Donnerstag, 1. Dezember 2016

1. Dezember 2016 - Adventskalender - 1. Türchen - Heiligabend im Puff



Heiligabend im Puff

Die Stoßzeiten an diesem Tag unterscheiden sich von denen der meisten anderen Tage: Schon am Vormittag herrscht reger Betrieb, der in den frühen Abendstunden abrupt endet.

Männer, die sich eigentlich auf dem Weg befinden, endlich einen Weihnachtsbaum zu kaufen, schauen mal kurz und quick rein,

Männer jüngeren bis mittelalten Datums, die sich vor den kommenden familiären Festakten von den Müttern loseisen können, bringen oft etwas mehr Zeit mit.

Maria hat alles im Griff, ihr gehört dieses Haus seit vielen Jahren. Sie dirigiert die richtigen Freier zu den richtigen Mädchen und fragt am Ende, ob alles zur Zufriedenheit abgelaufen ist.

In der Regel kann sie ihren Laden an Heiligabend gegen 17.00 Uhr dicht machen - denn zu dieser Zeit befinden sich alle Freier im Familien-Modus und frönen einem Braten, verteilen ihre Geschenke und erhalten, wenn sie Glück haben, auch selber welche.

Am 1. Weihnachtstag ist der Laden regelmäßig geschlossen, denn kaum ein Kunde hätte die Möglichkeit, sich von zu Hause loszueisen. Da müsste sich schon jemand ein Bein brechen und auf dem Weg zur Notaufnahme im Krankenhaus hier Station machen ... Aber auf diese Leute will Maria natürlich nicht warten.

Und ihre Mädchen hatten sich ein freies Weihnachtsfest ebenso verdient wie andere Berufstätige. Manche sind verheiratet, andere verbringen den Weihnachtstag bei ihren Eltern oder Freunden.

Alle gemeinsam müssen sich ohnehin vor dem Ansturm direkt nach Weihnachten wappnen, dann steppt hier regelmäßig der Bär. Angefutterte Pfunde werden abgearbeitet - und der angestaute Frust vom Familien-Fest sowieso.

So geht Maria um fünf Uhr am Nachmittag zur Eingangstür, um diese abzuschließen. Die Mädchen und der letzte Freier sind bereits gegangen, und sie würde sich gleich in ihre kleine Wohnung im selben Haus zurück ziehen, um das Fest mit ihrer Freundin zu verbringen.

Plötzlich schellt es an der Tür.

Ein verhärmte Frau, die höchstens 40 Jahre alt sein kann, aber viel verbrauchter aussieht, schaut sie an. Hoffentlich keine entfernte Verwandte, denkt Maria im ersten Moment.

Aber die Frau lächelt sie nicht an, wie es wohl eine Verwandte tun würde bei solch einem Überraschungs-Besuch. Dieses unglücklich aussehende Wesen ist, ungelenk mit ihren Händen fuchtelnd, ziemlich nervös.

"Ja, bitte", Maria fragt das sehr höflich. Sie ist immer höflich, das gehört zu ihrem Geschäft. Nur bei gewissen Gelegenheiten kann sie ziemlich unhöflich und direkt werden: Wenn sich Freier schlecht benehmen.

"Ich möchte einen Geschenk-Gutschein für ihren ... ihren ... Betrieb ... kaufen", sagt die Frau.

Maria muss schlucken. Zu ihren aktiven Zeiten waren ihr oft seltsame Wünsche von Männern angetragen worden, aber noch nie solch einer, obendrein von einer Frau.

"Wie bitte?" Maria fasst sich rasch wieder. "Dies ist ein Puff. Für Männer, mein Mädchen."

"Ja, ich weiß", sagt die verschüchterte Frau, "ich will einen Gutschein für meinen Mann ... diesen Kerl, ... kaufen - er soll ... soll ... endlich wissen, dass ich weiß, dass er ... seit Jahren in einen Puff geht."

Jetzt ist es raus. Maria muss laut lachen.

"Komm rein, Mädel", sagt sie, "ich schenk dir einen Gutschein. Und wenn du magst, kannst du mit meiner Freundin und mir gleich Heiligabend feiern. Den Schein gibst du ihm dann morgen - und setzt ihn damit auf die Straße."

Die fremde Frau lächelt zum ersten Mal, kommt ins Haus und seufzt erleichtert.

Einen schönen Adventstag wünscht Silvia


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