For You 9525
Ausnahmsweise erzähle ich einmal etwas über mich: Mein Bruder starb bei einem ähnlich traumatischen Unglück wie jenes, das jetzt alle Passagiere und Besatzungsmitglieder des Germanwings-Fluges getroffen hat. Sein Tod war plötzlich, erschreckend und hat die ganze Familie in eine tiefe Trauer und auch Verzweiflung gestürzt. In dieser Zeit haben wir einen enormen Zuspruch von überall her erfahren - ohne dass es damals das Internet überhaupt gegeben hat (zum Glück!). Die tröstenden Worte kamen in persönlicher Form und in schriftlicher oder telefonischer, je nachdem, wo jemand wohnte. Zur Beerdigung hatten sich so viele Menschen eingefunden, dass man einerseits im Meer der Mit-Trauernden untergegangen ist, andererseits sicher und geborgen war.
Den ersten entsetzlichen Tagen folgten weitere furchtbare, ich möchte sagen: Jahre. Für meine Eltern wurde die Welt nie mehr, wie sie einmal war. Meine Mutter konnte ihrer Trauer zumindest Worte geben, während mein Vater alles stumm in sich hinein fraß. Vielleicht ist er deshalb nicht so alt geworden wie sie. Doch bis an ihr Lebensende mit 80 Jahren hat sie der Verlust nie mehr wirklich glücklich werden lassen.
Diese Trauerbewältigung haben die Angehörigen der Opfer von Flug 4U9525 noch vor sich, und für viele wird dieser Weg ein steiniger, einer mit vielen Hindernissen und mit dem unweigerlich kommenden Unverständnis vieler Leute: Irgendwann passiert es, dass die anderen den Trauernden nicht mehr zuhören möchten, können, wollen. Was aus der Sicht der nicht direkt Betroffenen allzu verständlich ist.
Die Eltern der Opfer einer Schule in Haltern am See sind somit bei all dem Unglück noch in einer Gemeinschaft geborgen. Eine direkte Selbsthilfegruppe bietet sich dringend an: Hier versteht einer den anderen, und es geht sogar um dasselbe Unglück - welches man ohnehin nie begreifen wird. Da kann man noch so viel im Kreis reden, hinterfragen und nach einem Sinn suchen: Es gibt keinen Sinn. Doch Reden hilft immer, und die betroffenen Eltern werden vielleicht auf immer jemanden zum Reden brauchen.
Andere werden allein sein in ihrer Trauer und in der langen Zeit nach dem Unglück. Ein jeder von ihnen muss einen Weg finden, damit weiter leben zu können - und wenn es gut läuft, eines Tages wieder lachen zu können.
Nur die Angehörigen und besonders die Eltern des bereits öffentlich schuldig gesprochenen Co-Piloten haben erfahren, dass es etwas gibt, das noch schlimmer ist als der Tod eines Kindes: Wenn ihr Kind der vermeintlich Schuldige am Geschehen ist.
Allen voran eine bestimmte Zeitung bildet da die Meinungen in äußerst aufdringlicher Art und Weise. Und ohne irgendwelche Rücksichten auf Unschuldige haben sie den Namen des First Officers veröffentlicht und seinen Wohnort bekannt gegeben. Damit die Hatz los gehen kann.
Und so verlieren viele den Rest von Anstand, z. B. auf Facebook, wenn sie Kommentare abgeben, die sie nie wieder zurück nehmen können, und die vermutlich so unterirdisch bösartig sind, dass es einem angst und bange wird. Ich lese nicht auf diesen Profilen, ich habe aber davon gehört.
Liebe Leute, die ihr meint, derart niederträchtig posten zu müssen, der Co-Pilot ist bereits verstorben. Ihm könnt ihr nichts mehr anhaben - umso mehr aber seinen Angehörigen. Die aber sind ebenfalls in Trauer, sind ebenfalls betroffen und werden ohnehin ihres Lebens nicht mehr froh.
Es wäre mal ein ganz neuer Akt, die bebilderte Zeitung zu ignorieren und eigene Wege zu beschreiten: Zum Beispiel den Eltern des A. L. zu kondolieren, und das aus ganzem Herzen, da ja nun mal bekannt ist, wer sie sind. Warum der Co-Pilot diese Tat begangen hat und ob es überhaupt eine Tat war, ist überdies noch nicht wirklich endgültig geklärt. Vielleicht bringt eine spätere Obduktion engdültige Erkenntnisse. Vielleicht klärt sich der wahre Sachverhalt auch niemals gänzlich auf.
Und den Medien sei das Taktgefühl zurück zu wünschen bzw.überhaupt zu wünschen: Lasst die Leute in Ruhe, postiert euch nicht vor Häusern von Trauernden, um der Sensationsgier Fraß zu geben.
Von hier aus wünsche ich allen Trauernden viel Kraft, Mut, Zuhörer und irgendwann, ganz viel später, viele schöne Erinnerungen an eure verstorbenen Lieblinge.
Guten Tag, Gruß Silvia
Liebe Silvia ich danke dir von Herzen für die absolut richtigen und einzigartig guten Worte, die du gefunden hast. Susi
AntwortenLöschenDanke Susi - das war der für mich bisher schwierigste Beitrag.
LöschenDanke liebe Silvia,
AntwortenLöschenfür den guten Beitrag, der alles beinhaltet was man zu dem Unglück als Außenstehender sagen kann. Du hast es genau richtig gesagt, die Presse schwingt sich als Richter auf, aus reiner Sensationsgier. Dabei weiß sie ganz genau, dass es leider zu viele kranke Gehirne gibt, die auf alles und jeden schimpfen und alles, ob schuldig oder nicht, in den Dreck treten müssen. Wie du schon richtig sagst, der Co-Pilot ist auch unter den Toten. Ob ihn eine Schuld trifft weiß bis jetzt noch keiner. Und selbst wenn er schuldig ist, so können seine Hinterbliebenen mit Sicherheit nicht dafür. Die Hinterbliebenen müssen nun doppeltes Leid ertragen, dank einer gefühlsarmen Medienwelt in einer gedankenlosen Gesellschaft. Ich hoffe dass allen Anverwandten, aller Opfer, Hilfe zu Teil wird und sie das Leid irgendwann verarbeiten und gesund überstehen. Trost kann nur spenden, der in etwa Selbiges erlebt hat und mich sich inzwischen im Reinen ist.
Ich kann nur meine Anteilnahme spenden.
LG von einem mitfühlenden rudi
Da sagst du was, Rudi. Kann ich nur absolut unterschreiben. Gruß Silvia
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