Samstag, 5. November 2016

5. November 2016 - Kurzgeschichte von Silvia Gehrmann - "Das Geisterhaus" - 3. und letzter Teil

3. und letzter Teil

Das Geisterhaus

Warum sie es angeblich nie schaffen würde, sagte das Mädchen nicht, aber ihre Einschätzung über Britta traf haargenau zu - Falls sie jemals so etwas wie Kampfgeist hatte, so war ihr der schon früh verloren gegangen. Und sie konnte ihn auf ihrem Lebensweg einfach nicht wieder finden, so sehr sie es sich wünschte.

Doch diese Göre von höchstens neun Jahren wollte ihr aufzeigen, was in ihrem Leben schief gelaufen war? Eine Geister-Göre obendrein, die sich ungebeten in ihrem Haus breit machte?

Sie ging mit Laberfürst in den Garten hinaus und musste versuchen, sich einmal ernsthaft mit sich selber auseinander zu setzen, Bilanz ziehen und über all das nachdenken, was ihr das Kind täglich an den Kopf warf.

Auf der einzigen Bank im Garten saß die alte Frau, und Britta traute sich nicht, sich daneben zu setzen. Sie jedoch wies auf den freien Platz neben sich - und schweren Herzens und mit einem Rest von Unbehagen ließ sie sich neben ihr nieder.

"Ich lebe hier mit zwei Geistern, und ich fürchte mich nicht einmal mehr", sagte Britta, "ist das nun ein gutes Zeichen - oder bin ich kurz davor, durchzudrehen? Normal kann das keinesfalls sein."

"Du könntest uns ignorieren ... aber", antwortete die alte Frau mit einer Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien, "du solltest es nicht."

Und so plötzlich wie die alte Frau dort gesessen hatte, war sie auch wieder verschwunden - und an ihrer Stelle lag ein Foto.

Britta starrte mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen auf das Foto, nahm es und lief ins Haus zurück. Aus ihrem Bücherschrank fischte sie das älteste Fotoalbum, das sie besaß. Hastig blätterte sie es durch.

Was geschah hier mit ihr, den beiden Geistern und ihrem Leben? Die alte Frau stand nun wieder hinter ihr und beugte sich über das Album. Sie zeigte auf das Foto eines neunjährigen Kindes -

und dann stand auch die Geist-Göre plötzlich im Raum - und ausnahmsweise sah sie nicht böse, sondern traurig aus. Sogar eine kleine Träne stand in ihren Augen.

Britta wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war, und am liebsten hätte sie es wie der Vogel Strauß gehalten und den Kopf in den Sand gesteckt.

"Du hast dich gewundert, warum Laberfürst keine Angst vor uns hat", begann die alte Frau, "und die Antwort ist ganz einfach: Weil er von dir nichts Böses befürchtet, Britta."

Das Kind nickte und schluckte. Britta nickte und schluckte auch ... Sie hatte es schon als Kind gemacht, wenn sie unsicher war ... genickt und schwer geschluckt.

"Ich bin du", erklärte das neunjährige Mädchen, "aber ich bin du, als es dir noch gut ging und du Träume hattest. Du hast sie alle den Bach runter gehen lassen."

"Und auch ich bin du", sagte die alte Frau, "falls du es schaffst, dein Leben und deine Träume in den Griff zu bekommen. Denn sieh mich an, so siehst du, was bestenfalls aus dir werden kann - zwar alt, aber erfüllt vom Leben."

Mit jedem Wort verschwanden die Gestalten ihrer Geister mehr und mehr ... und krochen zurück in ihr Zuhause, das Britta hieß und plötzlich alle Lebensgeister in ihr weckte.

Ein paar Jahre später

Britta feierte erste kleine Erfolge auf kleinen Theaterbühnen. Laberfürst begleitete sie zu jedem ihrer Engagements, falls die sie weiter weg führten. Sie war nicht auf dem Weg, die große Karriere zu starten,

aber sie lebte endlich ihren Traum, den sie bereits als neunjähriges Mädchen geträumt hatte.

Und wenn Laberfürst und sie in ihr kleines Häuschen am Waldrand zurück kehrten, hatten beide jede Menge Spaß miteinander - und

manchmal kamen sogar neu gewonnene Freunde vorbei, um Zeit mit ihnen zu verbringen.

Von der Begegnung mit sich selbst erzählte sie niemandem etwas, denn eigentlich

war das zu verrückt und zudem ein Geheimnis zwischen ihr und Laberfürst.

Ende

Copyright Silvia Gehrmann




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