Palace Papers
"Für Harry,
auf ewig"
Tina Brown könnte ein beliebiges Telefonbuch kommentieren, und es wäre sehr wahrscheinlich, dass sie aus vielen Namen und Adressen eine derart interessante Geschichte stilsicher komponiert und damit ein Telefonbuch zu einem Bestseller macht.
Man muss sich nicht zwangsläufig für all die Vorgänge im britischen Königshaus interessieren, um Spaß an diesen "Palace Papers" zu haben. Ich bin auch keine Royal-Anhängerin und schon gar keine Royalistin, sondern lese sehr gerne Biografien.
Das Buch umfasst insgesamt 733 Seiten, der Epilog endet auf Seite 673. Wie aktuell das Buch ist, sieht man auch daran, dass Corona keineswegs unerwähnt bleibt. Wegen aktueller Ereignisse, die im Buch nicht fehlen durften, hat sich die Veröffentlichung ein wenig verzögert.
Tina Brown hat zwei Jahre benötigt, um aus vielen Recherchen
(u. a. Gespräche mit 120 Menschen, die jeweils ihre eigenen Insider-Kenntnisse übers Königshaus eingebracht haben)
das Buch fertigzustellen.
Darüber hinaus ist es juristisch auf Herz und Nieren geprüft, und man darf davon ausgehen, dass sowohl Spekulationen, phantasievolle Unwahrheiten und Ausflüge in die Märchenwelt fehlen. Schließlich möchten sich weder die Autorin noch der Verlag in unbequeme Nesseln setzen und mit brennenden Hintern aus diesem Projekt hervorgehen.
Die Widmung "Für Harry, auf ewig" gilt natürlich nicht Prinz Harry, sondern ihrem Ehemann Sir Harold Evans. Ihn erwähnt sie in ihrer - absolut ebenfalls lesenswerten Danksagung, die ab Seite 675 beginnt. Mehr beiläufig, aber wohl mit tiefem Schmerz erzählt sie darin, dass ihr Mann während dieser zwei Jahre währenden Arbeit verstorben ist.
Der Inhalt
erinnert an einen schönen langen Spaziergang durch eine Welt, die die meisten von uns überhaupt nicht kennen - und spätestens nach der Lektüre dieses Buches wohl auch nicht kennenlernen möchten. Es gibt keine wirklich Freiheit hinter den Palastmauern, es gibt keine spontan möglichen Entscheidungen, die uns allen doch so sehr am Herzen liegen. Ich möchte das Leben dort ein wenig mit der Corona-Pandemie und all ihren nötigen Freiheitsbeschränkungen vergleichen - nur dass all die Regeln für die Top-Royals auf Lebenszeit andauern.
Tinas biografische Berichte beginnen mit dem Tod Dianas und enden mit den neuesten Schandtaten der Sussexes (Harry und Meghan). Zwar kennen viele diese Ereignisse aus den Medien, denn man kam nicht darum herum, irgendetwas davon aufzuschnappen, ob man wollte oder nicht. Aber Tina Brown schreibt nicht sensationslüstern, sondern sachlich anstatt dumm-emotional, ausgefeilt in der Sprache, faktenorientiert und lässt auch die guten Seiten manch Schwarzer Schafe nicht außer Acht - und hebt alle Ereignisse auf eine intelligente Stufe, die so manchen Medien abhanden gekommen ist.
Nur von einem Schwarzen Schaf hat sie offenbar keine einzige gute Seite finden können (darum bemüht hat sie sich ganz sicher): Prinz Andrew. Jeder kennt den noch gegenwärtigen Skandal um dieses verzogene Söhnchen. "Er greift ihr an den Po, um sie einen Moment später daran zu erinnern, dass er eine Königliche Hoheit ist ..." (Buch-Zitat).
Aber Prinz Andrew hat noch viel mehr auf dem hochköniglichen Kerbholz - das mir zuvor nicht bekannt war. Verraten kann ich das hier natürlich nicht.
Fazit
Dass Diana zwei Gesichter hatte, ist inzwischen wohl vielen klar: "Sie war mehr Prinzessin als Volk ..." Zitat aus dem Buch, angelehnt an den von Diana selbst für sich gewählten Titel "Königin der Herzen".
Auch über unbekanntere Royals schreibt sie, und sogar über das Personal im Buckingham- und anderen Palästen.
Natürlich ist einiges durchaus bekannt, aber in einer erfrischenden Neuauflage mit aktuellen Erkenntnissen ergänzt.
Nicht unwichtig ist der Schreibstil, der besser als in diesem Buch gar nicht sein kann. Darum konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen -
und nicht, weil ich mich in eine für mich gern fremdbleibenden Welt hineinversetzen wollte. Das wäre nicht mehr meine freie Welt.
5 von 5 möglichen Sternen für die Palast-Papiere. Dieses Buch ist "Champagner".
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