Annas Weihnachten
Für Anna war die Adventszeit stets ihre liebste und schönste eines jeden Jahres, und sie hatte gebacken, was Mehl, Butter, Zucker und Eier und noch so allerlei hergab. Sie hatte Menüs geplant, verworfen und neu geplant. Am Ende standen viele lange Einkaufslisten und Gänge in Supermärkte und Dekoläden. Sie wollte, dass es wieder einmal das schönste Weihnachtsfest wurde, das sie ihren Liebsten bescheren konnte.
Tagelang schlenderte sie durch die hell erleuchtete Stadt über den Weihnachtsmarkt und durch die Geschäfte, um sich inspirieren zu lassen, wem sie was schenken konnte. Die so sorgfältig und intensiv für eine lange Geschenkeliste Bedachten sollten
Klaus, ihr Mann, und Martin, ihr Sohn und die kleine Tochter Mariella sein. Als sie schließlich für alle genügend Überraschungen parat hatte, musste noch das passende Geschenkpapier her. Vier Stunden war sie allein mit dem Verpacken beschäftigt.
An Heiligabend bereitete sie vier prall gefüllte Weihnachtsteller zu, denn ihre Familie gehörte insgesamt der Garde der Süßbacken an - während die Gans im Ofen ihrer Vollendung entgegen schmurgelte. Klöße wurden aus gekochten Kartoffeln geformt, eine Soße montiert - und der Rotkohl war frisch und selbst geraspelt.
Ein großartiges Fest der Liebe sollte es werden - so wie immer.
Anna deckte den Tisch und unter den Weihnachtsbaum, den sie vor ein paar Tagen aus dem Wald geholt hatte, platzierte sie die vielen Geschenke.
Als alles bereit war,
kam etwas zurück, das sie seit Jahren wie nichts anderes fürchtete:
Die Realität.
Erfolgreich hatte sie die in der gesamten Adventszeit verdrängen können, aber nun saß sie wieder mit ihr an einem Tisch, und zwar ganz allein:
Klaus, Martin und Mariella waren vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie würden nicht mit ihr hier sitzen,
sie waren nur noch in ihren Gedanken bei ihr.
Plötzlich schellte es an der Tür. Anna erschrak, denn natürlich erwartete sie niemanden. Zaghaft öffnete sie die Tür,
vor der die vierköpfige Nachbarsfamilie stand. Eine Familie, wie sie auch mal eine hatte - und von der nur sie selber übrig geblieben war.
"Wir möchten Sie einladen, mit uns den Heiligabend zu verbringen", sagte die Nachbarin, die noch nicht sehr lange hier wohnte, aber erfahren hatte, dass Anna sehr einsam war, "es gibt zwar nur Kartoffelsalat und Würstchen, aber ..."
Seit zehn Jahren hatte Anna endlich wieder ein schönes Weihnachtsfest. Sie saßen noch lange in ihrem weihnachtlich geschmückten Wohnzimmer zusammen, nachdem ihr Gänsebraten mit
Wonne verspeist war - und sie den Kindern die Geschenke gegeben hatte, die eigentlich für Martin und Mariella bestimmt waren.
Einen schönen Adventstag, Gruß Silvia
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