Freitag, 6. April 2018

6. April 2018 - Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben


Man soll den Tag nicht
vor dem Abend loben ...

Gut gelaunt springt er am Morgen aus dem Bett und legt auf dem Weg ins Bad noch ein paar gekonnte Kniebeugen hin. Im Badezimmerspiegel bewundert er sein männlich-schönes Aussehen und verleiht diesem sorgfältig den allerletzten Schliff, um attraktiv durch den Tag zu kommen.

Den Frühstückstisch hat seine Frau bereits gedeckt, und während er sich hinter seinem Tablet tief in die Börsenkurse verschanzt, gießt sie ihm Kaffee ein. Auf dem Weg zu seinem Super-Schlitten vor dem Reihenhaus, das bald durch ein größeres ersetzt werden soll, legt er noch einen kurzen Zwischenstopp vor dem Flur-Spiegel ein: Alles tiptop, ich bereichere die Welt!

Mit 60 Sachen feuert er durch die 30er-Zone, während er auf der Autobahnauffahrt den ersten "Deppen" hinter sich lässt.

Er, der Banker, stößt die Tür zu seiner Bank so auf wie das niemand anderer kann. Lässig befiehlt er der Glastür, sich zu öffnen und ihm den Weg frei zu machen.

Kurz darauf verkauft er Leuten Aktien, die dringend verramscht werden müssen. Einer 84jährigen Frau schwatzt er charmant einen Festgeldvertrag über 7 Jahre auf,

während die junge Kollegin in der Mittagspause von ihm rasch begrabscht wird, damit sie weiß, wo hier der größte Hecht im Karpfenteich sitzt.

Ihren bösen Blick nimmt er nicht wahr.

Zum Feierabend-Champus trifft er zwei gleichgesinnte Freunde, und die drei führen in der angesagten Chill-Out-Lounge ihre Rolex' und vor allem sich selber vor. Es ist so schön, ein Kerl zu sein, der die Welt erobern kann.

Die Kellnerin bekommt einen tiefen Blick in ihren Ausschnitt geschenkt, der ihr die gesamte geballte Herrlichkeit verspricht.

Sie reagiert darauf nicht.

Nach 2 Stunden Champagner ab in die Karre der Luxusfirma und nach Hause düsen.

Eine Polizeistreife hält ihn an - und kassiert sogleich den Führerschein. Zu viele Promille.

Er will die Ungerechtigkeit der Welt bei seiner Frau abladen, aber die ist nicht zu Hause. Verdammt noch mal, flucht er, wo treibt die sich rum?

Schnell mal ins Internet gucken.

Da fällt ihm in einem sozialen Netzwerk sofort ein Post der von ihm begrabschten Kollegin ins Auge:

#MeToo - Am Arbeitsplatz ...

Er wird rot vor Zorn.

Ein Blick in seine Mail-Box macht den Tag auch nicht besser:

"Morgen früh! Beim Oberboss!" - hat sein Chef ihm hinterlassen.

Schließlich findet er im Champagner-Kühlschrank einen abgerissenen Zettel, den seine Frau für ihn beschrieben hat:

"Ich wünsche dir noch ein schönes Leben - ohne mich."

Man soll den Tag in der Tat nicht vor dem Abend loben.


Guten Morgen, Gruß Silvia

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