Ein kleiner Stich
ging durch Sr. Immakulatas Herz, und sie diagnostizierte sogleich, dass er ein Anflug von Eifersucht war. Schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle, denn sie hatte im Kloster längst ihre Bestimmung gefunden - und liebte Bernhard eher wie einen Bruder. Und Gabrielle war ihr auf Anhieb sympathisch. Vor allem musste jemand, der so köstliche Schokolade herstellen konnte, einfach ein lieber Mensch sein.
Immakulata bat Gabrielle ins Cafe und zog mit ihr gemeinsam an dem Bollerwagen. Sofort kam Gilberta angedüst - also, in etwa dem Tempo, was sie selber für beschleunigt hielt - und guckte, ob der Wagen Schmutzspuren hinterließ. Leider hatte er an seinen Rädern Schneenässe, aber Gilberta konnte mit ihrem Wischer helfen. Die drei Frauen packten die Sachen aus dem Wagen - und verstauten den Bollerwagen selber in einer kleinen Abstellkammer.
Erst danach kam Gilberta dazu, sich über den "Neuzugang" in ihrem Cafe zu wundern, den sie weder kannte noch verstand sie, warum die Frau etwas mitbrachte. Eine neue Lieferantin?
Immakulata blieb es nicht erspart, der Mit-Nonne zu erklären, wer Gabrielle war: "Das ist Gabrielle, eine Freundin von meinem Freund Bernhard." - Bernhard war Gilberta nicht nur aus Gesprächen bekannt, er hatte Immakulata auch ein paar Mal im Cafe besucht.
"Und das ist Sr. Gilberta", vervollständigte Immakulata die Vorstellung. Als Gabrielle den Namen hörte, verzichtete sie auf ein Händeschütteln, denn Bernhard hatte ihm von Gilbertas Wesen bereits berichtet. Sie war Asperger-Autistin, und sie mochte keine Berührungen.
Einen Moment später lernte Gabrielle auch die hocherfreute Clara kennen. Wenn es nach ihr ging, konnten so viele Leute kommen, wie in den Laden reinpassten.
Sie verstauten Schokoladen, Pralinen und Sekt und Wein in der Küche, bevor Immakulata einen Moment Zeit hatte, mit Gabrielle zu sprechen, die sich sofort bereit erklärt hatte, ihre speziellen Schoko-Kuchen zuzubereiten.
Foto: S. B. |
"Wird Bernhard auch kommen?" wollte sie wissen.
"Ich denke, nicht. Er hat stattdessen mich geschickt. Und ich packe sehr gerne mit an, um Ihr kleines Fest vorzubereiten."
Zu gern hätte Immakulata nach dem Stand ihrer Beziehung gefragt, aber sie traute sich nicht. Bernhards Frau hatte sie nie kennen gelernt, was nicht an ihr, sondern an seiner Frau gelegen hatte.
"Deine katholische Freundin interessiert mich nicht", hatte seine Frau einst gesagt, und sie hatte dies aus einem widerwillig erzählenden Bernhard herausgekitzelt, dem es sichtlich peinlich war, als es ihm herausrutschte.
Doch das brachte Immakulata damals nur zum Lachen: "Deine katholische Freundin ... schön gesagt, und so treffend. Ich werde es mir merken. Vielleicht, falls ich mal jemandem ganz katholisch auf die Nerven gehen kann."
Dann hatten sie beide gelacht. Und sie hatte an die gemeinsame Tochter gedacht. Und er? Sie konnte es nur ahnen. Er vielleicht auch.
"Sie wissen ja vielleicht, dass Männer eher Feiglinge sind", begann Gabrielle, denn sie wollte Immakulata in ihren neuen Status durchaus einweihen, und sie auch nicht länger auf die Folter spannen, "er hat es einfach nicht übers Herz gebracht, seine Frau zu verlassen. Lieber fuhr er zweigleisig ..."
Immakulata nickte. Sie kannte ihren guten Freund schließlich.
"Aber vor ein paar Wochen hat sie ihn verlassen. Die Scheidung ist eingereicht. Und jetzt lebt Bernhard meistens bei mir in Belgien. Wir lassen es langsam angehen und werden nichts überstürzen."
Da war wieder dieser kleine Stich, aber so schnell er kam, verschwand er auch wieder: Immakulata wollte schließlich das bestmögliche Leben für ihren lieben Freund und sein Glück.
"Das freut mich." erwiderte die Nonne.
"Und mich freut es, dass Sie das sagen, obwohl Sie eine Frau der Kirche sind."
"Ach, Papperlapapp, wenn es zwischen zwei Menschen nicht mehr funktioniert, ist alles andere eine Qual. Da habe ich schon meine eigene Meinung drüber - die muss ich nicht jedem auf die Nase binden, aber verbieten lasse ich mir eine eigene Meinung nicht."
"Sie sind genau so wie Bernhard sie beschrieben hat", stellte Gabrielle fest, "können wir dann jetzt mit den Vorbereitungen beginnen."
"Und Sie sind mein kleines Weihnachtswunder an diesem Heiligabend", stotterte Immakulata, die auch etwas errötete, "Sie werden mir nämlich sehr helfen können bei meinen Plänen."
"Plänen?" Gabrielle zeigte sich überrascht.
"Ja, ich habe Pläne. Für ein paar Menschen, die ein Weihnachtswunder brauchen können."
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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