Das alte - und stets wie frisch verliebt wirkende - Ehepaar
Es gibt sie noch, diese (fast) lebenslange Liebe eines Paares, die überdies den Anschein einer andauernden Verliebtheit hat.
Das Ehepaar W. wohnte in meiner näheren Nachbarschaft, und ich kannte sie über 20 Jahre. Schon damals waren sie nicht mehr jung, aber wenn man sie gemeinsam sah, erfreute es das Herz.
Dabei wirkten sie ziemlich unterschiedlich auf mich: sie war die entzückende zierliche Frau, der die Sympathien zuflogen. Er
war eher das grummelige Gegenteil, zuweilen sogar ein Stinkstiefel. Herr W. war der erste von beiden, den ich kennenlernte:
oft traf ich ihn, wenn er mit seiner kleinen Mischlingshündin "Tapsy" spazieren ging, während ich meinen Yorkshire-Terrier Robin ausführte, der ziemlich angetan von Tapsy war. War Tapsy läufig, interessierte es Herrn W. nicht, dass der Hundemädchenduft meinem Rüden direkt in die Nase und in seine Lustgefühle wehte. Eher erfreute er sich an dem Leid meines Hundes ... und das kann groß sein, wenn ein intakter Rüde ein läufige Hündin wittert ...
Trotzdem kam ich - abgesehen von diesen zweimal jährlich wiederkehrenden Perioden - recht gut mit ihm aus. Aber niemals hätte und hat er von mir den Rat angenommen, Tapsy
ihren Ball wegzunehmen, dem sie wie eine Süchtige hinterherjagte, und der sie am glücklichen Hundeleben ziemlich hinderte.
Das Ball-Junkie-Dasein ist vergleichbar mit der Sucht vieler Fußgänger, die auch draußen ihren Blick nicht von ihren Smart-Phones wenden können, damit sie die nächste Neuigkeit auf Social Media nicht verpassen. Dass sie dabei anderes - nämlich ihr Leben - verpassen - geschenkt.
Herr W.
hatte tägliche Treffen mit anderen - wie man heute sagt - alten weißen Männern. Die neuesten Altherrenwitze hatten alle stetig im Gepäck. "Je oller, je doller" - das passt schon. Das habe ich auch einmal zu ihm gesagt.
Stur war er auch: im Park ist Leinenpflicht. Eines Tages hatte ich Robin noch rechtzeitig angeleint, weil die ausgeflogene Ordnungsamt-Bande wieder einmal auf Beutefang war (kostete erst 30, dann 45 Euro Bußgeld). Herr W. kam mir in einer Biegung entgegen, in der die Gerne-Knöllchenschreiber ihn noch nicht sehen konnten. Ich warnte ihn ...
Trotzig wie ein kleines Kind missachtete er meine Warnung ... und ging der gierigen Stadtkasse direkt in die Falle.
Frau W.
habe ich bei einem nächsten zufälligen Treffen davon erzählt. Man möchte freundlich sein und ihren Mann warnen, aber der hätte eher seine Hündin noch abgeleint, wäre sie denn angeleint gewesen, als auf das zu hören,
was andere empfahlen.
So kannte sie ihn, und sie wusste natürlich längst von dem Vorfall.
Ganz kusch stand er neben ihr und nickte. Bei ihr wurde er vom Stinkstiefel zum hingebungsvollen Schmusebär.
Das alte Ehepaar
Schon vor vielen Jahren ist die kleine Hündin Tapsy verstorben, aber mindestens einmal wöchentlich traf ich nach wie vor einen von ihnen - meistens beide. Und
sie hielten stets Händchen und sahen sich liebevoll an.
Im hohen Alter hatten beide ihre gesundheitlichen Probleme. Er hörte allerdings schon viele Jahre nicht mehr gut und trug ein Hörgerät. Sie hatte
diverse Erkrankungen, und er begleitete sie zum Arzt oder zur Physiotherapie oder holte sie von dort ab.
Ein Paar mit Vorbild-Charakter, auch, wenn ich ihn nur dann wirklich als nett empfand, wenn ich mich ein wenig bemühte, ihn durch ihre Augen zu sehen ... Sie war eine der entzückendsten Menschen, die ich kennengelernt habe.
Vor einem Jahr ist sie mit 95 Jahren verstorben.
Vor ein paar Monaten ist ihr Mann mit 97 Jahren in seiner Wohnung gestürzt. Vom Krankenhaus kam er in ein Pflegeheim.
Guten Tag, Gruß Silvia
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