Dienstag, 13. Dezember 2016

13. Dezember 2016 - Mein Adventskalender - 13. Türchen - Gastbeitrag von Dicki - "Vera"

Fotos und Text von
Dicki


Vera

In den 80ern waren wir gerne in Ungarn in Urlaub. Nicht zu weit weg für die Fahrt mit den Kindern, sauber, freundlich, preisgünstig für westdeutsche Touristen, meist stabil gutes Urlaubswetter. Und der Balaton das ideale Plantschbecken für Kids. Wir haben ein Ferienhaus gemietet, besser gesagt: das Erdgeschoss eines Ferienhauses am Balaton. "Oben" waren am Wochenende die ungarischen Vermieter und Eigentümer.

An uns als westdeutsche Touristen gab es etwas "Seltsames". Wir haben damals nämlich einen ganz neuen schneeweißen Lada gefahren, ein "Russenauto". Das erregte das Interesse des Vermieters und er fragte an, ob er mal genauer schauen dürfte. Er durfte. Anfassen, reinsetzen, Probe fahren. Er wollte wissen, ob ein in die BRD exportiertes Auto irgendwie "besser" verarbeitet war als das, was man auf dem Ost-Markt ergattern konnte.

Und so kam der erste Kontakt zustande. Diesen Effekt wegen unserer "Exotenkutsche" hatten wir in diesem Urlaub noch öfter, auch von Bürgern aus der DDR, die ja dort auch Urlaub machen konnten. Immer das Interesse, ob die für den Westexport irgendwie besser verarbeitet wurden (War das Auto nicht, was die Leute dort beruhigte und irgendwie zufriedener stimmte 😉 ).


Es gab in diesen Tagen ein Fußballturnier, ich weiß nicht mehr, ob EM oder WM. Ein Spiel zwischen Österreich und Deutschland stand auf dem Plan. Der Vermieter hat meinen Mann eingeladen, in seiner Wohnung oben mit zu schauen. Es gab ja noch nicht die heutigen Online-Möglichkeiten. Eine nette Geste, die mein Mann gerne annahm. Und so sahen sie ein Spiel mit original ungarischem Kommentar ohne Untertitel und tranken ein Bierchen dabei.


Der Mann, Jozef, sprach sehr passables Deutsch. Seine Frau überhaupt nicht, kein einziges Wort. Aus diesen ersten freundlichen Kontakten ergab es sich, dass Jozef und seine Frau uns anboten,  uns ein wenig die Gegend zu zeigen. Es kam (im Lada) zu einem Ausflug. Die beiden zeigten uns ein paar wunderschöne Eckchen. Josef übersetzte manchmal ein wenig, was seine Frau erzählte. Wir besuchten auch ein Museum. Es ergab sich, dass Jozefs Frau, Vera, und ich eine Zeit lang alleine waren. Vera gefiel es sehr, dass ich sehen und verstehen wollte. Die ungarisch/englischen Beschriftungen auf den Ausstellungstücken haben einiges vereinfacht. Und seltsamer Weise verstanden wir uns (sie war Jahrzehnte älter als ich) sehr, sehr gut. Wir konnten uns mit Händen und Füßen verständigen und über so komplizierte Dinge "reden", wie das Geschlecht des oder der Mond(in). Wir hatten gemeinsam viel zu lachen.

Und plötzlich "konnte" Vera deutsch. Wir standen gerade an einem Mäuerchen mit einem sehr schönen Blick über den Balaton, als sie anfing deutsch zu sprechen. Ihr deutsch war sogar ganz gut. Ich erfuhr dann auch: Sie musste sie als Kind lernen. Von Besatzern und unter Zwang. In einer für sie ganz schlimmen Zeit. Sie musste damals deutsch sprechen, um zu über-leben.

Ganz allein für mich hat sie ihn aufgegeben, ihren "Schwur". Sie wollte eigentlich diese ihr damals aufgezwungene Sprache nie, nie wieder benutzen.
Kennenlernen und der beiderseitige Wille, sich zu verständigen, haben den Bann gebrochen.

Kann man sich vorstellen, wie gerührt ich war? Vera hat sich überwunden, für mich. Nach so vielen Jahrzehnten. Für mich als Person.  Wir hatten nun eine gemeinsame Sprache gefunden, in der wir noch besser "reden" konnten.

Ich werde das nie vergessen und wir haben uns noch lange geschrieben und auch noch besucht.
Geholfen hat sicher, dass ich mir ganz viel Mühe gegeben habe und einzelne Worte und Sätze aus dem ungarischem Wörterbuch gesucht habe, um mich mit Vera verständigen zu können. Unwissend noch, dass sie aus ihren persönlichen Gründen auch nicht anders "konnte".

Einen schönen Adventstag wünscht Dicki

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen