Samstag, 11. April 2020

11. April 2020 - Bienchens Geschichte - 2. Teil



Mit Robin durch Bullay streifen

Ich erreichte Bullay an einem Sonntag im Juni 2010. Bullay ist der nächstgelegene Bahnhof zu Zell a. d. Mosel und war es auch zu dem Wohnort meiner Mutter etwas außerhalb. Erst einmal musste ich mich akklimatisieren, denn ich war so lange nicht mehr dort gewesen - im Gegensatz zu früher, als wir meistens  einmal im Monat ein Wochenende hier verbracht hatten.

Unser Wiedersehen war für den nächsten Tag geplant. Sofort hätte ich sie nicht aufsuchen können, denn nach den vielen Jahren fühlte ich leichte Bauchschmerzen darüber, sie 1. überhaupt wiederzusehen und

2. auch noch krank in einem  Krankenhaus.

Paul hatte sie ein paar Tage zuvor in ihrer Küche unter dem Tisch liegend vorgefunden und sofort den Notarzt gerufen. Weil man mich nicht zu erreichen wusste, wurde auch die Polizei eingeschaltet.

Einen Reise-Buggy hinter mir herziehend, Robin vor mir hergehend, zogen wir durchs beschauliche Bullay auf der Suche nach einem Hotel. Ich wollte nicht in der Wohnung meiner Mutter übernachten, denn die war mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht zu erreichen - auch im Hinblick auf Klinikbesuche.

Paul mochte ich nicht öfter als nötig bitten, mich zu fahren. Das Thema Taxi kam mir gar nicht in den Sinn, denn auch Zuhause fuhr ich entweder mit den Öffentlichen oder mit dem Privat-Auto.

Vor allen Dingen aber wollte ich an einem neutralen Ort wohnen, in einem neutralen Hotelzimmer. Ohne all die Dinge, die meine Mutter umgaben und auch Erinnerungen an meinen Bruder Heinz und mich selber beinhalteten.

Nur für eine Nacht suchte ich eine Unterkunft in Bullay, die folgenden Tage würde ich in Zell wohnen.

Einmal quer durch den Ort, und ich hatte ein schön aussehendes Hotel gefunden. Die Besitzerin kam mir entgegen, und leider nur,

um mir samt Robin und Gepäck den steilen Anstieg zu ihrem Haus zu ersparen. Sie musste mir den Aufenthalt verweigern, da sie keine Hunde im Hotel aufnahm. Aber sie war ausgesprochen freundlich, erkundigte sich nach meinen Wünschen für eine Bleibe

und ging zurück ins Haus, um zu telefonieren. Drei Minuten später hatte ich die Adresse einer netten Pension im Ort - plus Wegbeschreibung.

Am Abend gingen Robin und ich zum Essen in ihren Restaurant-Garten. Siehe das obige Foto, das den Blick ins Moseltal zeigt.


Begegnung mit Paul

Paul kannte mich, ich konnte mich an ihn allerdings nicht erinnern. Er hatte mich auf der Beerdigung meines Vaters kennen gelernt. Nun wartete ich am Bullayer Bahnhof auf ihn,

und pünktlich kam er mit seinem Schlitten um die Ecke.

Wie ich die ersten Minuten beschreiben soll, weiß ich gar nicht. Er hatte offenbar eine Art von Furcht vor mir, die selbst für mich schwer zu beschreiben ist und zu fassen war  ... als wäre ich gekommen, um ihm etwas weg zu nehmen. Aus seiner Sicht lag er damit nicht einmal falsch.

Meine Sicht war eine ganz andere: Ich wollte lediglich meine Mutter wieder sehen, wenn auch anders, als ich es mir 1995 gedacht hatte, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Im besten Fall könnten wir darüber sprechen, warum es soweit kommen musste ... da es jedoch nie einen bedeutenden Streit zwischen uns gegeben hatte, der alles erklären könnte, war das auch vorrangig nicht mehr wichtig.

Es gab einen kleinen Auslöser, dass meine Mutter sich von mir (aber nicht nur von mir, sondern auch von den restlichen Verwandten) zurückgezogen hatte:

Nach dem Tod meines Vaters 1993 wurde eine Wohnung ganz in meiner Nähe frei. Und da meine Mutter völlig allein dort in der "Fremde" war, dachte ich, es wäre eine gute Idee, ihr den Vorschlag zu machen, in diese Wohnung einzuziehen.

Das war allerdings in ihren Augen überhaupt keine gute Idee, sondern eine Bevormundung. Sie hätte dort "in der Fremde" ja Freunde ( ich kannte einige davon sogar, mehr dem Namen nach und als inzwischen gesichtslose Menschen auf der Beerdigung meines Vaters) und sie hätte Paul.

Danach fing es an, zwischen uns aufzuhören.
Danach begann sie mit der Funkstille.
Ohne weitere Erklärung. Und in meinen Augen auch grundlos.

Im Jahr 2010 erfuhr ich einen möglichen Grund. Aber der lag zum Glück nicht an mir. Er war viel trauriger.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann


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