Freitag, 7. April 2017

7. April 2017 - Trauer



Trauer

Niemandem ist sie fremd, und manchmal müssen schon kleine Kinder Trauer erfahren, ohne mit ihr wirklich umgehen zu können. Wie sollten sie auch, wenn viele Erwachsene nicht verstehen,

was Trauerarbeit ist.

Und: Ist sie eine Leistung? Oder ergibt man sich ihr?

Es gibt Trauer-Rituale und Trauer-Zeremonien, aber wie verkraften die Seelen eine übergroße Traurigkeit, weil Menschen einen anderen Menschen verloren haben?

Bis heute kann ich das nicht erklären, noch kenne ich die Textur der Trauerarbeit:

Mein Bruder ist mit 19 Jahren bei einem Hotelbrand ums Leben gekommen,

und ich erinnere mich an die Zeit danach an eine, in der ich auf Watte gelaufen bin, immer in der Gefahr verhaftet, dass gleich der Boden unter mir nachgibt.

Auf seinem Sarg, den wir einen Tag vor der Beerdigung "besucht" haben, stand:

"Darf nicht mehr geöffnet werden."

Ich hatte keine Ahnung, dass mein Vater dennoch meinen Bruder Heinz nach seinem Tod noch einmal gesehen hat -

und somit der einzige aus der Familie war. Das habe ich viele, viele Jahre später erfahren ...

Die Trauergäste waren eine undenkbar unglückliche Gemeinde von sehr vielen Menschen, und die Trauerhalle allein

reichte für sie nicht aus, so dass viele, viele vor der Tür standen - und ich habe niemals so viele Menschen gemeinsam weinen sehen..

Auf diesen Platz in der ersten Reihe hätte ich sooo gerne verzichtet, das kann sich niemand vorstellen - oder doch,

denn, wer in der ersten Reihe sitzt,

ist auch derjenige, diejenige, der, die am meisten betroffen ist (nicht immer, ich weiß)

aber ich

war damals der traurigste Mensch auf der ganzen Welt. Heute weiß ich, dass es zeitgleich und zu jeder Zeit ebenso unglückliche Menschen gibt.

Auch jetzt in dieser Minute trauert jemand tief bis in seine Seele und glaubt,

den Schmerz nie verwinden zu können.

Den großen Schmerz habe ich lange verwunden: Danach starben noch mein Vater (viel zu früh) und meine Oma und meine Mutter,

die zufrieden von dieser Welt gingen nach einem langen Leben.

Auch mein Vater ging zufrieden von dieser Welt - obwohl zu jung. Er hatte geahnt, dass er nicht allzu alt werden würde,

weil er mit Asbest gearbeitet hat -

und an den Folgen sehr laborieren musste,

so dass sein Tod eine Erlösung für ihn war.

Über gerade dieses Asbest gäbe es viel zu schreiben, aber nicht hier und nicht heute.

Wenn ich mir eine Reihenfolge wünschen dürfte, wer zu mir für einen Moment zurück kommen dürfte -

wäre mein Bruder der erste,

weil er von allen der jüngste war.

Danach käme mein Vater, weil er von allen der Gerechteste war.

Und meine Oma, weil sie von allen Menschen der allerliebste war.

Dann erst meine Mutter, weil sie einfach meine Mutter war.

Ich habe sie alle in meinem Herzen - nur eines bekomme ich nicht mehr hin:

Von allen habe ich die

Stimmen

vergessen.

Ich kann mich einfach nicht mehr an ihre Stimmen erinnern.

Natürlich habe ich Videos von ihnen - außer von meinem Bruder - aber ich mag sie mir nicht ansehen. Und anhören.


Guten Tag, Gruß Silvia


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