Freitag, 27. Januar 2017

27. Januar 2017 - Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner ... Über "meine" Berlinerin Edith

Foto: I. N.


Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner

Dieser Spruch stammt von Theodor Fontane, und ich will ihn auf "meine" Ur-Berlinerin Edith abwandeln in

"Erst komme ich, denn ich komme aus Berlin".

Es ist schon viele Jahre her, dass wir in Kusadasi die wuchtige Jetzt-Komm-Ich Berlinerin Edith kennen lernten. Sie sah so aus, als könne sie Hindernisse mit bloßen Händen von Straßen räumen - und wenn sich Dinge nicht freundlich regeln ließen, so wurden sie eben auf eine andere robuste Tour zum Abschluss gebracht.

In ihrer Begleitung war Ahmed, ein Türke, verheiratet, viel jünger als Edith - aber ihr treu ergeben - vielleicht war er auch nur ihrem Geld hörig, wer kann das schon so genau beantworten.

Ahmed war bis vor kurzem der Geliebte von Edith gewesen - bis ihr Mann starb - nun war er ihr offizieller Freund oder wie manche auch meinten "Das treue Hündchen".

Wie ich an Edith geraten konnte, weiß ich gar nicht mehr - aber vermutlich hat sie mich einfach aus anderen herausgepickt, und fortan und in diesem Urlaub wurde ich sie nicht mehr los. Das wollte ich auch gar nicht - nach einer

kleinen Eingewöhnungs-Phase, in der ich mit voller Wucht den Berliner Spirit kennen lernen durfte. Ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein war von keinerlei Zweifeln geprägt, und ihre Kodderschnauze verriet, warum Selbstzweifel sowieso nicht nötig waren.

Ein bisschen etwas habe ich mir von Edith abgeschaut, wenn ich auch lieber ich selber geblieben bin - im Ruhrpott sind wir auch nicht gerade auf den Mund gefallen -

aber wir können immerhin hier und da die große Klappe geschlossen halten.

Gleich zu Anfang bekam ich eine Geschichte serviert, die mir in dieser offenen Art noch niemals zuvor - und danach auch nicht mehr - zugetragen wurde:

Ediths Mann war kürzlich verstorben, und ihr Geliebter Ahmed war nun mal ein armer Schlucker - mit Frau und einigen Kindern, die er eher schlecht ernähren konnte.

Jetzt sollte er jedoch Edith dringend zur Beerdigung ihres Mannes begleiten, hatte aber, wie sie sagte "keine vernünftigen Klamotten auf dem Leib".

Kurzerhand musste er sich im Kleiderschrank des jüngst Verblichenen einen Anzug aussuchen, mit dem er auf der Beerdigung desselben Staat machen konnte.

Danach ging es gleich ab in den Urlaub (Ahmede mit Klamotten des Verstorbenen) - denn der Stress um den Tod des Mannes hatte Edith viel Kraft geraubt. Großzügig, aber nicht kostenlos, nahm sie Ahmed in ihr Schlepptau - manchmal dachte ich:

Ist der wirklich freiwillig mitgekommen? Oder doch betäubt, entführt und in Kusadasi wieder wach geworden?

Aber er redete nicht viel, obwohl er und ich vom Alter einander ein bisschen näher waren als Edith und ich. Nach einer Weile vernahm man seinen unsichtbaren Maulkorb.

Manchmal ging sie schnurstracks zum Meer - und pfiff ihn zu sich. Er folgte brav wie immer - und was die beiden dann hundert Meter entfernt miteinander taten, konnte man sich nicht nur denken.

Abends im Restaurant gab es entweder eine Belohnung für ihn - oder eben keine! Er aß so gern Seezunge, aber die bekam er nur unter gewissen Umständen und wenn er besonders folgsam gewesen war.

Da störte es Edith auch nicht, dass wir anwesend waren und uns wunderten, wenn sie nur für sich eine Seezunge bestellte und er irgendeine Kleinigkeit bekam ... am liebsten noch eine, die er überhaupt nicht mochte.

Hier und da konnte er sich ihre Gunst beim Kartenspielen zurück holen - dafür musste er sie jedoch in seine Karten gucken lassen -

Edith mogelte, was das Zeug hielt. An einem der Abende gewann ich trotzdem jedes Spiel (auch nicht ganz fair, aber man lernt ja). Beinahe hätte ich auch keine Seezunge mehr bekommen,

aber schließlich wurde mein Essen ja nicht von ihrem Geld bezahlt. Da hatte ich großes Glück.

Unseren letzten Abend verbrachten wir ebenfalls miteinander, und Edith und ich standen in Kusadasi auf einem Platz, der von Restaurants umgeben war. Die beiden Männer befanden sich noch irgendwo anders - ich weiß nicht mehr, was sie zu tun hatten.

Von überall her kamen die Kellner und wollten uns in ihr jeweiliges Lokal locken. Bis es Edith zu bunt wurde und sie laut über den Platz rief und alle weg scheuchte mit

"Wir haben einen Türken bei uns."

Es gäbe noch viel über Edith zu erzählen, aber ich möchte den Rahmen nicht sprengen. Leider haben wir uns danach aus den Augen verloren.

Was sie wohl heute macht? Ob Ahmed sich je gegen sie aufgelehnt hat? Doch wie sollte er? Gegen eine Ur-Berlinerin wie Edith kann man keinen Sieg davon tragen,

die haben sowieso mindestens das letzte Wort.


Guten Tag, Gruß Silvia

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