Sonntag, 15. Februar 2015

15. Februar 2015 - Karneval - Ein Beitrag von Viktualia






Ein Beitrag unserer Viktualia

Wo bitte geht's zum Klo?

Fasching, Karneval – ich selbst, als Kind, hatte das nie erlebt. Meine Hamburger Großeltern kannten es nicht, meine Hamburger Eltern waren ebenfalls diesbezüglich Unkundige.  Oma mütterlicherseits stammte zwar aus dem Rheinland, aber ihr Vater war ein sittenstrenger Pastor und der Rest ihrer frommen Familie zum Würgen bigott.

Wir lebten in Hamburg-Wellingsbüttel, seriöser 1-Familienhaus Stadtteil, da gab es für uns Kinder wenig Einfluss exotischer Kulturen. (Als solche erdreiste ich mich jetzt einfach mal, die mir befremdlich erscheinenden Sitten und Gebräuche, rund um den Ereigniskomplex „Fasching“ zu bezeichnen). Kindergärten besuchten wir damals in den 50ern nicht, das taten nur die armen Sprösslinge, deren Mütter arbeiten mussten. An diesen schrecklichen Verwahrorten der sogenannten „Schlüsselkinder“ wäre es eventuell denkbar gewesen,  mit so etwas wie Konfetti und Tröten in Berührung zu kommen.

Später auf dem „Gymnasium für Mädchen am Lerchenfeld“ bekam ich mit 14 Jahren noch Benimmunterricht, aber keinerlei Kontakt zu Kostümierung und Geschunkel. Und dass gleich nebenan Hamburgs berühmteste und sündigste Studentenfaschingsfete das „LILALE“ in der Hochschule für bildende Künste am Lerchenfeld stieg, das kriegten wir braven Töchter schon mal gar nicht mit.

Erst später, als Studentin, wurde ich dann mit gequatscht: An der neuen Fachhochschule in Bergedorf stieg das LILABE, die abgefahrenste Faschingfete Hamburgs. Riesige Feierfläche, mehrere Discos und zahlreiche Bars, schummrige Kuschelzonen, kultiviert als  „Fummelwiese“ ausgeschildert, Events und Bühnenshows – ich gruselte mich schon beim Zuhören, das war alles so gar nicht meine Welt. Aber der Gruppendruck sorgte dafür, dass ich mir eine der sauteuren Karten besorgte und mich mit meiner Freundin Yogi zu umfangreichen Vorbereitungen traf.

Sie hatte mir eine schwarze Langhaarperücke besorgt, die ich über meine hellblonden Fransen stülpte. Kleopatras schwarzes Ponygesicht starrte mich erschrocken an – sah aber ganz ok aus soweit, ich entspannte mich ein wenig. Yogi brauchte kein Kunsthaar, sie war Kleo-by-nature. Meine Leistung bestand darin, uns zu schminken, in der Beziehung war ich unschlagbar.

Da meine Eltern gerade auf irgendeiner Safari in Afrika weilten und ich zwecks Blumen giessen über ihre Wohnungsschlüssel verfügte,  hatte ich einen golden glitzernden Fundus an Modeschmuck und Strassblingbling für uns mesopotamische Zwillinge bei Stiefmutter „ausgeliehen“. Das war auch gut so, denn unser Kostüm bestand bisher lediglich aus großzügig umgeschlungenen weißen Bettlaken.

Als wir 2 Herrscherinnen vom Nildelta in Yogis R4 kletterten, fanden wir uns bildschön, leider waren wir gezwungen, in unpassende Winterstiefel und  Steppjacken zu schlüpfen. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir bereits wissen müssen, dass der beste Teil des Abends vorüber war. Warum sind wir nicht einfach zu Hause geblieben, mit einer netten Buddel Sekt?

Nein, wir sind zum LILABE, einmal quer durch die Stadt geheizt,  in deren öden Osten. Kamen an, gingen drei Schritte hinein in die Hochschule für angewandte Wissenschaften, und sahen zu, wie diese tatkräftig bei uns angewendet wurden: Hintern kneifen,  von irgendwelchen aus dem Hals stinkenden Kerlen ungefragt in feste Umarmungen verwickelt werden, war scheinbar eine Pflichtdisziplin. Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass ich nur noch rannte, weg von den Kneifern, aber von vorne kamen die Busengrabbler, das war dann wohl die Kür.

Wenn Kleopatra wenigstens einen orientalisch duftenden Lawrence von Arabien oder meinetwegen auch Richard Burton als Stalker gehabt hätte, aber bräsige norddeutsche Saufköppe aus Vierlanden und der holsteinischen Umgebung, nee echt. Wahrscheinlich verstand ich keinen Spaß, wie mir jemand ins Ohr lallte, und ich wollte einfach nur noch nach Hause und dann verlor ich Yogi und die Orientierung und fand einfach nicht mehr raus aus diesem 70er-Jahre-Kafka-Bau.

Vom Frohsinn umbrandet, der mehr und mehr in nackten Irrsinn umschlug, irrte ich durch die katakombenartig immer gleichen langen Gänge und Flure und Säle der Hochschule, bedrängt und befummelt von komplett Verrückten. Ein klein wenig war es so wie in dem Polanski- Film „Ekel“, wo Catherine Deneuve durch einen engen Flur wankt und plötzlich aus der Wand lauter Männerhände herauswachsen. Sie hat die Kerle am Schluss in Säure eingeweicht, glaub ich, in der Badewanne am Ende des Flurs…

Ich bin dann irgendwann auch ausgetickt und nur noch aufs Klo, hab zugesperrt, aber irgend so ein Typ ist hinterher und wollte mich da rausholen. Der stand ewig auf dem Damenklo, das muss man sich mal vorstellen, noch nicht mal an diesem stillen Örtchen konnte man sich sicher fühlen. Der Kerl ballerte gegen die Tür und rief „Cleo, meine Königin, komm raussa“, dann unterbrach er sich, um kurz ein paar kleine Feiglinge nach zu tanken, die er als Wegzehrung für seine Wüstenquerung bei sich führte.

