3. Teil
"Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel"
Hat der Fuchs noch Zähne,
geht er nicht ins Kloster - Sprichwort
Die nicht angesprochene Frau, Denise Koch, sah die andere, Petra Schiller, erstaunt an, sagte dann zu Sr. Gilberta: "Eigentlich darf man sich in einem Cafe hinsetzen, wo man möchte, Schwester."
Petra jedoch stand auf und zog ihre Freundin sanft hoch. "Ich erkläre es dir gleich", meinte sie, "etwas später." Die beiden Frauen gingen zu dem Tisch, den Gilberta für sie als angemessen empfand und setzten sich.
Die Nonne nickte zufrieden: "Genau dort sitzen Sie immer mit Ihrem Mann." Petra widersprach nicht, vielleicht würde sie Sr. Gilberta irgendwann von dem Tod ihres Mannes erzählen ...
Schwester Gilberta
war den meisten Stammgästen des Lokals gut bekannt, denn sie war neben Immakulata oft in der Backstube tätig, und vor allem sah sie im Cafe nach dem Rechten. Da durfte kein Deckchen falsch gefaltet auf einem falschen Tisch liegen und die Blumen mussten in Reih und Glied stehen. Jedes Fältchen am falschen Platz zog sie unverzüglich glatt.
An jedem Tag, außer an Freitagen, backte Gilberta Kuchen. Nur einen pro Tag, und davon wich sie nicht ab. Für die Freitage hatte sie sich ein tiefes Schweigen verordnet. Man sagte über sie und ihre schweigenden Freitage: Heute unterhält sie sich nur mit Gott. Und das können wir anderen leider überhaupt nicht hören.
Denn niemand im Kloster schien einen tiefer verwurzelten Glauben zu haben als Gilberta. Gilberta hatte erzählt, dass sie sich schon als Kind zu Gott hingezogen gefühlt habe. Wenn sie über etwas sprach, klang ihre Stimme weder leidenschaftlich noch emotional, sondern stets rein sachlich. Wer sie und ihren Hintergrund nicht kannte, hätte es für blanke Floskeln halten können.
Aber Gilberta war Asperger-Autistin. Das wurde festgestellt, als sie 14 Jahre alt war, und ihre Eltern sich schon tausendmal über ihre Tochter gewundert hatten. Gott, die Religion, der Glaube in absoluter Innigkeit war ihr Thema. Alles, was damit zu tun hatte, verstand Gilberta - bei anderen Themen tat sie sich schwer. Ihr waren die 10 Gebote näher als die Mathematik oder sonstige Schulfächer. Aber sie hatte die Gabe, anderen Menschen helfen zu können, auf ihre rein sachliche Art. Und irgendwann stand die unauslöschliche Diagnose:
Asperger-Autismus. Eine Wesensart, keine Krankheit. Aber Gilberta würde sie durch ihr ganzes Leben begleiten und sie wurde von dieser Art ihres Wesens auch dominiert.
Bei manchen Asperger-Autisten ändert sich die völlige Hingabe an ein einziges Thema im Laufe der Zeit. Nicht so bei Gilberta. Und so war es nur schlüssig, dass sie irgendwann in einen Orden eintrat.
Sie hatte ihr Leben ohnehin Gott geweiht und wollte ihm durch den Eintritt noch näher sein.
Über eine besondere Intelligenz, wie einige Asperger-Autisten, verfügte Gilberta nicht, eher war diese ein wenig verkümmert - lediglich im christlichen Mitmenschlichen ragte sie überaus hervor und bewies oft einen einfachen, aber treffenden gesunden Menschenverstand, der abseits von jeder Gefühlsduselei war.
Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt
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