Freitag, 16. April 2021

16. April 2021 - Über meinen Vater ...




Papa

Im Laufe der Zeit hat es sich ein wenig verändert, aber hätte man mich damals gefragt, ob meine Mutter oder mein Vater für mich wichtiger war, ob ich meine Mutter oder meinen Vater lieber gehabt habe ... wäre die Antwort eindeutig zu Gunsten meines Vaters ausgefallen.

Geändert hat sich jedoch das Verständnis, das ich spät für meine Mutter entwickelt habe ... und um zu diesem zu gelangen, musste ich selber erwachsener und verständiger werden und vielleicht auch mehr Mitgefühl entwickeln, und zwar abseits von dem mir selber gegenüber (woran es mir ohnehin mangelt).

Trotzdem, einen Herzschlag Vorsprung hat mein Papa bis heute.

Er war stets derjenige, der die Dinge in meinem Leben gerichtet hat.

Dabei wurde ihm selber nicht nur seine Jugend, sondern auch seine Kindheit gestohlen:

Am 27. September 1928 geboren, wurde er als 14jähriger zur "Rettung des Deutschen Reichs" abkommandiert. Auf die Allerjüngsten musste damals zum Schrecken ihrer (zumindest der meisten) Mütter zurückgegriffen werden,

weil man noch immer nicht begreifen wollte, dass die sogenannten "Politiker" das Land (und mit ihm die Welt) längst gegen die Wand gefahren hatten.

Für meinen Vater endete sein unfreiwilliger "Rettungsversuch"  in französischer Kriegsgefangenschaft.


Ein väterlicher Freund

Kleine Zwischenerwähnung: vor etwa 20 Jahren lernte ich Ferdi kennen, der mein väterliche Freund wurde. Er war nur einen einzigen Tag älter als mein Vater, geboren am 26. September 1928 (er lebt noch und ist topfit).

Auch Ferdi wurde rekrutiert. Auch Ferdi landete in französischer Kriegsgefangenschaft. Auf dem Weg aus dem Krieg nach Hause

stoppten ihn französische Soldaten etwa einen Kilometer vor dem Ziel, seine Mutter wieder in die Arme schließen zu können ... und verschleppten ihn nach Frankreich.


Papa hat nie etwas erzählt

Durch Ferdi habe ich erfahren, was meinem Vater vielleicht passiert sein könnte. Mein Vater sprach nicht über diese Zeit. Es war, als hätte er ein Schweigegelübde abgelegt.

Ich weiß nur, dass meine Oma voller Sorgen um ihren Sohn war. Denn wie Ferdi hatte auch mein Vater lange Zeit keine Nachricht darüber schicken dürfen, dass er überhaupt noch lebt.

Aus dieser Zeit übrig geblieben ist ein altes, vergilbtes Stück Papier, auf dem er mit Bleistift eine Nachricht an seine Eltern und seinen jüngeren Bruder geschrieben hat. Der Brief ist vom 4. Februar 1945 (ein 4. Februar war übrigens der Geburtstag meiner Mutter, der Liebe seines Lebens).

Das Schreiben ist unlesbar, allenfalls kann man einzelne Worte entziffern.




Er war überhaupt nicht der Mann vieler Worte

... das sagt man uns Westfalen ja im allgemeinen nach (er und ich, Heimatort: Dortmund). Auf meinen Vater traf diese Wortkargkeit zu, auf mich eher weniger.

So weiß ich auch nicht, wann er endlich wieder nach Hause zurückkehren konnte. Aber  dieser Brief, der ein Lebenszeichen nach großer Hoffnungslosigkeit und zum Glück verfrühter Trauer war, wurde in unserer Familie wie ein Schatz gehütet.

Als letzte Überlebende meiner Familie besitze ich nun seit langer Zeit die unlesbaren Worte einer unbeschreiblich furchtbaren Zeit, den Brief eines damals 17jährigen, der viel später mein Vater wurde.

Und durch dessen Zwangsrekrutierung meine Geburt lange auf der Kippe stand und letzten Endes und ebenfalls durch die Erlebnisse meiner Mutter

ein viel größerer Zufall war, als der, welche Samenzelle nun mit welcher Eizelle verschmilzt.


Er war der beste Vater überhaupt

... und sein Bestreben galt überdies, dass meinem Bruder und mir ähnliches Leid wie es ihm widerfahren war,  erspart bleiben sollte.

Schon sein Vater Silverius Schäfer war Sozialdemokrat. *

Aber ich will hier nicht politisch, sondern persönlich schreiben:

Als Kind war ich ein "Spinnewibbchen" (ich bin nie dick geworden, aber damals war ich eben besonders dünn und sah zerbrechlich aus) - und mein Vater war es oft, der mich ermunterte, beim Essen herzhafter zuzugreifen. Manchmal auch mit Tricks.

Gut, dass er am Ende doch so viel gearbeitet hat, sonst wäre er der 1. Helicopter-Vater der Geschichte geworden.

Obwohl ich so gerne eine Eisprinzessin geworden wäre, hat er mir aus Angst, ich könnte mir die zarten Beinchen brechen,  Schlittschuhe verweigert.

Wenn ich mittags aus der Schule kam und einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs nehmen musste, trichterte er mir ein, dass ich für keinen erwachsenen Menschen meinen Sitzplatz räumen müsste - denn nach vielen Stunden Schulunterricht hätte ich ein Anrecht darauf (obwohl natürlich für mich auch niemand aufstehen sollte).

Als ich unbedingt in ein Internat wollte, und er nach einigem Zögern zustimmte, fuhr er mit mir durchs Land und guckte sich gemeinsam mit mir vier Einrichtungen an, bevor ihm eine einigermaßen passend erschien.

So könnte ich unsere Geschichten noch bis mindestens morgen früh fortsetzen, denn seine Fürsorge und Sorge endete niemals ... und kannte nur den einen einzigen Schlussstrich:

Er starb nach vielen Krankheiten am 18. März 1993, noch nicht einmal 65 Jahre alt.

Zu seinen Lebzeiten hätte er es gehasst, dass ich ihn mit so vielen Worten derart in den Mittelpunkt stelle.


* nicht mit der Sozialdemokratie oder der SPD von heute vergleichbar


Guten Tag, Gruß Silvia 

3 Kommentare:

  1. Ich war auch ein Papa-Kind. Mein Vater war Jahrgang 1913 und ich habe Ihn erst mit fünf Jahren kennen gelernt. Er war da erst als Spätheimkehrer aus russischer Gefangenschaft nach Hause gekommen.Als ich Ihn das erste mal sah, rief ich ganz erstaunt " Der ja doch zwei Ohren !" Ich hatte bis dato nur ein Seitenansicht Bild von Ihm gesehen. Ich habe meinen Vater auf Anhieb geliebt. Für meinen Zwillingsbruder war er lange Zeit ein Fremder. Wir wohnen ja bei Köln und er mußte in Hannover (seiner Heimat) seine Papiere ordnen und ich bin voller Begeisterung mit Ihm dahin gereist. Das waren und sind für mich bis heute wunderschöne Erlebnisse. Leider hatte er viele Krankheiten unter anderem auch Malaria davon getragen. Ich hätte noch soviel mit und über meinen Vater zu erzählen. Dein Bericht ist mir aus der Seele gesprochen liebe Silvia und danke Dir dafür.
    Liebe Grüße Marko

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    1. Danke für die schöne Schilderung über deinen Vater, Marko. Da steckt sehr viel Liebe drin.

      Liebe Grüße, Silvia

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