Samstag, 3. Juni 2023

3. Juni 2023 - Regina und ihr ungewöhnlicher Lebenslauf



Regina - und ihr ungewöhnlicher Lebenslauf

Manchmal kommt eine verschüttete Erinnerungen unerwartet zurück: so ist es mir mit meiner Tante Regina ergangen, die in einem Gespräch über etwas völlig anderes plötzlich vor meinen Augen wieder aufgetaucht ist.

Aber ich erinnere mich nicht an ihr Gesicht, und die uralten Fotos helfen mir dabei auch nicht weiter, weil ich sie auch auf denen nicht eindeutig identifizieren kann, denn auch viele andere auf den Fotos sind mir vom reinen Ansehen her völlig unbekannt. Aber wichtig ist es doch, dass man sich überhaupt erinnert.

Regina war die Schwester meines Großvaters väterlicherseits, den ich leider nie kennengelernt habe. Folglich war meine Oma ihre Schwägerin - und mit meiner Oma bin ich oft (und nicht immer gern) zu Regina hingedackelt. Gedackelt, weil ich ein wenig trödelig unterwegs war ... und nur meiner Oma zuliebe überhaupt mitgegangen bin.

Regina, die wie ich an einem 20. September geboren wurde, hätte es gern gesehen, wenn man mich nach ihr benannt hätte ... allerdings passierte das zum Glück nicht, und ich wurde nach meinem Großvater genannt, der Silverius hieß.

Regina hatte eine spannende und undurchsichtige Vergangenheit. Davon erfuhr ich allerdings erst viele Jahre später, denn zu ihren Lebzeiten war ich noch ein kleines Mädchen.

Ich erinnere mich an ihren Mann, dessen Name mir sogar entfallen ist, weil er immer sehr ruhig in seiner vermutlich angestammten Ecke  herumsaß und kaum Beachtung bekam, als wäre er ein Möbelstück, das sie zu Dekorationszwecken dort sitzen hatte.

Dabei war ihre gemeinsame Geschichte eine besondere ...

Voller Grusel erinnere ich mich an etwas anderes in ihrem Haus: sie hatte ein Zimmer für kleine Vögel, und die piepten munter in ihren diversen Käfigen vor sich hin. Die fand ich natürlich niedlich und konnte mich an ihnen erfreuen. Befremdlich fand ich eher die Schublade,

- ich glaube, sie hat sie öfter genau deshalb für mich geöffnet, damit ich mich grusele -

denn dort wimmelte es vor Würmern, Mehlwürmern genauer gesagt. Sie züchtete sie als Nahrung für ihre geliebten Vögel ...

Vielleicht war ich auch nur zu empfindlich und sensibel, um das richtig zu verstehen: und vermutlich gab es damals noch nicht diese spezielle Vogelnahrung in Zoofachgeschäften zu kaufen ... so dass man sich selber helfen musste.


Reginas Leben

könnte einem Filmstoff gleichen.  Sie war verheiratet, sie war keine Mutter, sie war für mich die etwas seltsame Tante, der ich nicht wirklich gern begegnet bin. Ihre Umarmungen mochte ich auch nicht - und vermutlich bin ich hier ziemlich ungerecht, was allerdings nicht meine Abneigung zumindest aus Kindersicht gerecht macht. Nicht alle Kinder mögen es, von allen umarmt zu werden.

Aus ihren Kinder- und Jugendtagen weiß ich nicht viel. Aber später wurde sie Nonne - eine, die sogar bereits das Ewige Gelübde abgelegt hatte. Im 2. Weltkrieg arbeitete sie in einem Krankenhaus (ich weiß noch, in welchem Dortmunder Haus das war, denn das gibt es heute noch) als Krankenschwester. Soweit sind die Angaben gesichert.

Ungesichert, aber sehr wahrscheinlich ist es, dass sie im Krieg in enger Kooperation mit einem Arzt harte Medikamente entwendet haben soll - um damit ... ja, was? Ich erinnere die Erzählungen darüber nicht mehr genau. Aber das hat meine Oma mir lange nach Reginas Tod erzählt, und ich vermute, sie hat ihre "Sünden" meiner Oma irgendwann gebeichtet.

Hat Regina mit den Drogen etwas Gutes getan - oder hat sie sie einfach nur vertickt? Ich weiß es nicht.

Nach dem Krieg arbeitete sie weiter als Krankenschwester im selben Haus, und sie lernte einen Patienten kennen. Seltsam, dass ich, wenn ich an sie und ihren späteren Mann denke, gar nicht das Gefühl von großer Zuneigung im Sinn habe ...

 Um ihn heiraten zu können,

musste sie in Rom von ihrem Ewigen Gelübde entbunden werden.

Dann saß der Mann, wegen dem sie sich von ihrer Kirche getrennt hatte, schließlich wie ein Deko-Element in einer Ecke, während Regina und meine Oma sich angeregt unterhalten haben. Nicht umsonst kann ich mich an seinen Namen gar nicht mehr erinnern ... es war, als spielte er überhaupt keine Rolle.


Reginas Tod

Selbst vor diesem habe ich mich damals gegruselt. Daran habe ich noch eine lebhafte Erinnerung. Zur Beerdigung wollten meine Eltern mich nicht mitnehmen, weil sie mir - ich war vielleicht 8 bis 9 Jahre alt - solch ein Ereignis nicht zumuten wollten.

Also musste ich zuhause bleiben und mich vor Regina gruseln. Ich riss alle Türen und Fenster auf, damit ich mich nicht von der Welt abgeschnitten fühlte - und Regina mich womöglich posthum aufsuchen könnte. Es waren schauerliche Stunden, die ich voller Angst verbracht habe.

Was genau es alles war, dass ich solch einen Grusel vor dieser Tante hatte, weiß ich nicht mehr. Das ist auch gut so, denn heute kann ich das natürlich ohne irgendein negatives Gefühl niederschreiben.


Kleine Schluss-Episode

Ihr Mann hat Regina überlebt - und als er ein paar Jahre nach ihrem Tod umgezogen ist, hat er in einem Versteck - ich glaube, hinter einer Couch in einer Mauernische - sehr, sehr viel Geld gefunden. Ganz offensichtlich gehörte das Geld Regina,

und sie hatte es vor ihrem Mann, wegen dem sie den Orden einst verlassen hat, versteckt.


Guten Tag, Gruß Silvia

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