Do It Yourself
Rußbestäubt eilt Felix fort vom Platz seiner Heldentat. Er hatte kein Leben retten, sondern seines beenden wollen.
Doch dieses hilflose Kätzchen hatte alles an Gefühlen in ihm freigesetzt, die er als letzten Rest im Glas seines Daseins sah. Er konnte sich nicht neben das Tier setzen und gemeinsam mit ihm sterben.
Den Todesweg geht jeder allein! Punkt! Basta!
Er hätte nach Hause gehen können, um sich den Schmutz abzuduschen. Aber ihm kam eine völlig andere Idee, wie er sich noch selbst töten könnte.
Er würde in den nahe gelegenen Kanal springen, seine Schwimmkünste vernachlässigen und sozusagen sang- und klanglos untergehen.
Ein Blick zurück zeigt ihm, dass niemand ihm folgt. Zwar hatte man seine "Heldentat" bemerkt, aber keine Zeit gehabt, dem Helden selber nachzulaufen.
Er betritt die Kanalbrücke und schaut hinab. Kein Mensch weit und breit ist zu sehen, keine ungewünschte Rettung in Sicht. Mit voller Kraft schwingt er sich aufs Geländer hinauf und sieht hinab:
Das also war es mit Felix, dem Ehrgeizigen, dem Bösen, dem Durchgeknallten: Sein Leben würde in einem Kanal enden.
Er springt. Platscht hart auf die Wasseroberfläche auf. Er erinnert seinen ersten Sprung vom Zehn-Meter-Brett und der Angst vor dem Tritt ins Leere, der im Wasser endete ...
Plötzlich fühlt er neben sich, genau dort, wo nur Wasser sein soll, einen Körper. Er greift zu und umfasst seit langer Zeit zum erstenmal Brüste, denn
die Frau, die er nun retten muss, ist ins Wasser gesprungen, und offenbar kann sie nicht schwimmen.
Solch ein Selbstmörder-Dilemma, denkt er - und greift beherzt zu. Zieht sie an das nach oben hin geschwungene Land. Sie atmet schwer und spuckt Wasser.
Er sitzt neben ihr und kann nicht glauben, dass es so aussieht, als sei eine höhere Macht nicht damit einverstanden ist, dass er seinem Leben ein Ende setzt.
Endlich kommt sie voll und ganz zu sich und sieht ihn an wie jeder Star sich wünscht, angesehen zu werden:
Verehrung und Dankbarkeit sind in diesem Blick.
Felix versichert sich, dass es ihr gut geht und mit dem müden Lächeln eines Menschen, der sich nicht mehr länger um das Leben kümmern möchte,
läuft er davon.
Jeder. denkt er, stirbt seinen eigenen Tod, aber dem mir selbst bestimmten werden Steine in der Art von Tieren oder Menschen in den Weg gelegt. Einen kurzen Moment lang glaubt er beinahe, er sei ein guter Mensch, weil er nicht wegsehen kann, wenn ein anderes Lebewesen oder ein anderer Mensch ihm so sehr in die Quere kommt, dass es heißen würde
Friss oder stirb!
Nun ist nicht mehr rußverschmiert, aber nass und noch tiefer deprimiert als zuvor. Ihm fällt ein Turm ein, der in einem Wald liegt. Er beschließt, sich hinunterzustürzen. Und sein niedergehender Weg führt ihn genau dort hin.
Ein mächtigerer Turm als er ihn in Erinnerung hatte, steht vor ihm. Genau, denkt er, weder Tier noch Mensch verirren sich je hierher, um ausgerechnet von mir gerettet zu werden. Nun werde ich ganz "Do It Yourself" von oben herunter springen - und damit ist am Ende des Sprunges alles vorbei und ich bin nur noch eine die Menschen nicht lange interessierende lokale Nachrichten-Geschichte.
Felix klettert den Turm hinauf. Er raucht gern und hat daher nach zwanzig oder dreißig Stufen Probleme, den Aufgang zu vollenden. Vielleicht sollte ich warten, glaubt er, bis sich alles von allein erledigt. Ist doch der Lauf der Dinge, dass es für jeden eine Krankheit gibt, an der er letztlich früher oder später stirbt.
Diesen Gedanken an ein Später will er jedoch nicht weiter verfolgen. Er will es jetzt und frei bestimmt und ohne Wenn und Aber!
Die letzten der gefühlten vierzigtausend Stufen erreicht er, als er plötzlich genau dort den Jungen sieht. Er mag etwas zwölf Jahre alt sein - und liegt, vor Schmerzen gekrümmt wie ein Fragezeichen auf einer der letzten Stufen.
Der Junge hat hier gespielt. Er hat schon oft hier gespielt. Ganz allein erlebte er seine Abenteuer im Kopf und in denen war er ein Held, der viele Freunde hatte.
In Wirklichkeit hat er keinen einzigen Freund. Und ist nach einem schweren Sturz bewegungsunfähig, denn sein rechtes Bein ist gebrochen. Sein Handy liegt zehn bis zwanzig Stufen tiefer, und er konnte es nicht erreichen.. Felix informiert über sein Smart-Phone den Rettungsdienst ...
Als dieser eintrifft und den Jungen rettet, ergreift Felix erneut die Flucht.
Lebensretter wollte er nie sein, er, der so oft trübe Gedanken gegen seine Mitmenschen hegte - und noch immer hegt.
Er läuft zurück nach Hause und steigt in sein Auto ein. Mit dem sollte sein Vorhaben nun endlich gelingen. Der nächste schöne Baum wäre der, der sein Auto küssen würde und ihm den letzten Atemzug bescheren würde.
Er fährt eine Allee entlang und kann sich erst einmal nicht entscheiden, welcher Baum es sein soll. Da entdeckt er in der Ferne einen kräftigen, prächtigen Kameraden von Baum, der auch einen Aufprall mit seinem Auto überleben könnte.
Er gibt mehr Gas und beschleunigt somit sein Auto.
Kurz vor knapp sieht er das junge Mädchen. Sie kauert neben dem Baum und hält etwas in den Händen. Dann sieht er ein paar Blumen, die Menschen vor den Baum gestellt hatten.
In letzter Sekunde bremst er ab.
Felix springt aus seinem Auto. Das Mädchen blickt ihn an "Er war mein Freund", sagt sie und schaut auf das Foto in ihren Händen, "er hat getrunken und ist hier verunglückt."
Ende
Copyright Silvia Gehrmann
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen