Beitrag von Viktualia Suleyka
Prost Mahlzeit
Heiliges Abendmahl oder jüngstes Gericht: Gelungen, köstlich, missraten, ungenießbar: Gerade zu Festtagen ist das große Tafeln wichtigste Nebensache der Welt. Doch frei nach dem berühmten Brecht-Zitat kommt erst das Fressen - dann die Moral. Und die steht Heiligabend oft auf Messers Schneide, wenn sich der Vorhang hebt für die heimische Dreigroschenoper.
Familientragödien, Ehezerwürfnisse, Enterbungen - katastrophale Ereignisse mit harmlosen Auslösern - trockenes Fleisch, zäher Braten, geronnene Sauce oder pampige Knödel. Eine Köchin zu Tode beleidigt, ihre Gäste zutiefst enttäuscht, unerfüllte Erwartungen kochen Ressentiments hoch, alte Leichen entsteigen dem Keller: Ein Wort gibt das andere und dunkle Dramen lassen heile Welten einstürzen.
So hat jede Biografie ihre individuelle Sammlung schöner und schrecklicher Weihnachtsdinner im Kreise der Geliebten und Gehassten. Mit größerem zeitlichen Abstand erhöht sich der dramaturgische Durchblick und man erkennt mehr und mehr die Komik in der Tragödie.
Meine Auslese besonderer Abendmahl-Souvenirs werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr aus meinem Oberstübchen verbannen können, ich glaube so was klammert sich auch bei Demenz trotzig in den Hirnwindungen fest. Da wäre zunächst der Kindheitsklassiker: das elterliche
Ehedrama, 3-Akter, Titel:
Du kochst nicht wie meine Mutter
Wie jedes Jahr fuhren Vater, Stiefmutter, Schwester (10) und ich (12) Weihnachten in unser Ferienhaus. Dass meine geschäftstüchtige Stiefmutter nicht kochen konnte, störte meinen Vater sonst nicht, aber Weihnachten erwartete er plötzlich, dass sie Gänsebraten mit Rotkohl und rohen Kartoffelknödeln zauberte, wie einst seine schlesische Mutter. Und vor allem die Sauce, auf die legte er besonderen Wert.
Es wurde natürlich ein totales Fiasko: Die Gans ein schwerbrandverletztes Stück schwarzes Geflügel mit ledernen Fleischsträngen, der Rotkohl von unten carbonisiert, was bis oben durchschmeckte, die Klöße trübten in kleinen Schwammteilchen das graue schleimige Wasser. Und die Sauce: Da war nur Fett?!
Wir Scheidungskinder mochten unsere Stiefmutter, die kühle Karrierefrau, nicht besonders, aber an diesem Abend tat sie uns leid. Sie gab sich allerdings noch nicht geschlagen, und kämpfte weiter mit dem naiven Optimismus der Ahnungslosen. „Binden, ich muss die Sauce binden“, murmelte sie, den hochroten Kopf über dem dampfenden Topf.
Beherzt packte sie die Mehltüte und schüttete das weiße Zeug hinein. Was mitnichten irgendetwas band, sondern alles sofort trennte: Runde frittierte Mehlklumpen plätscherten nun in brodelndem Gänsefett. Ergo hektisches Rühren mit dem Schneebesen, ohne Erfolg. Jetzt: Schweres Geschütz, der Zauberstab musste ran, aber die Klumpen ließen sich nicht mehr pürieren. Schlussendlich: Kapitulation, alles kam so auf den Tisch.
„Bei meiner Mutter schmeckt das anders“, „Dann geh doch zu deiner Mutter“ das waren die letzten Sätze, die die Eheleute während der Weihnachtstage wechselten. Besonders bitter für Stiefmutter war, die (ihr bewusste) Tatsache, dass unsere Mutter, eine ausgezeichnete Köchin, dieses Festessen ohne Probleme genauso hinbekam wie das schlesische Ideal.
Dann erwachsen mit 22, erste Studenten WG und der erste Bruch in meiner ersten richtigen Beziehung. Warum? Weil ich an der falschen Stelle lachte. Mein fataler Hang zu deplacierter Albernheit war der Trennungsgrund , aber ich finde noch heute, dass es die bestmögliche Reaktion auf diesen Küchen-Supergau war.
Boulevardkomödie, Zweiakter, Titel:
Plastikhuhn und Chemiedessert
Wir sechs, als Wohngemeinschaft, wollten ganz bewusst zusammen feiern. Eine Art Anti-Weihnacht sollte es sein, anders, ohne die üblichen Zwänge und Rituale. Also stießen wir unsere Eltern munter vor den Kopf und planten unbekümmert unser alternatives Fest. Wer kochen sollte, wurde ausgelost, sonst machte ich das fast immer.
