"Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel"
Schokolade ist Glück
Immakulata packte eine großes Paket aus, das mit Schokolade gefüllt war. Sie hatte eine geheime Quelle, und diese konnte man auch Spender oder Wohltäter nennen, denn niemals hätte ihre Oberin Sr. Bonaventura erlaubt, derart teure belgische Schokolade zu kaufen. Aber geschenkt hätte sie die erst recht nicht gewollt. Womöglich von einem einstigen Verehrer der Mitschwester?
Der Wohltäter war wirklich ein Freund von Immakulata, und er hieß Bernhard. Er schickte ihr regelmäßig ein Päckchen des kostbaren Glücks, wie Immakulata diese Schokolade nannte. Sie verwendete sie stets nur für gewisse Kuchen oder köstliche Desserts, nicht für das gesamte Sortiment des Cafes. Und man konnte diese Köstlichkeiten nicht bestellen, denn die Inhalte standen nicht auf der Karte.
Immakulata teilte sie denjenigen zu, von denen sie glaubte, sie könnten ein Quentchen Glück verdienen oder dringend benötigen.
Und Bernhard war nicht einfach irgendein Freund, er war auch der Vater ihrer Tochter. Zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes genau so jung wie die Nonne selber damals war, und er hatte ihre Entscheidung, das Kind zur Adoption freizugeben, nur zu gerne mitgetragen. Inzwischen war er Familienvater von zwei Teenagern,
aber seine Ehe stand auf der Kippe. Manchmal schrieben Immakulata und er sich Mails, aber das war nicht immer möglich, denn die Oberin
kappte gerne tageweise die W-Lan-Verbindung.
Immakulata wusste auch, dass er eine Geliebte in Belgien hatte. Sie hieß Gabrielle, und aus ihrer kleinen Manufaktur stammte diese herrliches Schokolade.
Manchmal fragte sich Immakulata, ob sie die Kostbarkeit überhaupt annehmen durfte - stammte sie doch von Bernhards ehebrecherischem Verhältnis. Was würde wohl Sr. Bonaventura zu diesen
Querverbindungen sagen?
Immakulata schob die Gedanken beiseite. Sie hatte Bernhard geraten, für klare Verhältnisse zu sorgen - obwohl ihr die Kirche eigentlich auferlegte,
die Ehe als heilig und unlösbar zu betrachten.
Sie wusste, dass das Leben nicht immer die geraden Wege nahm, sondern die Wege aller Menschen voller Hindernisse pflasterte.
Auf eine schwesterliche Art liebte Immakulata Bernhard noch immer, und daher sah sie ihm einiges nach, was ihrem Glauben widersprach. Er würde am Ende eine Entscheidung treffen ... sie konnte nur hoffen, dass es die richtige war. Die richtige für ihn, für seine Ehefrau und für Gabrielle.
Aber es hätte sie andererseits schwer getroffen, wenn sie künftig auf diese perfekteste aller Schokoladen hätte verzichten müssen ...
sie bewirkte so viel Gutes bei den Menschen, an die sie diese Köstlichkeit weiter reichte. Daher war sie schon ein bisschen parteiisch, obwohl sie beide Frauen nicht persönlich kannte.
In dem Moment kam Gilberta um die Ecke, und Immakulata verstaute gerade die in andere Verpackungen umgepackte Schokolade. Niemand sollte hier Fragen stellen.
"Ich muss noch meinen Kuchen backen", sagte Gilberta und sammelte Schüsseln zusammen.
Immakulata nickte. Die Gäste liebten Gilbertas Kuchen, wohl auch, weil er stets die Seltenheit an jedem Tag - außer an Freitagen - blieb. Sie backte ja immer nur einen einzigen Kuchen an jedem Tag.
"Ja, mach nur, ich backe den Rest. Wenn ich nur genau wüsste, wer uns heute noch besuchen kommt."
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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