Endlich, als sein Vorrat sich erschöpft hatte, und ihm ein Absacken seiner 2,9 Promille drohte, zog der Vollidiot ab. Ich  wartete noch eine halbe Stunde, rupfte mir die schwarzen Haare vom Kopf, schlug mich zur Garderobe durch und nahm mir ein Taxi vom letzen Geld. Nie wieder, schwor ich mir, wollte ich irgendetwas mit Fasching und Karneval zu tun haben.

Der Schwur hielt gute 15 Jahre, dann waren meine Kinder im Kindergarten. Ich hatte mich kaum von den anstrengenden Keksbackereien, dem Kranzgewinde und Sternengebastel  der Weihnachtszeit erholt, da verkündeten die beiden Erzieherinnen das nächste Projekt: Fasching. Ich dachte naiv, Konfetti, Luftschlangen, Volker Rosin& Rolf Zuckowsky aus dem Ghettoblaster, Chips, Brause und ein paar bunte Klamotten...

Aber weit gefehlt! Am Speckgürtel einer Großstadt leben die ambitionierten Gattinnen des ehrgeizigen mittleren Managements. Dieser möchte seine Brut von Anfang an nur mit dem Besten fördern. In diesem Falle: Selbstgemachte fantasievolle Kostüme. Und ein Motto musste her: „Unter dem Meer“ wurde abgestimmt, weil jetzt gerade das `Meer` Thema war. „Arielle“ „Nemo“ „Taucher“ , frohe Mütter riefen entzückte Vorschläge für ihre Kinder in den Raum. Sie sahen es schon vor sich. „Marie wäre doch so ein süße Nixe“, stieß mich meine Nachbarin aus düsteren Gedanken. Ich nickte matt und fuhr stumm nach Hause.

Ich war vernichtet. Es stimmte schon. Meine 4-jährige Tochter hatte lange lockige weißblonde Haare, war klein und zierlich, hatte ein hübsches Puppengesicht, aber leider, leider litt sie unter dem Lucky-Luke-Komplex. Will sagen, das Kind bildete sich ein, entweder ein mit Henrystutzen und Bärentöter bewaffneter Cowboy oder ein Indianer mit Messer und Federkrone zu sein. Darunter ging nichts. Und leider, leider steckte in diesem Kind, was diese seine innere Identität betraf, auch sehr viel Eigensinn und Kompromisslosigkeit. Will sagen, das Motto interessierte sie einen Scheissdreck.  

 Ich habe Fotos von dieser Veranstaltung. Von dunkelblaugrüner Kulisse, von Oktopussen, von zauberhaften Meerjungfrauen, von Neptunen, Haifischen und Tauchern mit Glocken auf dem Kopf und Harpunen in den Händen. Mitten in dieser fröhlich wogenden türkisen Meereswelt steht ein winziges verdrücktes Mädchen mit einem unglücklichen kleinen Gesicht und einer Masse blonder Locken. Man sieht das Mädchen kaum unter der Federkrone, die ihm bis zu den Füßen reicht. Tomahawk und Messer hängen schlaff nach unten. Wäre über ihr eine Sprechblase, „Wo geht es hier zum Klo?“ würde wohl darin stehen.

Ich habe noch einige solcher Bilder von meiner Tochter, sie wurde nicht schlau: Als Old Shatterhand  grinst sie auf halbmast, Marie, der schwarzlederne Rocker schmollt verzweifelt, die zu stark geschminkte Lolita verzieht angewidert ihr Gesicht…Mit 13 Jahren feierte sie das letzte Mal Fasching. Dann war sie endlich kuriert und durch mit dem Thema „Fasching“.

Mein Mann hingegen, als Klassenlehrer in der Grundschule musste sich verkleiden. Er hat es genauso inbrünstig gehasst, wie er seine Schüler inbrünstig geliebt hat. Da die ihn ab Ende Januar immer wieder löcherten „was gehst du als Fasching?“ (In Billstedt-Mümmelmannsberg pflegt man diesen elaborierten Code) sah er sich in der Verkleidungspflicht und schob, wie immer in letzter Sekunde, ordentlich Panik. Uns ist aber jedesmal was eingefallen. Mit Ommaperücke und Kassenbrille, olles Blumenkleid von mir, Tücher und Hüte auf, geschminkt, Zähne geschwärzt, wir haben uns fast bepinkelt vor Lachen und bis Mitternacht verkleiden gespielt.      

Einmal habe ich die langen Haare der aussortierten Barbies an eine Basecap genäht und mein Mann sah plötzlich aus wie ein echter Assi, die fehlenden Klamotten fanden sich schnell. Mit heißer Nadel genäht, mit der Nagelschere Fransen gesäbelt, Kluncker fix mit Uhu drauf geklebt, die Nachbarn genervt, das war immer lustig. Auch wenn seine Kinder am nächsten Tag oft ratlos fragten: „Als was gehst du denn?“ wenn ihr schnauzbärtiger Lehrer als Putzfrau mit dickem Busen, grauer Dauerwellperücke und langem Ohrring-Gebammel kam. Die hatten damals noch nichts von Conchita Wurst gehört, die Armen.

Dieses Jahr stellt er gerade mit tiefer Befriedigung schon zum zweiten Mal fest, dass Fasching ohne ihn stattfinden kann. Ich denke wir sind durch mit dem Thema.

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