mit einer Frau zu leben, die eigentlich keine Regungen mehr zeigt und nicht mehr in dieser Welt lebt. - Auf jeden Fall ist es Liebe. Liebe hat so viele Gesichter.

Gruß Biene

12 Kommentare:

  1. Was für eine Geschichte! Seit ich sie gelesen habe treibt sie mich um. Wenn ich ehrlich bin aber nur zum Teil wegen der titelgebenden "Liebe". Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich - berufsgeschädigt - die ganze Zeit Fragen stelle. Die Löcher in der Geschichte, das, was man nicht weiss, das füllt sich bei mir, in immer wieder neuen Varianten.
    Genau wie du, Silvia, hätte ich den Mann angesprochen, auch ich hätte ihn nicht weiter bedrängt, aber die verschiedensten Romanversionen spielen sich später doch im Kopf ab. Liebe, ja ist eine Version - aber es gibt auch andere denkbare Varianten. Was ist ER für ein Mensch? Seine Geschichte, und SIE? Wie/Wo sind sie sich begegnet? Was verbindet sie? Reicht Liebe, zumal nach so kurzem Kennen für so eine lange Last? Wahnsinn, da könnte man 1000 Romane draus schreiben.
    Endschuldigung, ich bin eine blöde Kuh, das ist eine wirklich berührende Geschichte und ich finde es unglaublich wichtig, dass man seine Mitmenschen so hellwach, sensibel und emphatisch wahrnimmt wie du Silvia, aber trotzdem - ich kann nichts gegen meine Natur und das arbeitet ab jetzt in mir, geht mir auch oft mit den kleinen Randnotizen in unserem Lokalblatt so...
    Bleib bloß so wie du bist, und danke für die liebevolle Variante, herzliche Grüße Susi

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  2. Ich habe doch die gleichen Fragen im Kopf gehabt, aber man stellt sie nicht. Und ich habe ihn oder die beiden seitdem leider nicht mehr getroffen. Du bleibst aber auch wie du bist, Susi, Gruß aus dem Frühling, Silvia

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  3. Danke Biene für die berührende Geschichte.
    Ja die Liebe hat viele Gesichter – oder doch nicht?
    Wird da zu oft Liebe mit Besitztum und Egoismus verwechselt?
    Bei diesen beiden Menschen, zumindest bei dem Mann, scheint es Liebe zu sein.
    Ob eine Gegenliebe besteht, ist bei der kranken Frau sicherlich nicht leicht zu erkennen.
    Der Mann jedenfalls kümmert sich liebevoll um seine Frau.
    Sein Lohn besteht nur darin, dass sie da ist und ihr nichts passiert.
    Da ja beide schön älter sind, liegt der Zeitpunkt wo er sich evtl. nicht mehr so um sie kümmern kann recht nahe.
    Ich schätze aber, dass er für diesen Fall auch schon vorgesorgt hat.
    Für andere da zu sein wenn man gebraucht wird, zu wissen dass es dem anderen gut geht und er glücklich ist, das könnte Liebe sein.
    D.h. aber nicht, dass es der andere nur glücklich sein kann, wenn man selber dabei ist.
    Nicht aber diesen Spruch: „In guten wie in schlechten Zeiten.“ Eine schreckliche Phrase.
    Liebe braucht solch Wortspiel nicht. Gute Zeiten bedürfen keinerlei Versprechen.
    Wenn Sorgen und Nöte Einzug halten, geht meist das was manche für Liebe halten.
    Sei ein Schutzengel und die Liebe ist bei dir.

    LG rudi Wichtel

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    1. Das hast du sehr schön formuliert, Rudi Wichtel!