Weiß der Geier, was uns trieb, mit dieser bewährten Methode ausgerechnet zu Christi Geburt zu brechen, aber wir waren wild entschlossen. Mein damaliger Freund, Egge, schon immer mit einem krankhaft wuchernden Ego geschlagen sollte das Heiligabend Menü ausrichten. Genau wie einst meiner Stiefmutter mangelte es ihm an Demut, was er durch großspurigen Hochmut kompensierte, eine Kombination die noch nie Sterneköche hervorgebracht hat.
Das wäre nun wirklich kein Problem, verkündete er gewohnt großspurig, alles eine Frage der Gebrauchsanweisung. Er meinte damit das Rezept für Coc-au- Vin, dessen Zutatenliste er flink überschlagen hatte. Genaueres durchlesen hielt er eher für kontraproduktiv, lediglich die technischen Details wie Temperatureinstellung und Backzeit speicherte er ab.
Ich merkte sofort, dass ich mich durch Hinweise und Ratschläge unbeliebt machte. Im Interesse eines harmonischen Festes zog ich mich deshalb rücksichtvoll zurück. (Waren das nicht genau die psychotischen Strukturen der Kleinfamilie, denen wir den Kampf angesagt hatten?)
Heiligabend brachte jede Menge Schnee. Wir hatten nachmittags im Garten Feuer gemacht und Punsch getrunken. Davon fühlte ich mich schon angenehm besäuselt und war heilfroh, dass ich nur beim Tisch decken helfen musste. Für Sterneküche hatte ich eindeutig einen zu viel im Tee, das ging immer fix bei mir.
Ich gab mich also ganz der Deko hin, rupfte im Garten noch einige Tannenzweige ab, plünderte die klitzekleinen dunkelroten Winteräpfelchen und verteilte das Zeugs allerliebst zwischen dem handgetöpferten Tongeschirr meiner Mitbewohnerin Mona. Die nötigte mir noch eine Winzigkeit selbstgemachten Eierlikörs auf, verdammt leckeres Zeug von puddingartiger Konsistenz.
Nach und nach trafen alle ein, nach einem verächtlichen Blick auf die von Mona entzündeten Kerzen verschwand Jürgen in seinem Zimmer um die schrankgroßen Boxen mit irgendwas von TonSteineScherben in lautstarke Schwingungen zu bringen. Sichtlich zufrieden mit diesem Antispießer-Ausgleich setzte er sich wieder hin, als Egge mit großspuriger Geste eine Schmorpfanne auf den Tisch stellte.
Zwei appetitlich braune ganze Hühner lagen in einem Bett aus Wein und Gemüse – optisch ein Gedicht. „Was stinkt`n da so?“, fragte Jürgen wie immer gerade heraus. Egge wirkte geknickt, Jürgen war sein Held, uns Frauen nahm er nicht besonders ernst. „Riecht nach Gummi“, setzte ich unvorsichtigerweise nach.
„So`n Quatsch“, entrüstet wollte Egge sich seiner blöden Freundin zuwenden, als er von der laut kreischenden Hanna unterbrochen wurde: „Igitt, was ist das denn, das kann doch keine Sau essen!“, mit ihrer Gabel zog meine zweite Mitbewohnerin einen schmelzenden Plastiksack aus dem Bauch eines Huhns. In diesem Beutel waren Hals und Innereien des Geflügels verstaut gewesen. Auch das zweite Hähnchen war vom Kunststoff kontaminiert und da selbst das Gemüse ungenießbar war, wanderte das Festessen direkt in den Mülleimer.
Egge indes gab noch nicht auf: Er hätte noch seine Creme á l` orange, dafür alleine würde sich das Warten lohnen, sagte er. Nun gut, Schlagsahne stand bereits auf dem Tisch, ich verputzte heimlich ein Schälchen mit Eierlikör und Sahne – gegen den dringendsten Hunger und harrte der Creme de la Creme.
Die sah wirklich gut aus, fluffig, orange, mit Eischnee – nix gegen zu sagen, wir löffelten schnell. Bisschen flau vielleicht, außer Zucker kein Aroma. Mein Blick schweifte zum Obstkorb, dort fehlte keine Südfrucht. „Das schmeckt wie eingeschlafene Füße“, wieder Jürgen, „Wo hast du denn die Orange versteckt?“ „Hier, glaub ich“, würgte Hanna hervor und spuckte angewidert einen kleinen braunen Klumpen auf ihr Tellerchen.
