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Foto: Silke B. |
Eine fiktive Geschichte
Das Schicksal des Bären Fridolin
Frisch aus der Bärenfabrik mit noch recht künstlichem Duft landete Fridolin als Familienmitglied bei einem kleinen, einem sehr kleinen Mädchen namens Susi. Der Bär
fühlte sich glücklich, denn man hatte ihm beim Nähen seiner einzelnen pelzigen Teile erzählt, dass die meisten Kinder ihren Teddybär bis an ihr Lebensende wie einen Schatz hüten. Das gefiel Fridolin so gut, dass er sich entschloss, dem kleinen Mädchen ein ebenso guter Spielkamerad zu werden wie sehr viel später der älteren Dame ein gutes Stück Erinnerung.
Er glaubte fest an die Liebe des kleinen Mädchens zu ihm, und in etwa 70 Jahren würde er derart abgeliebt sein, dass er zusammen mit ihr diese Erde verlassen konnte. Irgendeines ihrer Kinder oder Enkel würden ihn dann entsorgen ... aber
bis dahin hatte er jede Menge Zeit vor sich.
Aber es kam völlig anders,
denn die kleine Susi war keine große Bären-Freundin, viel lieber spielte sie an dem Smartphone ihrer Mutter, und das, obwohl sie noch gar nicht lesen konnte. Aber sie erfreute sich besonders an den bewegten Bildern, die sie sehen konnte, auch, wenn sie viele noch nicht verstand.
Sie verstand es leider, den Bären mit Stecknadeln aus dem Nähkästchen ihrer Mutter zu spicken, und das waren in etwa ihre ersten
tierquälerischen Versuche, die sie (noch) an einem Stofftier auslebte. Sie würde das im Laufe ihres noch jungen Lebens verfeinern. Mit ihr
gemeinsam würde Fridolin niemals in die Jahre kommen, so viel verstand er bereits. Er vegetierte beinahe ungesehen in irgendeiner Ecke ihres Kinderzimmers,
bis er aus dieser heraus eines Tages auf Susi herabfiel.
Susi brüllte sogleich los, als sei sie vom Blitz des Teufels erschlagen worden. Zwar hatte Fridolin kein Herz aus einem bösen Stein, aber sein Körper war
übersät mit Nadeln. Auf diese Weise erlebte das Kind erstmals, dass böse Taten auf es selbst zurückfallen konnten. Aber eine Lehre zog Susi nicht daraus.
Schnell fand Fridolin sich auf der Straße wieder
Susis Vater hatte nicht lange gefackelt und Fridolin bei den Ohren gepackt und ihn mit Wucht in irgendeine Straßenecke gepfeffert. Könnte der Bär Tränen vergießen, er hätte bitterlich geweint. Aber er war zu einer lebenslangen Untätigkeit verurteilt und musste stets dort ausharren, wo man ihn hinstellte - und sei die Ecke auch noch so einsam, die man ihm gönnte.
Einen Tag später kam eine junge Frau vorbei und blieb staunend vor dem großen Bären stehen. Sie packte eine seiner Pranken und ging ein paar Meter bis zum nächsten Park. Dort setzte sie ihn auf eine Bank
und - wie es heute üblich ist - fotografierte sie ihn. Im Anschluss daran stellte sie das Bild ins Internet, damit auch andere sich daran erfreuen konnten.
Aber es gab insgesamt viel Freude unter den Passanten, und so wurde Fridolin zu einem begehrten Foto-Modell. Sie setzten ihn in Pose, und irgendwer schenkte ihm einen ausgedienten, alten Hut, der ihm vorzüglich stand.
Hunde blieben stehen und begafften ihn interessiert, während der eine oder andere versuchte, ihn anzupinkeln.
Er wurde endlich wahrgenommen, aber Fridolin war trotzdem traurig: er wollte ein eigenes Zuhause haben war sein sehnlichster Wunsch. Eines, in dem er gemocht wurde. Eines, in dem er zu jemandem gehörte.
Und dann kam Luise
Die schon alte Frau schlenderte nach ihrem täglichen Lebensmittel-Einkauf durch den Grünstreifen sehr langsam nach Hause, denn sie hatte es nie eilig, weil dort niemand auf sie wartete. Darum ging sie auch täglich einkaufen, und ein kleiner Nachmittagsspaziergang gehörte ebenso zu ihren Ritualen, um die leeren Tage ein wenig zu füllen. Dann ergaben sich oft Gespräche mit anderen Passanten.
Plötzlich sah sie Fridolin auf seiner Grünstreifen-Bank. Und die Erinnerung kam wie ein Blitz: genau so ein süßes Gesicht hatte der Teddybär ihrer Kindheit gehabt,
der in den Wirren der Nachkriegszeit verlorengegangen war. Natürlich war ihrer nicht so groß gewesen wie dieser, aber ansonsten brachte Fridolin mit einem Schlag längst vergessene Erinnerungen zurück. So ein hübscher Bär, dachte sie, hat er denn keinen Besitzer?
Ein paar Tage lang ging sie öfter als gewöhnlich nach draußen - und sie setzte sich dann neben den Bär. Eigentlich wartete sie darauf, dass er von jemandem, der ihn vermisste, abgeholt würde - und gar nicht so eigentlich hoffte sie, dass er gar keinen Besitzer hatte. Genau danach sah es auch aus - und nach einer Woche
traute sie sich, nachdem sie mit vielen anderen Spaziergängern gesprochen hatte, und nahm den riesigen Schatz mit nach Hause.
Heute
sitzt Fridolin in Luises Wohnzimmer auf einer eigenen Couch, während sie ihm gegenübersitzt. Nach und nach erzählt sie ihm
aus ihrem ganzen, langen Leben - und sie wundert sich über sich selber, welche längst verstaubte und vergessene Erinnerungen Fridolin in ihr wieder zum Vorschein bringt.
Und Fridolin? Er ist glücklich, denn endlich führt er ein teddybärengerechtes Leben und wird nun von einer alten Frau anstelle eines Kindes von Herzen geliebt.
Liebe ist Liebe: Hauptsache, sie ist da.
Guten Tag, Gruß Silvia
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