"Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel"
"Ist die ein bisschen gaga?"
fragte Denise Koch ihre Freundin Petra Schiller, "so etwas ist mir in einem leeren Cafe noch nicht passiert." Aber sie lachte gleichzeitig, denn Denise fand eigentlich alle Menschen auf ihre Art interessant und sammelte Menschenkenntnis. Sie beobachtete, wie Gilberta alle Deckchen grade zog, obwohl die wirklich bereits akkurat auf den Tischen lagen.
"Sie ist Asperger-Autistin", erklärte Petra, "und sie kennt Robert noch. Wir waren oft hier, und wir haben immer an diesem Tisch gesessen. Du kennst das vielleicht: Manche Leute möchten im selben Lokal immer am selben Tisch sitzen. Robert war auch so. Ich glaube, er hat nicht einmal bewusst den selben Tisch angesteuert, es war einfach seine Art, und er hat gar nicht drüber nachgedacht."
"Das erklärt natürlich einiges", meinte Denise, "finde ich sehr interessant, ich kenne niemanden sonst mit dieser Krankheit."
"Na ja, eine Krankheit ist das eigentlich nicht. Aber das habe ich am Anfang auch gedacht, bevor mich Sr. Immakulata schlau gemacht hat. Dann habe ich darüber noch im Internet nachgelesen. Sr. Gilberta ist eine ganz liebe, eine ganz einfache Frau, aber sie hat eben ein paar Macken, wenn man es so nennen will. Alles muss für sie zum Beispiel seine Ordnung haben, sonst kommt sie ins Schwimmen."
"Ja, ich weiß, es ist keine Krankheit", antwortete Denise, "ich habe das nur in Eile so dahin gesagt. Als Tierärztin bin ich immer noch auf der Suche nach autistischen Tieren. Mein Stand bisher ist: Es gibt sie eher nicht."
Während Denise weiterhin die Nonne beobachtete, kehrten Petras Gedanken zu früheren Zeiten zurück. Die so lange noch gar nicht vorüber waren. Ihr Mann Robert war erst seit vier Monaten tot. Seine Krankheit war plötzlich gekommen und hatte rasend schnell einen tödlichen Verlauf genommen. Er war erst 56 Jahre alt gewesen, als sie sich von ihm verabschieden musste. Petra warf einen Blick auf ihre Hündin "Bonbon", die seitdem ihr größter Trost war.
Durch Spaziergänge mit ihr hatte sie Denise und ihren Hund "Wölfchen" kennen gelernt. Die beiden Hunde verstanden sich auf Anhieb und tollten durch den Wald, während Petra und Denise auch auf dem besten Weg zu einer innigen Freundschaft waren.
Aber Petra vermisste Robert selbstverständlich trotz der neuen Freundin und dem Trost durch Bonbon ohne Ende. Sie war erst 49 Jahre alt, aber ihr schien es, als gehöre bereits das Beste der Vergangenheit an. Gute Zeiten konnte sie sich nicht mehr vorstellen, eher ein Durchhalten im jetzigen Zustand. Robert war ihre große Liebe, aber so ganz nebenbei und nicht selbstverständlich, war er auch ihr allerbester Freund gewesen.
Clara riss sie in dem Moment, als sie an ihren Mann und Freund dachte, aus ihren Tagträumen.
"Sr. Gilberta hat heute einen saftigen Apfelkuchen gebacken", sagte sie, "und der ist wirklich zu empfehlen. Vor allem muss man sich schnell ein Stückchen sichern, denn mehr als einen einzigen Kuchen backt sie schließlich nicht pro Tag. Da würde auch kein gutes Zureden helfen."
"Den nehmen wir", antwortete Denise, "und ein Gläschen Sekt dazu." Denise war fasziniert von der Tatsache, in Gilberta eine neue Facette von Mensch kennen zu lernen. Sicher wäre auch Petra nicht abgeneigt, nun öfter während ihrer Spaziergänge das kleine Kloster-Cafe zu besuchen. Immerhin hatte sie es ihr gezeigt, heute zum ersten Mal.
"Und zwei Tassen Milchkaffee dazu", ergänzte Petra.
Einige Zeit hatte sie gezögert, nach Roberts Tod dieses süße, heimelige Cafe wieder zu betreten. Und Denise ahnte sicher nicht, wie viel Kraft es sie heute gekostet hatte, es endlich in die Tat umzusetzen und hineinzugehen - allerdings war Denise ihr eine große Hilfe, obwohl sie auch das nicht ahnen konnte.
"Schön haben Sie es hier im Cafe", sagte Denise zu Clara, "es gefällt mir ausgesprochen gut."
"Ein Geheim-Tipp eben", sagte Gilberta, die noch einmal einen Blick auf die beiden Frauen und ihre Hunde warf.
Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann
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