Samstag, 3. Oktober 2015

3. Oktober 2015 - Interview - Anja: Wie es damals war vor 25 Jahren

Berlin/Foto: I. N.
Interview mit Anja V.
über die Ereignisse rund um den Mauerfall


Heimat ist ein wichtiger Begriff

Im Jahr 1989 ist Anja achtzehn Jahre alt und besucht mit ihrer damals besten Freundin Barbara, die Babsi genannt wird, ein Gymnasium in Zwickau. Die beiden Mädchen haben sich 1987 kennen gelernt.

Barbara wollte Lehrerin in der DDR werden, als ihre Eltern 1987 endlich Erfolg mit ihrem Ausreiseantrag hatten: Sie durften 1988 das Land mit ihrer Tochter verlassen.

Doch Babsi wollte ihre Heimat nicht verlassen. Sie war hier aufgewachsen und politisch System treu. Aus meinem anderen Blickwinkel ist diese Systemtreue unvorstellbar, da es diese hier in diesem Maße nicht gibt, weil wir nicht generell einem System treu sind, sondern viele Parteien zur Wahl haben und die nach Lust und Laune und besserem Wissen letztendlich untereinander wechseln können.

Barbara durfte schließlich nach einem Beschluss in der DDR bleiben: Diese Heimattreue musste sie teuer bezahlen, denn fortan musste sie auf jeglichen Kontakt zu ihren Eltern verzichten - und sei es nur brieflich oder telefonisch. Eine harte Entscheidung eines gnadenlosen Regimes. Und es ist davon auszugehen, dass überprüft wurde, ob Babsi das Kontaktverbot einhielt.

Fortan kümmerte sich Anjas Familie um Barbara, die zwar in einer eigenen Wohnung lebte, aber auch noch ein junges Mädchen war.

Wie sich Barbara so völlig elternlos fühlte, habe ich Anja nicht gefragt: Ich war zu geschockt von dieser Anordnung des Kontaktverbotes. Ein Traum, den viele träumten, hätte für sie in Erfüllung gehen können, und sie hätte in den Westen gehen dürfen. Aber sie träumte diesen Traum nicht, sie träumte in eine andere Richtung. Man muss nicht alles verstehen, manchmal muss man es nur annehmen wie es ist.

Auch Anjas Mutter G. kümmerte sich sehr um Barbara, gemeinsam mit ihren Eltern. Während G. eine der ersten war, die zu den Montags-Demonstrationen ging, waren ihre Eltern Regime treu. Deswegen gab es nicht selten Krach in der Familie - und Anja stand zwischen ihrer Mutter und ihren Großeltern. Diese leben inzwischen nicht mehr.

Auf eine sehr subtile Art und Weise, aber nicht unbemerkt, wurde auch Anjas Familie von der Stasi beschattet, denn sie waren durch Barbara natürlich in den Ausreise-Strudel um Barbaras Eltern involviert.

Barbara und Anja studierten inzwischen an der Pädagogischen Hochschule Zwickau, an der Staatsbürgerkunde, Musik und Sport unterrichtet wurden. Sie waren gerade einmal ein paar Wochen an der Uni eingeschrieben, als die Mauer unter dem  Druck der vielen Montags-Demonstrationen und vielleicht auch ein bisschen unter dem der Vernunft fiel.

So hatten Barbara und ihre Eltern diesem unmoralische Ansinnen der DDR-Behörden beinahe völlig umsonst Platz in ihrem Leben gegeben: Sie hätten nur noch ein wenig warten müssen ...

Aber das konnte natürlich niemand ahnen. Hatten die Professoren noch kurz zuvor lauthals gedroht, wer zu den Montags-Demos gehe, fliege von der Uni -

war genau diese nach dem 9. November 1989 plötzlich Professoren-verwaist: Die waren alle im Westen. Krankenhäuser waren von Krankenschwestern und Ärzten verlassen worden - ein absoluter und einmaliger Ausnahmezustand.

Überhaupt war die ganze DDR wie leer gefegt: Alle wollten sehen, wie es im Westen war.

Anja und Barbara haben sich inzwischen aus den Augen verloren. Nicht aus den Augen verlieren wollen wir die weiteren Bemühungen zu einer endgültigen inneren Einheit, die wir nach 25 Jahren noch nicht so ganz gepackt haben.

Vielen Dank für das Interview, Anja.

Guten Tag, Gruß Biene

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