Montag, 21. Dezember 2015

21. Dezember 2015 - Der Adventskalender 2015 - 21. Türchen - Ein Beitrag von VIKTUALIA Suleyka


Fotos und Beitrag von Viktualia Suleyka


Rührendes beim Rühren

Kochsendungen gucken? Ich? Da könnt man ja gleich seinen Füssen beim Einschlafen zuschauen...
So war ich drauf, 15 Jahre sind es wohl her, dass ich diesem Vergnügen genau so wenig Attraktivität beimaß, wie der TV-Aufzeichnung einer Schachweltmeisterschaft oder – der Herr-steh-mir-bei: Eiskunstlauf.
Aber, wie so vieles, änderte sich auch diese Einstellung grundlegend, mit dem ebenso ernst- wie dauerhaften Erwerb von Kindern.
Zwei Stück, auf einen Schlag und eines davon, der David, wurde mit zunehmendem Alter nicht einfacher, sondern immer schwieriger.
Als Hardcore-Autist pflegte er ziemlich viele, ziemlich nervige Macken und geriet häufig in wütende Erregungszustände, wenn irgend etwas nicht so lief, wie es in seiner akribisch geregelten Welt immer haargenau zu laufen hatte.
Man musste David ständig betreuen, immer aufmerksam in seiner Nähe sein, ihm dabei aber trotzdem Raum lassen.
Weil das sehr anstrengend war, gab ich das Pflegegeld, was ich, als Pflegeperson für David, erhielt, (er hatte Pflegestufe 3+) für fähige junge Leute aus, die ihn am Nachmittag von 15.00 bis 18.00 Uhr betreuten.
Das waren insgesamt drei in 15 Jahren, ehemalige Zivis und eine Schulbegleiterin, sie sind uns über die Zeit wie weitere Kinder an's Herz gewachsen und wir haben heute noch engen Kontakt.
Die Stunden nutzte ich, um freiberuflich arbeiten zu können, aber auch zum einkaufen, kochen, der ganze Hausfrauen-Mix halt – gelegentlich fiel auch nochmal ein Kaffeestündchen extra für meinen Mann und mich ab. Das war immer eine tolle Regelung und half uns sehr.
Nur nach 18.00 Uhr, in den Ferien und an den Wochenenden hatten wir viele, viele Stunden alleine herum zu bringen.
David fuhr gerne Auto, spielte ausgiebig im Garten, matschte oder ließ stundenlang Wasser von einer Gießkanne in die Regentonne rinnen, karjohlte mit mir in einem großen 2-sitzigen Kettcar mit Anhänger durch die Dorfstrassen. Aber was er auch unternahm, er musste stets und ständig intensiv betreut werden.
Zum einen, weil er keinerlei Gefahrenbewusstsein hatte (Straßenverkehr!) aber körperlich ungeheuer flink und mobil war, anderseits machten ihm urplötzlich Dinge große Angst, verunsicherten ihn und seine Stimmung kippte.
Wenn man ihn kannte, merkte man lange vorher, dass sich etwas zusammenbraute und entwickelte Gegenmaßnahmen. Je entspannter ein Nachmittag verlief, um so besser war auch die Prognose für die Nacht, den nächsten Tag und so weiter...
Wenn wir nun im Winter, es war schon früh dunkel und noch lange nicht Bettgeh-Zeit, im Wohnzimmer saßen, musste ich schon sehr kreativ sein, um noch Beschäftigungen zu finden, die meinem Sohn und mir entspannte Stündchen verschaffen konnten.
Fernsehen war, bis auf bestimmte Videos, nicht sein Ding, er verstand es nicht, es fesselte und interessierte ihn nicht die Bohne. Ich beneidete einmal mehr Eltern, die ihre Kinder so dann und wann mal vor der Glotze parken konnten.
Als das Benjamin-Blümchen-Video zu Ende war, machte ich David im Bad fertig: Badewanne, Windel und Lieblingsschlafi an (da war er 12), er flitzte schon rüber, ich räumte noch auf, hatte wie immer die Ohren gespitzt …
Mein Süßer war gut drauf und juchzte so ansteckend, wie nur er es konnte. Ich ließ alles stehen und liegen, denn nicht immer konnte man so einer extremen Freude trauen und eilte aus dem Bad in's Wohnzimmer.
