Freitag, 22. Dezember 2017

22. Dezember 2017 - Adventskalender 2017: 22. Türchen: Tod im Internat


Im Internat

Als Jugendliche war ich vollkommen freiwillig und am Ende und im Resümee auch sehr gern in einem Internat, das von Nonnen geführt wurde. Zwar hat das insgesamt etwas negativ an meinem Glaubens-Verständnis gedreht, aber ich hatte vor allem mit den anderen Mädchen und im Besonderen mit meiner Clique eine zum Teil herrliche Zeit, die ich nicht missen möchte.

Es gibt viele Geschichten aus dieser Zeit, doch ich möchte hier nur von zweien erzählen: Über die eine konnte ich, als sie passierte, mehr weinen als lachen -

während es heute das genaue Gegenteil davon ist. Manchmal erzähle ich sie noch gerne. Huch, denn sie ist gut ausgegangen.

Die andere ist eine wirklich traurige - und erzählt auch von dem Umgang, den eine der Nonnen mit dem Thema Tod hatte.

Viele Freiheiten hatten wir nicht im Internat - zweimal in der Woche eine Stunde Ausgang. Ansonsten Silentium, und das täglich und viele Stunden.

Im Sommer gingen wir öfter ins Natur-Freibad, im Winter, denn der Ort liegt in einem Schneegebiet, in den Schnee. Dann allerdings in Gruppen und nicht auf uns allein gestellt.

Eine meiner besten Freundinnen und ich wollten ein bisschen mehr Freiheit, und bald kam uns ein Umstand sehr gelegen, der eigentlich einer Lehrerin nicht passieren sollte:

Wir hatten Sportunterricht bei ihr, und sie war dermaßen verpeilt, dass sie nicht eine einzige ihrer Schülerinnen kannte oder gar wieder erkannte.

Monatelang blieben wir also dem Sportunterricht fern und eroberten uns somit eine zusätzliche Zeit, in der wir durch den Ort stromerten, Kaffee trinken gingen oder auch shoppen. Gedeckt wurden wir von den anderen - und falls Prüfungen anstanden, warnten sie uns rechtzeitig und wir verzichteten auf unsere heimliche Freiheit.

Trotzdem flog die Sache irgendwann auf. Wir haben nie erfahren, wie das passieren konnte.

 Unseretwegen wurde eine Konferenz anberaumt,

und uns drohte der Schulverweis.

Wer damals die Hand über uns gehalten hat, wussten wir schon bald. Es war eine der Nonnen, die nicht nur im Internat, sondern auch in der Schule als Lehrerin tätig war.

Natürlich hat man uns etwa eine Woche lang schmoren lassen - und ich erinnere noch heute, dass dies Bestrafung genug war.

Nach der jedoch am Ende gewonnenen Schlacht fühlten wir uns wie Heldinnen.


Tod im Internat

Im Internat waren wir etwa 25 bis 30 Mädchen. Eines Tages starb von einem der Mädchen der Vater oder die Mutter (ich erinnere es nicht genau) - was uns allesamt in eine tiefe

Schockstarre stürzte.

Wir alle fühlten mit ihr - und hatten auch ohne das, was kurz darauf kam, genügend Angst und Sorge, dass es uns selber irgendwann ähnlich ergehen könnte. Denn wir gehörten nicht zu den Mädchen, die oberflächlich von den Eltern in ein Internat abgeschoben worden waren. Die meisten hatten so gute Elternhäuser wie ich.

Eine Nonne machte jeden Abend ihren üblichen Gute-Nacht-Rundgang. An diesem Abend sammelten wir uns jedoch in einem Zimmer und um sie herum. Wir sprachen über das Mädchen, das verstorbene Elternteil und über Gott und die Welt.

"Hier sind so viele Mädchen", meinte die Nonne plötzlich und es klang wie eine böse Erklärung des Unbegreiflichen, "da passiert so etwas mindestens einmal im Jahr, das eines einen Elternteil verliert."

Das stürzte uns alle und zumindest für die nächste Zeit in eine große Verzweiflung. Denn man musste kein großes Mathe-Genie sein,

um eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufzustellen. Man musste das nur verdauen, was diese Frau in grausamer Absicht geäußert hatte.

Nein, es war vermutlich keine grausame Absicht von ihr - sondern ihr fester Glaube, dass das Unglück jeden treffen kann und auch trifft. Ein bisschen Aberglaube inklusive - den Nonnen eigentlich nicht haben sollten.

Obwohl wir keine kleinen Kinder mehr waren, hatten wir eine Weile an ihren Worten zu kauen - und wie man sieht, ich habe sie nie vergessen.

Doch wir waren allesamt gefestigte Charaktere - und kamen recht schnell darüber und auch über das Unglück hinweg, das eine Mit-Internatsschülerin getroffen hatte, ohne das wir vergaßen, das betroffene

Mädchen

immer dann zu trösten, wenn sie mal wieder in eine tiefes Loch fiel.


Einen schönen Adventstag, Gruß Silvia








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