Samstag, 2. Februar 2019

2. Februar 2019 - Der posthume Heiligenschein


Der posthume Heiligenschein

Mit dem Anwuchs der Gräber auf Friedhöfen wächst die Anzahl der benötigten Heiligenscheine für die Verstorbenen. Meist sind es die jüngst Verblichenen, denen es nicht selber danach gelüstet hätte, heilig gesprochen zu werden - aber deren nächste Angehörige bestehen eben darauf.  Man muss selber kein Anhänger dieser Verehrung werden, aber im Laufe der Zeit erlebt man es immer wieder, dass im Augenblick des Todes die Verdrängung einsetzt.

Mein Bruder war ein ganz normaler frecher Junge und am Ende mit 19 Jahren - als er starb - ein rockiger junger Erwachsener, der nichts anbrennen ließ und ganz bestimmt kein Heiliger war. Leider wurde er posthum mehr und mehr zu einem Wesen, das er ganz sicher selber nie sein wollte: Meine Mutter machte ihn dazu. Sie sah ihn nicht mehr, wie er gewesen war, sondern wie er möglichst heilig sein konnte. Fehlerfrei und liebevoll und alles, was im wirklichen Leben hier und da durchaus gefehlt hat,  hatte er posthum in ihren Augen. Aber er war nun mal kein Heiliger, musste aber - so lange meine Mutter lebte - mit diesem Heiligenschein durch die Erinnerungen waten.

Ich gönne jedem seine verklärten Erinnerungen - aber was zum Teufel ist so erstrebenswert daran, plötzlich zu den Seligen zu gehören, obwohl man im Leben lieber die Sau raus gelassen hat und den lieben Gott einen guten Mann sein ließ?

Eine Freundin war nicht wirklich glücklich verheiratet, schon bevor ihr Mann schwer erkrankte - aber er wurde während seines Leidens immer unleidlicher - anstatt ihr dankbar zu sein. Ihren bitteren, ehrlichen Worten über den noch lebenden Mann folgten

süße, nachdem er verstorben war. Peter hier, Peter da ... Peter war der Allerbeste. Sicher war er das - nur zusammen gepasst haben die beiden nicht. Und vom irdischen Heiligsein trennten ihn ein paar Welten.

Auch von flüchtigen Bekannten hört man ähnliches, wenn der Partner gestorben ist. Wie leicht war das Leben vorher, wie schwer hinterher? Dass man von den Hinterbliebenen vorher durchaus hier und da und zwischen den Zeilen ganz anderes vernommen hat - vergessen! Schwamm drüber! Erinnerungen dürfen nur positiv sein, hier haben keine negativen Andenken Platz.

Ein Mann, den ich leidlich gut kannte, weinte bitterlich über den Verlust seiner so sehr geliebten, plötzlich heiligen Ehefrau. Nach ein paar Wochen war klar: Er kam ohne sie nur nicht wirklich gut zurecht, und er suchte und fand schnell eine andere Frau, die ihm ein paar lästige Alltagsdinge abnahm - und für die er dann nicht nur gute Worte fand. Sie hatte eben den Nachteil, noch am Leben zu sein.

Frauen, besonders ältere, die ich öfter in Bussen treffe, werden irgendwann sehr redselig. So eine Busfahrt ist eben auch ein bisschen langweilig. Derart erfahre ich oft die Kümmernisse um längst verblichene Ehemänner. Da ich die Frauen zu Lebzeiten ihrer Männer nicht kannte, ziehe ich mal einen Heiligen-Bonus einfach, aber konsequent ab.

Eine andere Frau, die ich auch öfter in einem Bus treffe und deren Mann noch lebt, spuckt ganz andere Töne über den "Alten" aus. Verlassen will sie ihn jedoch nicht ...

vermutlich will sie sich die Gelegenheit, ihn als Heiligen präsentieren zu können, nicht entgehen lassen.

Selbstverständlich betrifft das in diesem Artikel verfasste nicht alle, sondern nur manche Menschen. Ist schließlich wie immer: Nicht alle sind gleich.

Nur im Himmel wimmelt es vor Heiligen - wie langweilig.


Guten Tag, Gruß Silvia




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