Sonntag, 12. April 2020

12. April 2020 - Bienchens Geschichte - 3. Teil



Einseitige Liebe auf den 1. Blick

Mit Paul fuhren wir in den kleinen Mosel-Ort, in dem meine Mutter lebte. Ich wollte schließlich Bienchen sehen. Später könnte ich dann meiner Mutter meinen Eindruck von ihr schildern, denn ich wusste, dass die kleine Malteser-Hündin ihr sehr am Herzen lag. Vielleicht war sie überhaupt noch das einzige Wesen, das ihr am Herzen lag. Aber da war ja noch Paul ...

In die Wohnung meiner Mutter musste man durch eine Glastür gehen. Die war zum Teil mit einem Vorhang bedeckt, aber ganz unten war der sichtfreie Teil, der vermutlich schon immer Bienchens Aussichtspunkt gewesen war.

Und hinter der Glastür sah ich sie zum ersten Mal. Ein kleines, dickes, verstörtes Hunde-Wesen, das nicht wusste, wie ihm geschah und sich nach meiner Mutter sehnte. Sicher zuckte sie bei jedem Geräusch an der Tür zusammen, weil sie hoffte, meine Mutter käme endlich zurück. Immerhin wartete sie an diesem Tag bereits seit einer Woche.

Dieser traurige Anblick lässt mich bis heute nicht los.

Und es war Liebe auf den 1. Blick - aber nur bei mir. Nicht bei Bienchen. Ich ließ Robin von der Leine, und wir betraten die Wohnung.

Das war wohl für Bienchen die größte Ablenkung seit langer Zeit. Sie begrüßte Paul, aber dann umgarnte sie Robin. Er gefiel ihr auf Anhieb. Sie lief ihm voran durch die ganze große Wohnung und zeigte ihm all ihre Lieblingsplätze. Der absolute Lieblingsplatz war der im Bett meiner Mutter ... sie sprang darauf und legte sich auf das 2. Kopfkissen im Ruhelager, und gleichzeitig animierte sie Robin, auch aufs Bett zu springen.

Da vor ihm ohnehin kein Bett sicher war, folgte er prompt dieser Aufforderung.

Für den Moment konnte Bienchen offensichtlich ihren Kummer vergessen.

Ich würde mir später ein Hotelzimmer in Zell an der Mosel suchen. Aber ich kannte Bienchen nicht und die Macken, die sie vielleicht hatte. Vor allem kannte sie mich nicht.

Liebend gern hätte ich sie mitgenommen ins Hotel. Aber hier war ihre vertraute Umgebung, hier war sie Zuhause. Alles Fremde hätte sie nur verstört ... es sollte für sie ohnehin die Zeit für Fremdes und Neues kommen,

aber nicht jetzt, nicht an diesem Tag.

Noch niemals habe ich die Wohnung meiner Mutter so tieftraurig verlassen. Sie sah uns hinterher, auf ihrem Platz hinter der Glastür. So müssen Hunde aussehen,

die im Tierheim darauf warten, mitgenommen zu werden.

In diesem Moment, wo ich dies niederschreibe, ist das Gefühl von damals wieder ganz präsent.


Das Wiedersehen

Es war ein sehr heißer Tag im Juni 2010. Paul fuhr mich zu dem Krankenhaus, in dem meine Mutter lag. Vor der Klinik angekommen, wollte er

Robin im Auto lassen. Denn er wollte mir die erste Begegnung nach 15 Jahren mit meiner Mutter keineswegs allein überlassen, sondern mit hineingehen. Allein das kann man bereits als Frechheit und Empathielosigkeit bezeichnen. Doch Schwamm drüber!

Aber: Ich lasse doch meinen Hund nicht allein im Auto zurück. Nie! Und schon gar nicht bei dieser Hitze.

Der erste kleine Disput zwischen Paul und mir folgte. Er sollte mit Robin vor der Klinik warten, und zwar draußen vor der Tür. Ich gewann diese Auseinandersetzung schließlich, denn

hätte er Robin wirklich im Auto lassen wollen, hätte ich leider nicht zu meiner Mutter gehen können. Ich hätte mir erst unten im Ort - die Klinik liegt etwas außerhalb vom Ortskern Zell auf einem Berg - ein Hotelzimmer suchen und sie später besuchen müssen.

Über diesen Paul konnte ich wirklich nur den Kopf schütteln. Aber er fügte sich, wir stiegen alle drei aus dem Auto aus, und er nahm vor dem Krankenhaus auf einer Bank Platz. Robin fest an der Leine, wie ich es ihm "befohlen" hatte.

Mein mulmiges Gefühl, das ich zuvor noch hatte, meine Mutter nach so vielen Jahren wieder zu sehen, verschwand. Das hatte ich wohl meinem Ärger über Paul zu verdanken.

Ich kannte von ihm die Zimmernummer, und da lag nun meine Mama ... Sie sah eigentlich aus wie immer: Sehr zierlich, sehr schlank, das Gesicht kaum gealtert seit damals.

Es war keinerlei Fremdheit zwischen uns, sondern es war vom ersten Moment an so wie es immer war. So wie wir immer waren.

Nach ein paar Minuten hatten wir eine erste Plänkelei ... andere nennen so etwas Streit.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann


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