Donnerstag, 21. Dezember 2017

21. Dezember 2017 - Adventskalender - 21. Türchen: Weihnachten auf der Kinder-Krebs-Station



Heiligabend auf der Krebsstation

Es gibt viele Leute, die über Paul lachen, denn er ist ein Eigenbrötler, ein Mensch, der mit anderen erwachsenen Leuten nicht leicht in Kontakt treten kann - und er lächelt so selten wie Weihnachten ist. So denken die meisten über ihn, und bestenfalls halten sie ihn für einen spinnenden Narren -

aber sie wissen nichts von seinem Freizeit-Engagement..

Er besucht todkranke Kinder auf onkologischen Stationen in den umliegenden Krankenhäusern und liest ihnen lustige und besinnliche Geschichten vor. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern an vielen Tagen im Jahr.

An jenem Heiligabend war er wieder einmal im St. Josefs-Krankenhaus und unter anderem gehörte der kleine Johannes zu seinen begeisterten Zuhörern. Johannes litt an Leukämie, und es sollte sein letztes Weihnachtsfest sein. Da freute sich Paul besonders, dem Jungen ein bisschen Glück in den Krankenhausalltag zu bringen und dabei selber das hundertfache zurück zu bekommen.

Doch Johannes Schicksal rührte den nunmehr fast siebzigjährigen Paul besonders. Der elfjährige Junge erinnerte ihn an seinen

Bruder Robert,

und zwar dermaßen, dass es dem humorvollen (ohne wirklich lustig zu sein) und weisen Paul manchmal schwer fiel, das unausweichliche Schicksal, das Johannes treffen würde, zu akzeptieren.

Er dachte an Robert zurück, der nun schon seit fünfzig Jahren tot war.

Pauls Eltern kamen bei einem Unfall ums Leben, und als größtes Glück im Unglück betrachtete er damals die Tatsache, dass er schon zwanzig Jahre alt war

und die Behörden ihm erlaubten, sich um seinen zehnjährigen Bruder zu kümmern.

Zwei Jahre nach dem Tod der Eltern erkrankte Robert an Leukämie - und er verstarb daran. Roberts Todestag war vielleicht der Beginn des Eigenbrötlertums von Paul:

Die schwere Krankheit empfand Paul wie ein eigenes Versagen.

Er hat nie eine eigene Familie gegründet, denn er wollte in seinem Leben nie wieder so traurig sein

wie nach dem Tod der Eltern - und noch mehr nach dem Tod des kleinen Bruders.

Johannes starb an jenem 2. Weihnachtstag. Doch der kluge Junge hatte zuvor aus Paul die Geschichte seines Lebens herausgekitzelt.

Weil er so früh sterben musste, wurde Johannes jeden Tag ein ganzes Jahr älter, um so die Weisheit späterer Jahre, die ihm nicht vergönnt waren, zu erleben.

Und er versprach Paul, falls es irgendetwas hinter dem Horizont und der Regenbogenbrücke gab, gemeinsam mit Robert auf ihn zu warten - und Robert zu erzählen, wie stolz er auf seinen

Bruder sein konnte.


Einen schönen Adventstag wünscht Silvia


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