Freitag, 2. April 2021

2. April 2021 - Der Tag, an dem meine Mutter starb



Der Tag, an dem meine Mutter starb 

Dies ist ein karfreitagskonformer Beitrag, obwohl meine Mutter in 2010 nicht an Ostern gestorben ist, sondern im Juli.

Ostern war sie noch glücklich vereint mit ihrem Malteser-Hündin Bienchen, etwas später sah ihre Welt schon völlig anders aus. Sie kam ins Krankenhaus, und aus diesem wurde sie noch in ein anderes verlegt.

12 Stunden vor ihrem Tod erreichte mich der Anruf ihrer Stationsärztin. Meine Mutter wollte ihre Hündin Bienchen noch einmal sehen (Tierbesuch ist in dieser Klinik nach Terminabsprache erlaubt).

Da Bienchen inzwischen 250 km entfernt bei mir lebte, musste das erst einmal organisiert werden ...

Die Ärztin sprach über die schweren Erkrankungen meiner Mutter, die ihr kein langes Leben mehr erlauben würden ... allerdings würde meine Mutter die Klinik noch einmal verlassen. Ihr Zustand sei stabil ...

Meine Mutter, Christel, starb nachts um 3.00 Uhr am 19. Juli 2010, genau 12 Stunden nach diesem Anruf,  es war ein Montagmorgen.

Natürlich widersprachen sich die Worte der Ärztin "meine Mutter wolle Bienchen noch einmal sehen" und "ihr Zustand sei stabil". Das waren jedoch genau die Worte der Ärztin, aber man muss nicht jedes davon auf eine Goldwaage legen. Vielleicht waren es auch Christels Worte - und sie wusste besser als jede Medizinerin, wie es um sie stand.

Allerdings bedeutet "stabil" dann doch eine für mich absehbare Größe, bis sich daran etwas zur einen oder anderen Seite hin verändert. Allerdings nicht in 12 Stunden ... In 12 Stunden ändert sich selten etwas an "stabil".


Meine Mutter

und ich waren das typische Mutter-Tochter-Gespann ... über andere Mutter-Tochter-Konstellationen - gibt es viele Bücher und viele Beispiele und jede Menge Erfahrungsberichte.

Sie und ich waren uns vermutlich einfach zu ähnlich. Das hat uns allerdings beiden nicht wirklich gefallen, und in manchen Lebensjahren war diese Ähnlichkeit wie eine Plexiglas-Trennscheibe, in der man sein eigenes Gesicht zwar noch vage erkennen, das der anderen jedoch deutlich sehen konnte.

Mein Vater hatte oft genug seine schwere Not mit uns beiden.

Aber er und auch ich hätten sicher nicht gedacht, dass sie sich nach seinem Tod, zwar langsam, aber konsequent, auch auf ihren letzten Weg machte. Der dauerte 15 Jahre, aber was ist schon Zeit im Angesicht der Trauer ...

Vor seinem eigenen Tod hatte mein Vater mir auf den Weg mitgegeben:
Pass auf deine Mutter auf. Sie hat mich nie wirklich geliebt.

Eine Erkenntnis ohne jede Bitterkeit oder gar in der Form eines Vorwurfs.

Für die großen Lieben in Christels Leben waren ihre Eltern, ihre drei Brüder und mein Bruder zuständig gewesen  ... allesamt verstorben.

Wie viel heiterer wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie die ersten Schicksalsschläge nicht bereits in sehr jungen Jahren getroffen hätten ... und der schwerste, der Tod von Heinz, meinem Bruder, war einfach nicht zu bewältigen.

Eigentlich war sie ein sehr humorvoller Mensch ... aber dieser Humor blitzte irgendwann nur noch sehr, sehr sporadisch auf. Er war verschüttet ... wenn ich es mal sehr sentimental ausdrücke, war er unter den Gräbern verschüttet. Heinz' Grab war am Ende das eine zuviel ...


Der 19. Juli 2010

In der Nacht hatte ich überlegt, wie ich Christels Wunsch, Bienchen wiederzusehen, realisieren konnte. Es musste einiges organisiert werden, aber ich hatte am frühen Morgen einen Weg gefunden, ihr den Wunsch zu erfüllen ...

als mich der Anruf aus der Klinik erreichte, dass sie um 3.00 Uhr am Montagmorgen verstorben sei.

Ich weinte nicht, ich gurtete meine Hunde an und fuhr mit ihnen zum Wald. Mein besonderer Blick lag auf Bienchen ... sie vermisste meine Mutter

(immerhin war sie zu der Zeit erst seit einem Monat und einem Tag bei mir)

und hoffte in jeder unbekannten Frau, die aus der Ferne irgendwie die schlanke Figur meiner Mutter hatte, ihr geliebtes Frauchen wiederzusehen.

Wie glücklich war stattdessen Robin, der seit genau seiner 9. Lebenswoche bei mir war - und der überhaupt nichts vermisste.

Wir liefen stundenlang, mit Pausen natürlich, und ich dachte über mein Leben mit meiner Mutter nach. Ich erinnerte mich an ihre beinahe letzten Worte, die sie mir im Krankenhaus vier Wochen zuvor gesagt hatte:

Ich bin 80 Jahre alt. Es reicht.

So cool wie sie es sagte, meinte sie es auch. Und es war ihr nur noch eines wichtig gewesen: ihre Malteser Hündin Bienchen gut von mir versorgt zu wissen.

Nun ist Bienchen seit dem 25. Januar 2021 wieder bei ihr - sofern es einen Himmel gibt.

Meine Mutter mit unserem Bienchen


Bienchen war das letzte Bindeglied zwischen meiner Mutter und mir, sie war ihre erweiterte Hand in Form von vier Pfoten. Beide, sowohl Hände als auch Pfoten,  muss ich nun loslassen.

Ich höre noch immer, wie es klingt, wenn meine Mutter sagte: Ach, Silvia.


Guten Tag, Gruß Silvia 

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