Freitag, 15. Dezember 2017

15, Dezember 2017 - Adventskalender 2017 - 15. Türchen: Die 106jährige



Die 106jährige

Über unser weitläufiges Waldgebiet denkt man sicherlich, dass es voller Menschen und Hunde ist, die sich täglich auf die Füße treten und einander überhaupt nicht kennen oder kennen lernen.

Das Gegenteil ist der Fall, denn in der Regel ist der Wald zu jeder Tageszeit mehr oder weniger menschen- und hundeleer, so dass sich diejenigen untereinander gut bis flüchtig kennen, die hier täglich ihren Hunden den Spaß eines Waldlaufes gönnen.

Mal trifft man sich öfter, mal seltener - das kommt auch auf die Uhr-Zeiten an, zu denen man sich zu einem entspannten Spaziergang aufmacht.

Seit ein paar Jahren kenne ich einen älteren Mann - nicht gut, aber gut genug, um auch über persönliche Dinge zu sprechen. Er hat eine Boxer-Hündin, ich meinen Yorkie und meine Malteser-Hündin. Wenn wir uns treffen, laufen wir gern gemeinsam durch die entspannende Natur.

Während einer unserer ersten gemeinsamen Spaziergänge erzählte er mir von seiner  Mutter ... ich sah ihn an und muss wohl ein bisschen irritiert dabei ausgesehen haben,

denn er weiß natürlich wie alt er ist, und ich konnte es schätzen,

und er lachte.

Ja, seine Mutter lebt. Obwohl ihr Sohn bereits etwa Mitte seiner siebziger Jahre ist. Nach dem genauen Alter habe ich ihn  natürlich nie gefragt. Er hat es mir mal genannt, aber ich habe es vergessen.

Jedesmal, wenn ich ihn nun - und das ist immer rein zufällig - treffe, sage ich nicht zuerst "Guten Morgen" oder "Guten Tag",

sondern frage,

ob seine Mutter noch lebt.

Sie ist im Mai diesen Jahres 106 Jahre alt geworden.

Bis zu ihrem 100. Geburtstag hat sie noch in einer eigenen Wohnung gelebt.

Natürlich bekommt sie schon seit Jahren in jedem Jahr zu ihrem Geburtstag einen Blumenstrauß der Stadt, überbracht vom Bürgermeister -

doch in die Tageszeitung möchte sie nicht. Dabei lieben die es, über Hundertjährige zu besuchen, sie zu fotografieren und interviewen.

Sie ist geistig auf der Höhe, doch körperlich hapert es an allen Ecken und Enden.

Und wie so viele (ihrem Alter nahe Menschen)  meint sie, der

Liebe Gott

habe sie vergessen.

All ihre Freunde sind bereits verstorben. Und sie würde im Grunde auch lieber sterben als weiter leben.

Wer - außer einem Angehörigen und vor allem dem betagten Menschen selber  - kann sich schon in einen Menschen mit solch einem Lebensalter hineinversetzen?

Ihren Sohn habe ich nun seit etwa drei Monaten nicht mehr getroffen ...

doch, wenn ich ihn wieder sehe,

weiß ich nicht, was ich mir auf die Frage: Lebt Ihre Mutter noch?

wünschen soll.

Vielleicht doch lieber die Antwort, dass sie es geschafft hat?


Einen schönen Adventstag, Gruß Silvia








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