Dienstag, 16. Dezember 2014

16. Dezember 2014 - Der Advents-Kalender - Der Mann, der mal eben Zigaretten holte ...



Der Mann, der mal eben Zigaretten holte ...

Wir lernten Axel an einem zweiten Weihnachtsfeiertag in Mombasa kennen. Er war groß, blond, etwa Mitte vierzig und kam aus einer westdeutschen Großstadt. In Kenia schien er irgendwie zufällig gestrandet zu sein - ganz nach dem Motto: Wohin geht der nächste Flieger, den nehme ich. Finanziell unabhängig lebte er erst einmal in den Tag hinein. Als wir ihn trafen, war er bereits seit ein paar Monaten im Lande. Er heißt wirklich Axel, aber selbstverständlich verschweige ich hier den Nachnamen und die Stadt, aus der er stammt.

In den kommenden Wochen verbrachten wir viel Zeit miteinander. An Silvester hatten wir jede Menge Spaß, aber auch ein paar seltsame Begegnungen mit ewig gestrigen Deutschen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte: Unterirdischer geht es nicht mehr. Mutig genug waren wir, denen unsere Meinung nicht vorzuenthalten: Da waren die den Tränen aber nahe. Ich hoffe, sie haben nie mehr aufgehört, über sich zu weinen ...

Selbstverständlich kam irgendwann die Frage auf, warum Axel nun in Kenia lebte. Das sind Fragen, die man nicht stellt - und auf die man dennoch eine Antwort bekommt. Er hat es schließlich von sich aus erzählen wollen.

Daheim in seiner Stadt war er verheiratet. Und seine Frau war schwanger. Und der Nichtraucher Axel war frei nach dem Motto, mal eben Zigaretten holen zu gehen - an einem Morgen zum Flughafen gefahren, in der Tat in einen der nächsten Flieger gestiegen und hatte Knall auf Fall sein dortiges Leben und die schwangere Frau hinter sich gelassen. Vor seiner "Flucht" hatte er leider vergessen, seiner Frau davon zu erzählen.

Wir sprachen in den Wochen unseres Urlaubes oft darüber, und seine Beweggründe hätten mich interessiert. Doch er fand selber keinen wirklichen Grund, warum er so und nicht anders gehandelt hatte. Er liebe seine Frau, sagte er. Aber er könne nicht zurück gehen. Ein bisschen hatte er Sorge, ich würde seine Frau ausfindig machen - und ihr erzählen, wo er sich befindet.

Das war die Frage. Hätte ich so handeln dürfen? Es wäre ein Leichtes gewesen, seine Frau zu finden und sie anzurufen. Selbstverständlich hatte ich ein wenig Mitgefühl mit der mir fremden Frau, die zudem noch schwanger war. Andererseits war es nicht meine Angelegenheit, fremde Leben wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Also behielt ich sein Geheimnis für mich.

Wir schrieben uns ein paar Jahre lang sporadisch Briefe, und dann flogen wir noch einmal nach Kenia. Axel leitete inzwischen ein Hotel am Diani Beach, und wir besuchten ihn dort. Trotz der Briefe war  die alte Vertrautheit verloren gegangen. Vielleicht war er einfach auch nicht mehr in der permanenten Urlaubs-Stimmung wie damals, sondern wieder eingebunden im täglichen Stress.

Inzwischen wusste seine Frau, wo er sich befand. Er wusste noch immer nicht, warum es ihn von ihr weg gezogen hat. Und das auf eine ziemlich unschöne Art und Weise.

Wo er heute ist, was er macht oder auf welcher Flucht er sich gerade befindet - keine Ahnung. Vielleicht kennt ihn jemand der Leser?

Frohe Weihnachten, Gruß Biene

5 Kommentare:

  1. Was für eine Wahnsinnsgeschichte liebe Silvia. Ich habe meinen Mann 1980 in unserer Eppendorfer Stammkneipe "Schröder" kennengelernt, dort saßen einge Axels herum, mit den irrsten Fluchten im Gepäck, aber so weit und schnell hat es keiner geschafft.
    Falls du - oder ihr alle - Lust habt: Erich Kästner hat eine kurze, sehr schöne auf seine eigene trockenhumorige Art geschriebene Weihnachtsgeschichte gezaubert: "Felix holt Senf" heisst die, umfasst 2 Seiten, steht im Netz, könnt ihr googlen, auch eine Fluchtgeschichte.

