Freitag, 20. Dezember 2019

20. Dezember 2019 - Die schwersten Jahre ihres Lebens ...

An Omas rechter Seite Franz, an der linken mein Vater


Die schwersten Jahre ihres Lebens

Über Dortmund tobte der Bombenkrieg. Die Industrie sollte vernichtet werden. Dass dabei auch die Zivilbevölkerung in großer Gefahr war, wurde als Kollateralschaden hingenommen. Es ist schwierig, mich in die Situation der Menschen hineinzuversetzen,

weil ich sicherlich nur einen kleinen Teil von den Ängsten wirklich nachvollziehen kann.

Für meine Oma war es bereits der 2. Weltkrieg. 1902 geboren, erlebte sie nun noch einmal und jetzt den größeren und technisch seit dem 1. Weltkrieg absolut erweiterten Krieg. Während des 1. Weltkrieges war sie ein Kind bzw. ein junges Mädchen,

im 2. Weltkrieg war sie eine Frau mit drei Söhnen.

Der älteste hieß Johannes, der mittlere Josef, mein Vater, der jüngste Franz. Und Franz wurde erst 1937 geboren,

so dass er bei Ausbruch des Krieges noch sehr klein war. Meinen Vater schickten sie übrigens als 14jähriges Kanonenfutter  in den Krieg, den er dann in französischer Gefangenschaft ohne Eltern und lange ohne Nachricht unschuldig büßen musste.

Aber Franz war der Schutzbedürftigste in dieser Zeit. Meine Oma machte sich große Sorgen um dieses noch junge Leben,

und dann tat sie etwas, das ihr als Mutter das Schlimmste abverlangte, das sie ertragen musste, aber zu seiner Sicherheit auch wollte:

Sie schickte Franz nach Baden-Baden. Zu fremden Leuten. Diese Möglichkeit, Kinder in Sicherheit zu bringen, gab es damals.

Natürlich hatte sie Sorge, dass er sie am Ende nicht mehr kennen würde. Sie hatte Sorge, dass ihm auch dort etwas passieren könnte. Sie hatte zudem Sorgen um ihre beiden anderen Söhne.

Wie also sollte ich - oder viele andere - diesen großen Kummer auch je nachvollziehen können? Viele unserer heutigen Sorgen sind dagegen winzig klein, denn am Ende ging es damals ums

Überleben oder Sterben.

Telefonieren war nicht so einfach wie heute. Nachrichten wurde sehnsüchtig erwartet, und mal kamen sie, mal viel zu spät.

Franz blieb ein paar Jahre in Baden-Baden, und er hatte bis zu deren Lebensende Kontakt zu seinen Pflegeeltern.

Die wunderbare Belohnung kam nach Franz' Rückkehr für meine Oma: Vielleicht hatte er anfangs Probleme, sich in seine Ursprungsfamilie zurück zu orientieren, aber er hatte nicht

vergessen, dass meine Oma seine Mutter war, und nicht die Pflegemutter in Baden-Baden.

Er war ihr der beste Sohn, den sie sich wünschen konnte - wenn auch etwas westfälisch maulfaul. Er redete nicht so gerne. Wie mein Vater auch. - Meine Oma hingegen redete gerne. Die Söhne mussten sich dieses Schweigsame wohl von ihrem Vater abgelauscht haben, den ich nie kennen gelernt habe.

Silverius Schäfer (von ihm habe ich meinen Vornamen - und auch den beibehaltenen Nachnamen), mein Opa, starb bereits mit 47 Jahren an einer Pneumokoniose (Staublunge), nach dem Krieg.

Ihr ältester Sohn Johannes starb mit 21 Jahren (auch ihn habe ich nie kennen gelernt) - über seinen Tod gibt es zwei Versionen, und ich weiß nicht, welche die richtige ist.

Denn manchmal konnte auch meine Oma schweigen. Wohl dann, wenn es zu schmerzhaft war.

Johannes früher Tod ist auch der Grund, warum meine Oma inmitten von nur zweien ihrer drei Söhne auf dem Foto zu sehen ist.

Franz besuchte meine Oma auch noch täglich, nachdem sie bereits verstorben war. Zu ihren Lebzeiten sowieso. Er ging zum Friedhof, vorbei an einer Bahnschranke. Das ist eine andere Geschichte, die ich schon einmal erzählt habe, und die zu wiederholen, mir jetzt zu weh täte.


Guten Tag, Gruß Silvia

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