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    2. Habt ihr die Filme "Liebe" mitJean Louis Trintignant und Emanuelle Riva sowie "Die Auslöschung", den Alzheimerfilm mit Martina Gedeck und Claus Maria Brandauer, gesehen? Beides sehr sehenswerte Streifen über die zermürbenden Auslotungen, wie tief eine Liebe wirklich sein muss, um die Hölle einer langen, pflegeintensiven persönlichkeitszerstörenden Erkrankung tragen zu können. Ich bin mir sicher ich könnte das, weil ich weiss, dass Liebe alles und wirklich alles trägt. Mein Sohn hat Pflegestufe lII+ und ich habe ihn 22 Jahre zu Hause gepflegt, zu 90 % ich, weil er nur mich so nah an sich heran liess.
      Dass mir das nie wirklich schwer gefallen ist, lag ganz einfach daran, dass ich ihm nur in die Augen schauen musste und hin und weg war, da konnte die vollgeschissene Windel noch so sehr stinken...
      Sehr schwer war es später (23) nur, als er zu seinem Autismus eine akute Psychose bekam und plötzlich in rasender Aggression auf einen losging, manchmal auch beim Auto fahren, das konnte von einer Sekunde auf die andere geschehen und machte einen vollkommen hilflos.
      Letztlich mußte David für einige Wochen in die Psychiatrie, bekam Medikamente, die ihm halfen und alles wurde gut, aber das ist glaube ich das Schwerste, helfen zu wollen und es nicht zu können, zu merken, dass Liebe da ist, aber im Moment weder hilft, noch reicht. Und diese Liebe, die braucht dann einen wirklich langen Atem.
      Toll, sich mit euch über all sowas austauschen zu können, danke sagt Susi

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    3. Ich hoffe, es geht ihm im Moment besser?! Den ersten Film kenne ich leider nicht, den zweiten wollte ich nicht sehen, weil Frau Gedeck so überdosiert wird. Vermutlich ein Fehler von mir. - Wir werden über David noch etwas lesen in diesem Adventskalender. Von ihm, über ihn und seine Mutter Courage (das habe ich mal entliehen, liebe Susi). Silvia

      Bei meinen beiden Hauptdarstellern des heutigen Tages kam mir auch schon mal der Gedanke an "Dornenvögel". Vielleicht kennen sie sich ja schon lange, und er war Priester in Afrika. Aber ob das möglich ist, keine Ahnung.

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    4. Ja, Silvia, es geht ihm sehr gut. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass Medikamente dauerhaft eingenommen werden müssen. David ist gur drauf, fühlt sich wohl in seinem Zuhause (das sieht er selbst als sein Zuhause) Im Rückblick denke ich manchmal dass es seine Art war, erwachsen zu werden. Er hat immer viel Musik gehört und ganz viel darüber ausgedrückt. In seiner schlimmsten Zeit hier hat er immer wieder "I want to break free" von Queen und "Freiheit" Marius Müller- Westernhagen und "Winds of Change" Scorpions gehört, in Endlosschleife, volle Lautstärke, kann man sich deutlicher ausdrücken? Und in der Einrichtung war es von Anfang an ok mit ihm. er hat ein schönes Einzelzimmer in einem Haus, das speziell für Menschen mit Autismus eingerichtet wurde.
      Und du mit seinen Dornenvögeln, dir spuken ja auch schon die Romane im Kopf herum!?
      Was ist das Leben spannend! Liebe Grüße Susi

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    5. Ja, spannend, Susi - und wie langweilig wäre es, wenn wir alle gleich gestrickt wären. Nicht auszudenken, wenn dann auch noch rosa. -lol

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  4. Beim lesen des heutigen Kalenderblattes und eurer Kommentare kann
    ich nur denken, warum bin ich so negativ drauf in der dunklen Jahreszeit.
    Was ist schon mein verrückter Kreislauf gegen die von euch beschriebenen
    Schicksale.
    Einfach nur pipifax.
    Wenn ich so etwas lese , richte ich mich wieder auf.
    Man kann alles schaffen, man muss es nur wollen.
    Ab morgen bin ich wieder besser gestimmt, versprochen.
    Gruß Anna

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  5. Ich finde alle Geschichten im Adventskalender faszinierend,sie machen mich nachdenklich, erfreuen mich und erschüttern auch. Danke an alle, die hier mitmachen.

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    1. Im Namen von allen: Danke, Laguse. - Ich geh jetzt mal Weihnachten in diesem Frühling suchen. Gruß Silvia

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