"Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel"
Christian Burlitz
Während die beiden Frauen den saftigen Apfelkuchen, Sekt und Kaffee und die Atmosphäre genossen, betrat ein Mann in seinen etwa 50er Jahren das Kloster-Cafe. Er setzte sich zwei Tische von ihnen entfernt und öffnete einen Laptop. Sr. Gilberta hielt sich diesmal im Hintergrund und zurück. Sie kannte ihn nicht. Und Gäste, die sie nicht kannte, durften dort Platz nehmen, wo sie wollten.
Aber falls er wieder kommt, dachte Clara, wird Gilberta sich sofort an ihn erinnern, er hat sich nun seinen Platz für alle Zeiten gesichert, einen anderen bekommt er nicht.
Sie musste leise grinsen. Natürlich fand auch sie Gilbertas "Benehmen" oft befremdlich, aber sie hatte sich schon ein wenig daran gewöhnt. Aber noch nicht wirklich, und wenn sie manchmal mit Ironie auf Gilbertas Aussagen oder ihr Verhalten antwortete, so sah sie Unverständnis in den Augen der älteren Nonne:
"Ironie versteht Gilberta nicht", hatte ihr Immakulata erklärt, "sie nimmt alles wörtlich. Ich weiß, das macht den Umgang mit ihr oft schwierig. Man muss eben sehr auf seine Worte achten, damit sie sie auch so versteht, wie sie gemeint sind."
Christian war zum ersten Mal in diesem Cafe, und er interessiere sich höchstens dafür, hier eine kleine Pause während seines Jogging-Laufs einzulegen, einen Kaffee zu trinken - und dann zurück nach Hause zu joggen. Ansonsten steckte er gerade in einer Krise, aus der er einen Ausweg suchte. In der Regel bewältigte Christian seine Krisen selbst und eigenständig, und dass er nun in einem entsprechenden Internet-Forum blätterte, diente ihm nur als Vorlage darüber, wie andere mit ähnlichen Schwierigkeiten umgingen.
Er war Arzt, ein angestellter Oberarzt, auf dem besten Weg für die bald frei werdende Chefarzt-Position. Und leider hatte sein Problem nicht nur entfernt etwas mit seinem Traum-Job zu tun. Allerdings ... er versank in Gedanken und hätte beinahe vergessen,
einen Kaffee zu bestellen. Aber Clara erinnerte ihn daran, warum er vermutlich das kleine Cafe betreten hatte: Zum Kaffeetrinken. Auf Kuchen verzichtete er.
Schließlich wollte er für den Rückweg seinen Magen nicht überflüssig füllen, sonst könnte das Lauftempo darunter leiden.
Christian schenkte der jungen Novizin kaum einen Blick, so sehr war er mit sich selber beschäftigt. Obwohl Clara sich stets über ein Lächeln ihrer Gäste freute.
Er lächelte sie nicht an, bedankte sich aber höflich, als sie ihm den Kaffee brachte.
Er hat Sorgen, dachte sie, und dann der hämische Gedanke: Hoffentlich fällt er nicht Gilberta in die Hände.
Gilberta war nämlich für ihre pragmatischen Lösungen sämtlicher Probleme bekannt. Sie sah alle Dinge stets, wie sie sind, und nicht, wie man sie gerne hätte.
Aber er hat sich vermutlich nur hierher verirrt, schloss Clara ihre Gedanken, und kommt nie wieder.
Gilberta sprach niemals mit Leuten, die sie zum ersten Mal sah. Sie mussten ihr schon ein bisschen vertrauter sein.
Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann
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