    Danke Silvia, für diese Weihnachtsbegegnung der etwas anderen Art, ich kann mir den Axel lebhaft vorstellen.
    Liebe Grüße Susi

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    1. Dir auch danke, Susi. Ich google die Geschichte nachher mal. - Und es war kein Axel aus Hamburg. -lol

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  2. Hallo Bienchen,
    das ist ja mal eine Geschichte zum Nachdenken.
    Habe sie 2 x gelesen, irgendwie bildet man sich ja schnell ein Urteil und kommt
    nach längerem Überlegen zu einer anderen Meinung.
    Irgendwie fällt es mir schwer, mir diesen großen Blonden als netten Kerl
    vorzustellen.
    Wenn er bis heute nicht weiß, warum er damals Zigaretten holen ging und die
    Fliege machte, ich kann das leicht beantworten.
    Wirtschaftlich unabhängig, wollte er sich nicht mit einer schwangeren Ehefrau belasten. Dann der zu erwartende kleine Schreihals.
    Also machte er einfach den Abflug.
    So handeln Muttersöhnchen oder Feiglinge.
    Er hätte doch einfach gehen können und zwar mit Namen und Hausnummer
    damit wenigstens sein Kind weiß, wo sein Vater ist, der evtll. ein wenig Unterhalt
    beisteuern könnte.
    Dann wäre er wenigstens kein Feigling gewesen.
    Ich hoffe, seine Frau hat ihn in den Wind geschossen.
    Bin ich zu streng?
    Solche Mitmenschen, die sich dann noch als Opfer der Umstände sehen, sind
    mir einfach suspekt.
    Nach der heutigen Gesetzeslage kann er seine Frau verklagen , wenn sie ihm
    nicht regelmäßig das Kind schickt.
    Ach, ich schweife ab.
    Liebe Grüße Anna

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    1. Unser Axel hatte zwei Seiten, und ich kannte ja eher die eine von ihm: Darum auch die sympathische äußere Beschreibung. - Wir haben damals tagelang darüber geredet, und alles abgewogen. Aber er blieb bei seiner Meinung, dass er nicht wisse, was ihn fort getrieben hat ... Ich weiß leider auch nicht mehr als das, was ich geschrieben habe. Gruß Silvia

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    2. Hi Anna, ich glaube ganz einfach, dass hier massive Panik, gepaart mit wenig erwachsener Reife die Ursache ist. Das Gefühl, plötzlich, fast ohne eigenes Zutun in eine lebenslange Zwangslage gebracht worden zu sein, beherrscht sie dermaßen, dass nur noch Flucht bleibt.
      Ich weiss das, weil der Vater meiner Halbschwester damals ganz genauso gehandelt hat und gerade jetzt, vor seinem überraschend frühen Tod seine Biografie als Book on demand rausbrachte. Er war eine Art Urgestein des Disko-und Veranstaltungsmanagements im Norden und kannte viele B bis XY Promis, was ihn wohl auf die Idee brachte, die Welt könnte auf seine Lebensgeschichte gewartet haben. Meine Schwester ist ihrem Vater ihr halbes Leben lang um Kontakt bettelnd hinterher gelaufen, bis sie von sich aus einen Schlussstrich zog. Sie hat das Buch begierig gelesen und ist vollkommen zusammen gebrochen, als der Part kam, wie der Mann unsere Mutter kennengelernt hat - abfällig, nebensächlich und wie er ihre Geburt erwähnt - nebensächlich. Ich habe dann für sie das Lesen dieses Machwerks beendet, noch einen Halbbruder mit Bild entdeckt (sieht ihr sehr ähnlich) und konnte sie aus meinen Erinnerungen (ich bin 9 Jahre älter) zumindestens entlasten: Das war kein One-night-stand wie im Buch behauptet, der Mann hat mehrere Monate bei uns gewohnt, er war 10 Jahre jünger als meine Mutter, voller Übermut, verliebt in meine Mutter, liess sich gerne verwöhnen und war sehr nett zu uns Kindern. Davon stand nichts in dem Buch, ich konnte mich aber deutlich daran erinnern. Dann war er plötzlich verschwunden, bevor meine Schwester zur Welt kam.
      Und ja, er war ein absolutes Muttersöhnchen, die beherrschte seine Biografie, ansonsten verstehen kann man das wohl nicht, denn wenn so ein Mensch selbst am Ende seines Lebens aus der Rückschau nichts bedauert, versteht oder begreift, dann fehlt ihm einfach ein wichtiger Baustein.
      Das kann einen echt zum Grübeln bringen, so ein Adventskästchen, nachdenkliche Grüße sendet Susi

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