Die Erbin eines Bestattungs-Instituts
Im Laufe seines Lebens trifft jeder viele und auch viele unterschiedliche Menschen. Manche sind nur Zufallsbegegnungen, während andere sogar Freunde werden. Viele vergisst man wieder, an andere, frühere Bekanntschaften denkt man hin und wieder.
Ich denke manchmal an Frauke (Name geändert). Als Kind lebte sie in einer großen Wohnung, und unter ihrem Zuhause war der letzte Aufbewahrungsort Verstorbener. Ihr Vater führte ein alteingesessenes Bestattungs-Unternehmen im Ruhrgebiet. Da er seine spätere Ehefrau recht spät in seinem Leben kennengelernt hat, war Frauke ihr einziges Kind.
Eines Tages sollte sie das Familien-Unternehmen übernehmen.
Irgendwann lernten wir uns kennen und wurden zwar keine Freundinnen, aber gute Bekannte - und wir trafen uns hin und wieder zu einem Kaffee oder einem Spaziergang oder sonstigen kleinen Unternehmungen. Auch einen Geburtstag feierten wir einmal zusammen. Ein paar Mal war ich auch in ihrem Elternhaus zu Besuch,
und ich muss sagen, dass mir mulmig zumute war, wenn ich daran dachte, dass wir dann - nur getrennt durch einen Betonboden - über den damaligen Aufbewahrungs-Leichen einen Kaffee getrunken und Kuchen gegessen haben.
Ich fand das spooky.
Fraukes Mutter war eine sehr freundliche und immer noch gutaussehende, großgewachsene, inzwischen schon etwas ältere Frau, die früher, als es noch nicht Model hieß, als Mannequin gearbeitet hatte. Gern hätte ich etwas über die Kennenlerngeschichte
eines Bestatters und eines Mannequins gewusst - und ich hätte es auch sicherlich erfahren können. Aber von Natur aus bin ich zu viel wenig neugierig,
und so merke ich oft erst später, auch viel zu spät, welch vielleicht herrliche Geschichten mir entgangen sind.
Frauke
schlug beruflich einen anderen Weg als den einer Bestatterin ein, aber ihr Vater hoffte dennoch auf einen Quereinstieg ihrerseits eines Tages, nämlich dann, wenn es nötig sein sollte.
Irgendwann während Fraukes und meiner langjährigen Bekanntschaft wurde es für sie Zeit, eine Entscheidung zu treffen: ihr Vater verstarb recht plötzlich.
Frauke, die mir erzählte, dass sie ihr ganzes Leben quasi mit Leichen verbracht hatte, war nun fest entschlossen, den ihr vorgezeichneten Weg nicht zu gehen. Sie mochte nichts mehr mit dem stets präsenten Tod zu tun haben.
Einige Zeit nach dem Tod ihres Vaters wurde das Institut verkauft. Und die dazugehörige Wohnung ebenfalls. Ihre Mutter zog um,
Frauke zog in eine andere Stadt. Wir verloren uns aus den Augen.
Wiedersehen mit Frauke
Durch Zufälle haben wir uns insgesamt noch dreimal gesehen.
Und das war kein wirklich schönes Wiedersehen.
Frauke litt - gerade einmal knapp 50 Jahre alt und zum ersten Mal in ihrem Leben frisch verheiratet - an einer Autoimmunkrankheit:
alle paar Tage musste sie an die Hämo-Dialyse angeschlossen werden. Die Wartezeit auf eine neue Niere kann schon mal 10 Jahre betragen.
Bei unserer letzten zufälligen Begegnung erzählte sie mir, dass ihr Mann ihr eine Niere spenden wolle - sie aber zögere ...
Eine Geschichte ohne Ende ...
Frauke wollte ihrem Mann diese Belastung, mit nur einer Niere weiterzuleben, nicht wirklich zumuten. Er hatte einen mental anstrengenden Beruf und seine Karriere hatte gerade einen Aufschwung genommen ...
Seitdem, und das ist etwa 8 Jahre her, habe ich sie nicht wiedergesehen. Beide hatten wir vergessen, Telefon-Nummern auszutauschen. Die alten Nummern waren nicht mehr aktuell - denn wie gesagt, waren wir keine engen Freundinnen, sondern nur gute Bekannte.
Ich würde so gerne wissen, ob sie irgendwann wieder halbwegs gesund geworden ist.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte: dann hat sie eine Niere von ihrem Mann - oder einem anonymen Spender - bekommen und beide sind weit weg gezogen, so dass uns der Zufall, uns wiederzutreffen, nicht mehr zu Hilfe kommen kann,
aber sie lebt ein glückliches, zufriedenes Leben.
Guten Tag, Gruß Silvia
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