Kurzgeschichte von
Silvia Gehrmann
2. und letzter Teil
Die Weihnachtsverweigerin
Mit einem Wort hätte sie das Gefühl umschreiben können: Sie fühlte sich fehl am Platz bei der coolen Freundin, die allem Sentimentalen abgeschworen hatte. Isabell kannte weder Verpflichtungen noch hätte sie sich jemals in solche begeben.
Und hier und heute erkannte Wiebke ihren eigenen Fehler - sie hatte nie gelernt, Nein zu sagen. Nein zu dem, was sie nicht wollte, Nein zu dem, was ihr keine Freude brachte
und vor allem Nein zu einem Weihnachten mit einer Familie, die nie ihre eigene geworden war. Natürlich lag dies nicht nur an den anderen, denn auch Wiebke hatte sich nicht bemüht, ein Teil von Jans Familie zu werden.
Sie hatte Jan gewollt, aber nicht den Rattenschwanz, der an ihm dran hing wie eine schlechte Parodie eines Familienmenschen, der seiner Mutter scheinbar mehr zugetan war als seiner Frau - und mit seinem Cousin die tollsten Kneipen-Abenteuer erlebte.
Wiebke trank den letzten Schluck Prosecco und bestellte ein Taxi. "Ich muss nach Hause, ich muss es zu einem Abschluss bringen - so oder so", erklärte sie der Freundin,
die sich lachend ins Sofa zurückfallen ließ. Als wollte sie sagen, dass Klartext noch nie Wiebkes Stärke gewesen sei.
Als sie in ihrem Zuhause ankam, war eigentlich alles wie immer. Man stritt sich. Das hatten die auch ohne sie hinbekommen.
Heute drehte sich der Streit darum, wer der Gans zu ihrem finalen schlaffen Häutchen verholfen hatte ... also gab es mehrere Köche, die sich in ihrer Küche breit gemacht hatten und
dabei genau so versagt hatten wie sie selber.
Als sie sich bemerkbar machte, hörte der Streit auf - und man stürzte sich auf Wiebke. Ihr flogen viele vorwurfsvolle Worte um die Ohren. Nur Jan war ziemlich still.
Ein Jahr später
Wiebke hatte sich nach diesem Weihnachtsfest von Jan getrennt. Die Scheidung war eingereicht, und sie hatte auch nicht vor,
diese zu stoppen,
obwohl sie sich seit zwei Monaten wieder mit ihm traf. Und wenn sie ihn traf, hatten sie Spaß miteinander. Endlich hörte er, was sie zu sagen hatte - endlich hatte sie mühsam gelernt, auch mal Nein zu sagen.
Und heute an Heiligabend erwartete sie Jan in ihrer neuen Wohnung. Er durfte zum erstenmal hier her kommen - und sie hatte sich ein kleines, einfaches Menü ausgedacht,
was sie für ihn und sich auf den Tisch brachte. Sie sprachen über sich - und seine Mutter spielte keine Rolle in diesen Unterhaltungen.
Ob sie je wieder mit ihm zusammen kommen würde oder er doch nur ein kleines Abenteuer nach dem Ende ihrer Ehe bleiben würde, wusste sie noch nicht.
Aber Wiebke nahm sich vor, in sich zu gehen - und den Unterschied zwischen der totalen Ablehnung seiner Mutter gegenüber und in der Akzeptanz derselben
vielleicht einen Weg zu finden, mit dem sie alle leben konnten.
Falls sie diesen Weg nicht fand, blieben ihr die schönsten Stunden, die sie je mit ihrem Noch-Ehemann erlebt hatte ...
Ende
Copyright Silvia Gehrmann
Einen schönen 2. Weihnachtstag wünscht Silvia
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