Die Sprache der Falten
In Gedanken streichel ich über das faltige Gesicht meiner Oma - und fühle mich unendlich geborgen und sehr sicher aufgehoben.
Jede ihrer Falten hatte ihren Sinn und konnte von vielen Erlebnissen erzählen, die ein langes Leben reicher machen. Auch von Schicksalsschlägen berichteten ihre Falten, denn die gehören ebenso dazu wie Momente voller Glückseligkeit.
Heute sind Falten "out". Schnell wird bereits in jungen Jahren nach Botox gerufen, um erste erkennbare Lebensumstände im Keim zu ersticken und für alle Welt unsichtbar zu machen. Sichtbar ist dann oft nur noch die Unsicherheit der Leute, die alles wegspritzen lassen, was eben geht.
Klappt das nicht mehr, darf der nächstbeste Chirurg zum Messer greifen. Schnibbelwabbel, alles weg, was nicht ins rein persönliche Bild hinein passt.
Eine bekannte Schauspielerin, ich glaube, es war Geraldine Chaplin, sagte einmal sinngemäß: Ich lasse mich nicht operieren - aber irgendwann bin ich die einzige, die überhaupt noch eine alte Frau spielen kann.
Ruft die Öffentlichkeit wirklich nach Masken-Gesichtern, die einander am Ende auch noch ähnlich sind? Will die Öffentlichkeit die genormte Frau, den genormten Mann? Denn auch vor Männern macht dieser Wahn nicht halt.
Kürzlich habe ich einen sehr bekannten männlichen und deutschen Schauspieler gesehen, der einst ein gut aussehender Mann war. Nun erkannte ich ihn nur noch an seiner Stimme. Nachdem ich im TV-Programm nachgeschlagen habe, wusste ich erst, wer er ist. Operations-Wahn bis zur Unkenntlichkeit.
Inzwischen weiß man von kaum einer älteren Schauspielerin noch, wie sie wirklich aussehen würde (rühmliche Ausnahmen gibt es aber durchaus: Jutta Speidel zum Beispiel) - sondern nur noch, wie sie sich selber sehen wollen. Und sicher auch die Industrie, die mahnend hinter ihnen steht, um Himmels willen nicht zu altern ...
Derart nimmt man an ihren Werdegängen teil, ohne an ihrem Älterwerden zu partizipieren. Leider merkt man ihnen trotzdem durch die Bank ihr höheres Lebensalter an ... Also, warum das alles?
Ich als Zuschauerin wünsche mir keine Großmutter-Darstellerin, die ein ein Baby-Popo-Gesicht in die Kameras hält.
Wieder denke ich an die Falten meiner Oma. Darin konnte man seine Sorgen vergraben und sie strahlten Trost aus.
Sie war eben keine uniformierte Marionette nach einem Gleichmacher-Prinzip, sondern eine mutige Frau, die sich bestimmt keinen Moment lang einen "Kopf" um ihre Falten gemacht hat.
Guten Tag, Gruß Silvia
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