Dienstag, 10. Dezember 2019

10. Dezember 2019 - Adventskalender 2019 - Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel -- 10. Türchen

10. Teil der Geschichte:
"Das kleine Kloster-Cafe Marienwinkel"


Ach, was für ein Kreuz ist doch diese öde Familiensimpelei!
Oscar Wilde (1854 - 1900)

Clara nahm die Bestellungen der neuen Gäste entgegen und arbeitete sie rasch ab. Dann warf sie Gilberta einen fragenden Blick zu: Alles in Ordnung? ... sollte der Blick heißen. Und da Gilberta regungslos, aber unaufgeregt genau dort stehen blieb, wo sie nun schon seit mindestens einer Stunde stand und den Cafe-Eingang im Blick hatte, wusste sie: Die Gäste machten bislang alles richtig.


Hier lösen sich Knoten

Clara entschied sich, alle Gäste unter dem strengen und beobachtenden Blick von Gilberta allein zu lassen und ging zu Sr. Immakulata in die Küche. Diese räumte gerade alle benutzten Utensilien sauber gespült in die Schränke zurück. Für heute war kein großer Ansturm mehr zu erwarten, es war genug Kuchen da, und die Kaffeemaschine würde auch nicht mehr heiß laufen.

Clara hatte zwei Tassen Kaffee in der Hand, die sie aus dem Schankraum mitgebracht hatte. Es war ihr und Immakulatas Ritual, kurz vor Feierabend in aller Ruhe selber einen Kaffee zu trinken. Selten war auch Gilberta in diesen Momenten mit den beiden Frauen zusammen, und nie trank sie ebenfalls einen Kaffee. Der war ihr zu bitter - selbst, wenn sie ihn mit Milch zuschüttete und 4 Stücke Zucker involvierte, sie schmeckte lediglich den bitteren Kaffee durch.



Sie ist eben anders, dachte Clara, und manchmal absolut unlogisch.

"Ich habe oft das Gefühl", begann Clara ein Gespräch, "dass sich hier im Cafe nur Menschen einfinden, die sich mit irgendeinem Problem herum schlagen."

"Mal abgesehen davon", orakelte Immakulata, "dass die meisten Menschen irgendein Problem haben, stimmt das wohl sehr. Die Menschen finden sich hier ein, meistens, ohne zu wissen, warum. Hier lösen sich Knoten. Auf seine Art ist dieses Cafe ein ganz besonderer Ort."

Kurz dachte Immakulata an ihren eigenen traurigen, sehr festen "Knoten": Ihre Tochter, die sie nach der Geburt zur Adoption frei gegeben hatte. Aber dass dieser Knoten sich irgendwann lösen würde, war nicht anzunehmen.

"Wer oder was löst die Knoten für die Probleme der Menschen?" fragte Clara.

Sie erinnerte sich an Menschen, die mit sehr traurigen Gesichtern hier erstmals aufgetaucht waren - und später nach einigen Besuchen viel zufriedener aussahen.

"In der Regel lösen alle Menschen ihre Knoten am Ende selber", antwortete die ältere Nonne, "wir können ein bisschen nachhelfen, zum Beispiel mit einem traumhaften Kuchenstück

Foto: S. B.

aber noch mehr mit ein paar Gesprächen. Viele Menschen sprechen viel zu wenig miteinander, besonders mit den Mit-Menschen, die ihnen am nächsten stehen."

Hier lösen sich also Knoten, dachte die Novizin, die noch immer nicht wusste, ob dieses Kloster auf Lebensdauer ihr richtiger Bestimmungsort sein würde oder könnte. Ob sich ihr Knoten lösen und in Wohlgefallen auflösen würde? Irgendwann? Durch ein entscheidungsgebendes Ereignis?


Copyright Silvia Gehrmann
Fortsetzung folgt



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