Mir schwante was, und richtig – im Mülleimer fand ich 2 Packungen „Majala Orangentraum“. Ein Fertigdessert mit Tücken, denn man musste eine sogenannte „Aromakapsel“ in heißer Flüssigkeit auflösen. Wenn unser Küchen-Einstein die Packungsbeilage vorher durchgelesen hätte, wäre mehr Geschmack im Nachtisch und weniger auf Hannas armer Zunge gewesen.
Wir haben uns dann Brote und Spiegeleier gemacht. Egge ist allerdings Türen knallend und schmollend zu Mamas Weihnachtsputer geflohen, er konnte mir den „Verrat“ mit den Müllfunden nicht verzeihen und dass ich mich vor Lachen nicht mehr einkriegte, erst recht nicht. Wir haben uns dann friedlich getrennt, im neuen Jahr. Haben dort trotzdem weitergelebt und verstanden uns besser als je zuvor.
Tragikkomödie, Kammerspiel mit Outdoor-Happyend
Bestes Weihnachtsdinner ever, im etwas anderen Restaurant
15 Jahre später hatte ich anstrengende kleine Zwillinge und Omas, die gerade an Weihnachten immer eine Familienshow erwarteten, die wir ihnen nicht liefern konnten. Unser autistischer Sohn hatte panische Angst vor fremden Räumen, weshalb Besuche sich per se ausschlossen. Leider war aber das vertraute Zuhause mit Gästen, Kerzenlicht, Deko, Geschenken und Lärm dann urplötzlich auch ein fremder Raum, sodass uns irgendwann nur ein Kompromiss blieb: Das Zeitfenster zwischen 14.00 und 16.00 Uhr und nicht mehr als vier Gäste.
Das spielte sich ein, schließlich hatte keiner so wirklich Lust auf ein Kind, das sich solange um den Verstand schrie, bis es sich übergeben musste. Aber auch die Minimal-Version der Weihnachtsfeier war für uns Eltern – und bestimmt auch für die Kinder, nie besonders entspannt und schön.
Als David ungefähr 5 war, hatte er durch einen Betreuer, der nachmittags regelmäßig mit ihm kleine Ausflüge unternahm – mit ihm traute er sich Dinge zu, die er mit uns niemals gemacht hätte. So waren die beiden schon einige Male bei Mac Donalds gewesen, was David ausgesprochen gut gefiel.
Als er in jenem Jahr besonders angespannt war und immer noch unter Strom stand, als Omas und Tanten längst weg waren, half nur eines: Auto fahren, das tat er gerne, dann legten sich seine Spannungen.
Ich schnappte mir die Schlüssel für unseren großen Bus und war ein wenig traurig, ausgerechnet jetzt die kleine Marie und meinen Mann zurücklassen zu müssen, da griff sich der Vater auch schon Tochter und Jacken und kurze Zeit später fuhren wir alle gemeinsam durch dunkle Schleswig-Holsteinische Dörfchen. Überall wurde jetzt beschert, im Radio lief leise Weihnachtsmusik, die Kinder brabbelten friedlich vor sich hin – Und da sahen wir es mit einem mal leuchten:
Wie der Stern von Bethlehem strahlte das große gelbrote M, Marie kreischte begeistert, „die Donalds“, und ich dachte „Warum nicht“? Mein Mann hat immer Geld bei sich, er ist ein Sicherheitsfreak, und so nahm ich in einer spontanen Eingebung mit Schwung die Einfahrt zum Drive in.
Ich bestellte wie im Rausch, viel zu viel, aber es war genau richtig. Schmatzend glucksend, Papier reissend, Servietten knüllend, ab und zu ein wohliges Bäuerchen … Ich war so glücklich – wann hatte ich uns alle das letzte Mal so entspannt lächeln gesehen? Die Standheizung rauschte gemütlich, die glänzenden Augen der Kinder wurden langsam schläfrig, auf ihren Wangen klebten fette Schlieren von Ketchup und Majo.
„Komm wir fahren noch `ne kleine Runde“, schlug mein Mann vor. Danach brauchten wir die friedlich schlummernden Kinderpäckchen nur noch vorsichtig in die Betten zu legen, dann gab es Erwachsenen Weihnacht. Und bis heute unterschreibe ich den Slogan von M.D. „Ich liebe es“, von ganzem Herzen, sagt was ihr wollt!
DANKE !
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