Dort hatte sich inzwischen das Video aus- und der TV-Kanal wieder eingeschaltet und der war auch der Grund für die Freudenschreie meines Sohnes:
Ein älterer, unablässig freundlich plaudernder Herr, rührte mit einem altmodischen Holzkochlöffel in einer großen irdenen Schale. Ab und an probierte er, indem er an dem Löffel schleckte und laut und verzückt „Mmhhh“ machte.
David lag bäuchlings auf dem Boden – so sah er immer fern, wenn ihn etwas vollkommen begeisterte sprang er aus dieser Stellung quasi direkt kerzengerade, senkrecht an die Decke. Das alles geschah sekundenschnell, in einer einzigen fließenden Bewegung. Akustisch untermalt wurde die Choreografie durch einen Juchzer, der Glas zum Klirren bringen konnte.
Der Mann schleckte jetzt den Holzlöffel auf eine nicht sehr appetitliche Art, ziemlich sabbernd, aber sehr genießerisch ab und begann wieder zu rühren.
Neben ihm stand eine dicke Frau und schnibbelte tausend braune Dinge kurz und klein, die sie dann energisch in den riesigen Hintern eines großen Geflügels stopfte.
Auch sie redete ununterbrochen. Kam mir irgendwie bekannt vor, also die Frau, der ältere Löffellecker ebenso...Hm? Ich kramte die TV-Zeitung hervor: „Alfredissimo“ und erfuhr, dass jeden Samstag an diesem Sendeplatz gekocht wurde, von dem freundlichen Brillenträger und prominenten Gästen.
Das war die Geburtsstunde von Davids und meiner jahrelangen Samstagsbeschäftigung. „Die Rühren“ „Die Probieren“ hieß die Sendung bei meinem Sohn und er hatte einen Narren an Biolek gefressen.
Die Gäste waren ihm wurscht, es sei denn, sie rührten viel, aber niemand konnte so schön probieren und so wunderbar „Mmhhh“ sagen wie Bio, der Held von Davids Samstagen.
Irgendwann musste wohl eine Nachbarin mitbekommen haben, dass ich die Sendung schaute, daraufhin schenkte sie mir zum Geburtstag ein „Alfredissimo“ Kochbuch.
Dieses Missverständnis, denn so sehr ich die entspannte und frohe halbe Stunde auch genoss, als kulinarische Sternstunde habe ich diese Sendung nie betrachtet, erfreute David jedoch über alle Maßen: Ein ganzseitiges Farbfoto von Mann und Löffel in Schleckpose, wer wollte da noch ein dreifach aufzuklappendes Playboydingens haben?
Mein Sohn verfügt jedenfalls heute über die komplette Alfredissimo- Bibliothek.
Und vor 10 Tagen fand ich ein Video „Alfredissimo“, das ich aufgenommen hatte. Bio und Marianne Sägebrecht kochten gemeinsam „Ente bayrisch-surynam und böhmische Knödel“
Als Konserve für schlechte Zeiten hat uns dieses Tape oft gute Dienste geleistet, es war ja nicht immer Samstag..
Jetzt wollen wir es noch digitalisieren und auf Davids Computer drauf bringen, Mal sehen, was er heute dazu sagt.

Was Kochsendungen betrifft, geht es mir heute noch genau so, schrecklich. Langweilig. Bis auf eine, aber die auch nur, weil da eine handvoll nette Menschen mit schauen.



2 Kommentare:

  1. Sehr schöne Geschichte. Vielen Dank an Susi.
    Zu Beginn der Alfredissimo-Erklärung wollte ich noch nach dem weiblichen Gast fragen, aber bei Ente Surinam war ich mir gleich sicher, es ging um Marianne Sägebrecht. Deren Vorliebe für Surinam ist bekannt :-)

    AntwortenLöschen
  2. lieben Dank, liebe Ute, ich war selber ganz beglückt über meinen "Erinnerungsfund", man sollte viel öfter in alten Schachteln kramen, nicht nur, um auf zu räumen oder wichtige Belege für die Steuer zu suchen..
    Den Bio hatte ich auch schon gar nicht mehr drauf, so schnell geht das, dabei ist das ein so reizender Mensch.
    tschüß aus Regen und 13° in HH sagt Susi

    AntwortenLöschen